| "Die Opfer Sprechen Lassen"
dradio
March 16, 2013
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2041835/
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Pater Klaus Mertes erwartet, dass der Papst Franziskus seinem Namen gerecht wird (Bild: AP)
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Papst Franziskus solle wieder Ordnung in die Kurie bringen, sagt Pater Klaus Mertes, Jesuit und Leiter des Kollegs St. Blasien. Dass der neue Pontifex "von au?en" kommt, konne hierbei von Vorteil sein. Au?erdem mussen vor allem den Opfern des Missbrauchsskandals zugehort werden.
Bettina Klein: Zum ersten Mal also ein Jesuit als Papst. Vor der Sendung habe ich mit Pater Klaus Mertes daruber gesprochen, ehemaliger Leiter des Canisius-Kollegs in Berlin, und ich habe ihn zunachst gefragt, weshalb es das eigentlich noch nie zuvor gegeben hat.
Klaus Mertes: Ja daran haben wir Jesuiten sowieso nie gedacht, weil der Ordensgrunder, der Heilige Ignatius, immer eher ein Interesse daran hatte, dass die Jesuiten kirchliche Amter nicht einnehmen. Und warum es nie dazu gekommen ist, daruber habe ich auch noch nie nachgedacht, weil es nie ein Thema war.
Klein: Was sprach denn oder was spricht denn dagegen, dass Jesuiten hohe Amter ubernehmen?
Mertes: Ja gut, das hangt mit dem Grundgedanken des Ordens zusammen, dass innerkirchliche Karrieren von vornherein ausgeschlossen sind.
Klein: Ausgeschlossen, aber nicht ganz ausgeschlossen, denn wie wir sehen, darf auch ein Jesuit Bischof und Kardinal werden und eben auch Papst.
Mertes: Ja genau. Wenn es der Wunsch des Papstes ist, dass ein bestimmter Jesuit Bischof wird, dann werden sich die Jesuiten auch fugen. Aber der Ordensgrunder, der heilige Ignatius, hat immer dann, wenn die damaligen Papste versuchten, Jesuiten zu Bischofen zu machen, zuerst einmal Himmel und Holle in Bewegung gesetzt, um das zu verhindern.
Klein: Und warum wird das heute nicht mehr getan?
Mertes: Das wird ja heute noch getan. Es ist immer nur die Frage, wer sich durchsetzt.
Klein: Das hei?t, die Jesuiten haben versucht zu verhindern, dass einer der ihren Papst wird?
Mertes: Nein! Es hat niemals jemand daran gedacht, dass ein Jesuit Papst wird. Das ist ja zwischen den Kardinalen im Konklave ausgemacht worden. Aber immer, wenn ein Jesuit Bischof wird, gibt es seitens des Ordens durchaus, ich sage mal, das Bedenken, das zu sagen, dass eigentlich ein Jesuit nicht Bischof werden sollte. Das kommt auch darin dann zum Ausdruck, dass dann ein Bischof naturlich in dem Moment, wo er nicht mehr Jesuit ist, zum Beispiel auch seine Gehorsamspflicht gegenuber den Oberen des Ordens nicht mehr hat und dass er auch zum Beispiel nicht mehr innerhalb des Ordens in Amter gewahlt werden kann und auch nicht sich an Wahlen, die innerhalb des Ordens stattfinden, beteiligen kann. Er verliert sein aktives und sein passives Wahlrecht im Orden. Es geht hier einfach darum, dass die Ordensgemeinschaft der Jesuiten strukturell sich noch mal unterscheidet von den Strukturen in der Hierarchie.
Klein: Das mussen Sie noch mal erklaren.
Mertes: Na ja, der Jesuitenorden ist eine Gemeinschaft von Priestern und Nichtpriestern, die sich gemeinsam dafur einsetzen, das Evangelium zu verkunden, die aber zugleich in ihrem Leben bezeugen wollen, dass sie nicht an Karrieren interessiert sind und sich auch strukturell davor schutzen, an Karrieren interessiert zu sein. Und dieser strukturelle Schutz vor den Eigenbedurfnissen nach Prestige und Ahnlichem, was ja immer gegeben ist in Strukturen, in denen man Karrieren machen kann, das kommt eben darin zum Ausdruck, dass hier dieser Unterschied gemacht wird. Das war fur Ignatius seine Weise, dem Wunsch Jesu zu folgen, dass diejenigen, die Jesus eben nachfolgen, eher eine Karriere nach unten als eine nach oben machen sollten. Und das wird durch die Tatsache, dass jetzt ein Jesuit Bischof oder jetzt Papst geworden ist, im Grundsatz nicht gefahrdet.
Klein: Auf der anderen Seite wird ja dann auch nicht nur in der Kirche argumentiert, das Gute daran, ein Amt inne zu haben, ist: Man kann eben gestalten, man kann eben auch Einfluss im positiven Sinne ausuben.
Mertes: Ja!
Klein: Was versprechen Sie sich von jemandem, der von den Jesuiten kommt, in diesem Amt?
Mertes: Er hat sich ja den Namen Franziskus gewahlt und Franziskus war eben genau einer von denen, der ja in einer Vision in San Damiano gehort hat, bau meine Kirche neu auf, und zwar nicht dadurch, dass du Bischof oder Papst wirst, sondern dadurch, dass du arm wirst und als Armer unter den Armen lebst. Und so hat Franziskus die Kirche erneuert und so wollte mutatis mutandis auch Ignatius die Kirche erneuern, und deswegen stimmt die Voraussetzung nicht, dass man nur dann und vor allem dann Kirche verandern kann, wenn man die oberen Posten hat. Da steckt eine bestimmte Vorstellung von Kirche dahinter, die gerade aus der Ordenstradition kritisch gesehen wird.
Klein: Ist es vor allem die Zuwendung zu sozialen Fragen, zu den armsten Schichten, um die sich ja auch in der Gesellschaft andere Gruppen kummern, von der Sie sagen wurden, das ist sozusagen eine Rolle, die dieser Papst einbringen kann in sein Amt jetzt, aufgrund seiner Tradition, aus der er kommt?
Mertes: Ich denke ja. Aufgrund seiner Ordenstradition im allgemeinen, und mit dem Namen Franziskus sagt er ja auch was ganz Deutliches und mit dem Namen Franziskus verbindet sich ja mehr als nur sozusagen ein almosenhaftes Verhaltnis zu den Armen, also im Sinne von "ich gebe etwas von den Reichen, das ich habe, den Armen". Sondern es geht ja bei Franziskus in radikalster Weise darum, selbst arm zu werden, um Freundschaften mit Armen zu schlie?en, und das geht ja nur, wenn man auf Augenhohe mit ihnen lebt, nicht einfach nur von oben nach unten etwas durchzugeben, sondern selbst in das Milieu der Armen einzusteigen. Und dafur steht naturlich programmatisch dann der Namen Franziskus und auch die Ordenstradition, in der der neue Papst steht.
Klein: Was genau daruber hinaus erwarten Sie von ihm?
Mertes: Als Papst erwarte ich von ihm, was ich von jedem gegenwartigen Papst verlangen oder erwarten wurde, namlich Ordnung in die Kurie hineinzubringen. Das scheint mir wirklich ganz entscheidend zu sein. Wir haben in den letzten 30 Jahren eine sich verselbststandigende Kurie, wir haben immer mehr informelle Zirkel, die bestimmen, was die Personalpolitik in der Kirche ist, und da muss meines Erachtens Ordnung und Transparenz geschaffen werden. Und hier ist es wohl auch ein Vorteil des neuen Papstes, dass er eben wirklich von au?en kommt und nicht durch Loyalitaten gebunden ist.
Klein: Sie, Pater Mertes, waren derjenige, der fast allen voran gearbeitet hat fur die Aufklarung der Missbrauchsfalle in katholischen Einrichtungen, dafur, dass sie uberhaupt ans Tageslicht gekommen sind. Wie muss der neue Papst diesbezuglich, vielleicht sogar im Unterschied zu Benedikt, dem ja immer vorgeworfen wurde, nicht offen genug und nicht offensiv genug damit nach au?en zu gehen, wie muss dieser neue Papst fur Aufklarung, fur Entschadigung, fur Pravention in diesem Zusammenhang sorgen?
Mertes: Also Benedikt ist offensiver vorgegangen als sein Vorganger Johannes-Paul II. Das zum einen. Und ich wurde sagen, er musste in der Linie von Benedikt, also seinem Vorganger, das tun, was Benedikt getan hat, namlich als allererstes wirklich die Opfer sprechen lassen und ihnen zuhoren. Das ist das Entscheidende. Und das hei?t, mir ware ganz entscheidend, dass der neue Papst Franziskus sich eben wirklich mit Opfern trifft und ihnen zuhort. Das ist die Grundvoraussetzung dafur, dass sich in der Missbrauchsfrage etwas bewegen kann.
Klein: Eine Voraussetzung, auf der dann was noch fu?en sollte?
Mertes: Nur das Erhoren der Opfer ermoglicht Prozesse. Das ist ja im letzten Jahr ganz deutlich geworden, als der Papst selbst oder der Vatikan viele Bischofe aus aller Herren Lander eingeladen hat, bei denen das Thema Missbrauch tausendmal mehr tabuisiert ist als bei uns, und die sich zum ersten Mal Opfer angehort haben und dann kreidebleich dort sa?en und sagten, wir hatten uns nie vorstellen konnen, dass so was tatsachlich existiert, wir haben das immer fur antikirchliche Propaganda gehalten. Uberhaupt den Schritt in die Aufklarung hineinzumachen, die bittere Wahrheit anzuhoren, ohne sie abzuwehren, das ist ja der allererste Schritt, und daraus entstehen dann die Prozesse mit den Fragen, was lauft denn bei uns falsch, dass so etwas ubersehen wird, dass so etwas gar vertuscht wird, was sagt das auch noch mal uber unser Selbstverstandnis aus, an welcher Stelle mussen wir noch mal gucken, was in unserer Sexualmoral nicht stimmt, etc. pp. Das sind doch die Fragen, die sich daraus ergeben. Aber ich mochte meinerseits auch nicht einfach nur vorgreifen, sondern es mussen vor allem die Prozesse beginnen, denn das sind ja Prozesse, die ganz tiefe Veranderungen bei denjenigen hervorrufen, die zuhoren. Und diese Prozesse ruft man nicht hervor, wenn man einfach nur von au?en Forderungen stellt, sondern das Wichtigste ist und meine Hauptforderung ist, den Opfern zuhoren. Das ist das Entscheidende.
Klein: Gerade mit Blick auf die Sexualmoral, da gilt er ja als eher theologisch konservativ.
Mertes: Ja.
Klein: Er hat sich bereits mit der argentinischen Regierung ja angelegt, als es um die Homo-Ehe ging, auch in anderen strittigen Fragen wie Verhutung und Abtreibung nimmt er eher eine konservative Position ein. Also wie berechtigt sind denn die Hoffnungen der Katholiken, dass sich in diesen Fragen etwas andert?
Mertes: Also erstens einmal ist es ja uberhaupt gar nicht verwunderlich, dass ein Bischof, der aus der sudlichen Halbkugel dieser Welt kommt, anders denkt als wir in unserer westeuropaischen Agenda, wobei ich damit uberhaupt nicht leugnen will, dass unsere westeuropaische Agenda nicht von hochster Aktualitat und Wichtigkeit sei. Aber das verwundert mich uberhaupt nicht, dass er diese Positionen vertritt. Da steht er auch sicherlich fur nicht nur den kirchlichen, sondern auch den gesellschaftlichen Mainstream in den Landern und Kulturen, aus denen er kommt. Das ware ja vielleicht noch radikaler geworden, wenn wir einen afrikanischen Papst gehabt hatten.
Klein: Der Jesuitenpater Klaus Mertes, ehemaliger Rektor des Canisius-Kollegs in Berlin, zu seinen Erwartungen an den neuen Papst Franziskus.
Au?erungen unserer Gesprachspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Au?erungen seiner Gesprachspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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