| Schon Wieder Ein Ubergangspapst
Zeit
March 14, 2013
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Erneuerung in der Katholischen Kirche tut not – doch statt eines agilen Reformers wahlten die Kardinale nur einen Ubergangspapst, kommentiert W. Thielmann.
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Kardinal Jorge Mario Bergoglio nach seiner Wahl zum Papst (mit dem spanischen Kardinal Santos Abril (l.) und Kardinal Agostino Vallini)
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Die Kardinale sind alt und angstlich geworden. Sie haben einen der ihren zum Papst gemacht, einen, der alt ist und ihre Angst versteht. Es muss etwas geschehen, aber es darf nichts passieren. So haben sie den zweiten Ubergangskandidaten in Folge gewahlt. Immerhin, der Vorganger hat Franziskus einen neuen Trumpf in die Hand gegeben: Er kann zurucktreten.
Der Jesuit Jorge Mario Bergoglio, ein volksnaher, betagter Wissenschaftler, leitet nun die Katholische Kirche, einer, der schon im vergangenen Jahr, mit 75, dem Papst seinen Abschied als Erzbischof anbieten musste. So verlangte es das Kirchengesetz. Als Vorsitzender der argentinischen Bischofskonferenz bekam er schon vor zwei Jahren einen Nachfolger.
Ein Ruhestandler soll nun die verkrustete Kurie reformieren, einen Nachfolger fur den kaum alteren Erzbischof von Koln finden, Licht in den Missbrauchsskandal bringen, mehr Frauen an der Verantwortung beteiligen und den Zolibat verteidigen oder durchlochern. Er soll die Rolle der Weltkirche abseits der Macht, aber im Wettbewerb der Religionen neu konzipieren. Und die Warme im katholischen Glaubenshaus halten, die durch die brockelnden Wande und die undichte Haustur entschwindet. Das ist viel.
Wahrscheinlich muss er sich vor allem gegen die wachsende Spaltung der katholischen Weltkirche stemmen. Denn ihr gro?tes Pfund liegt bisher darin, ihre Einheit bewahrt zu haben. Noch verfugt sie uber die starkste gesellschaftliche Bindekraft aller Gruppen, uber Lander- und Kulturgrenzen hinweg. Aber diese Kraft schwindet.
Das Haus der anderen Weltkirche, der anglikanischen, liegt bereits in Trummern. Die schambesetzten Gesellschaften des Sudens haben sich aufgelehnt gegen die liberale, tolerante Haltung der alten Kontinente, etwa zur Homosexualitat. Der nigerianische Erzbischof Peter Akinola, ein anglikanischer Gegenpatriarch, schleudert seinen Glaubensbrudern oberhalb des Aquators angesichts ihrer Offenheit entgegen, unter ihnen grassiere die "Krankheit des wei?en Mannes". Er hat die Gemeinschaft mit dem sundigen Norden aufgekundigt. Den Lutheranern geht es ahnlich.
Noch steht das katholische Einheitsgebaude. Doch uberall auf der Welt werden Menschen selbststandiger, als das katholische Glaubensfachwerk es vorsieht. Die kirchliche Hoheit uber die Sexualitat ist global verloren. Missbrauch wie auch der Filz in der romischen Zentrale schwachen die Uberzeugungskraft des Katholizismus. Menschen horen "Macht", wenn ein Bischof "Gott" sagt.
In Argentinien, der Heimat des neuen Papstes, hat seine Kirche wahrend der Militardiktatur bis vor 30 Jahren – ihr altes Problem – zu eng mit den Machtigen paktiert. Bis heute misslingt ihr die Aufarbeitung. Auch deshalb, weil verdachtige Priester Ruckendeckung aus dem Vatikan genossen. Bergoglio selbst wurde von den Muttern der Plaza del Mayo, einer Menschenrechtsinstanz des Landes, offen der Kollaboration beschuldigt.
Jetzt bekommt die Kirche Risse. Menschen fuhlten sich alleingelassen von einem Erzbischof Bergoglio, der mannhaft, aber vergeblich gegen die Homo-Ehe stritt. Argentinien hort auf, ein katholisches Land zu sein. Fast 90 Prozent der 40 Millionen Einwohner gehoren noch offiziell zur Una Sancta. Aber nur wenig mehr als ein Zehntel geht regelma?ig zur Kirche. Fast dreimal so viele besuchen die Gottesdienste von evangelikal-charismatischen Gruppen.
Personliche Bescheidenheit und missionarischer Impetus
In nur zwei Generationen haben diese den alten Glauben der Kolonialmacht hinter sich gelassen. Sie versprechen eine direkte Beziehung zu Gott, ohne Umweg uber Priester und Bischof. Sie sind das Christentum der Zukunft, modern, individuell, plural und plausibel.
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Papst Franziskus betet von der Loggia des Petersdoms fur seinen Vorganger und bittet die Katholiken um gegenseitiges Vertrauen und Bruderlichkeit. Video kommentieren
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Der deutsche Papst Benedikt sah die Aufgabe, aber er wurde kaum verstanden. Er hat begonnen, das Haus energetisch zu sanieren. Sein Dammstoff bestand in schlussiger traditioneller Theologie, einer neuen Begrundung alter Dogmen durch Einsicht, wo Macht und Gehorsam nichts mehr hielten. Wegen der Einheit wollte er die frommen Piusbruder unter das Dach zuruckholen, und wegen der Einheit wies er verweltlicht-liberalen Theologen die Tur.
Sein Nachfolger kennt die Gefahr aus eigener Anschauung. Er tritt, sagt man, mit personlicher Bescheidenheit und dem missionarischen Impetus der Jesuiten an. Aber auch er steht am Ende seines Lebens. Irritiert durch Benedikts Rucktritt scheuten die Kardinale das Risiko, einem jungeren Reformpapst zwanzig Amtsjahre in die Hand zu legen.
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