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Franziskus Auf Dem Stuhl Petri

By Peter Burger
Heise
March 14, 2013

http://www.heise.de/tp/artikel/38/38746/1.html

Die Kardinale haben einen Papst der Armen gewahlt, der mit revolutionaren Gesten einen neuen Weg der Geschwisterlichkeit ankundigt - ein katholischer Kommentar

Ein Papst, der sich vor seinem Segensgebet zuerst vor den Menschen neigt, ja niederbeugt und als ein Bedurftiger unter Geschwistern zeigt, das hat es in der dokumentierten Geschichte der Romischen Kirche so noch nie gegeben - selbst bei Johannes XXIII nicht (Ein "wirklicher Christ" als Papst). Was die Welt am Mittwochabend auf dem Petersplatz zu sehen bekam, ist fast zu schon um wahr zu sein. Der neue Bischof von Rom kommt nach eigenem Bekunden "vom Ende der Welt". Er sagt als erstes ganz einfach: "Guten Abend!" Er verspricht, einen gemeinschaftlichen Weg zu gehen, bei dem er - in praziser Entsprechung zur Kirchenkonstitution des letzten Reformkonzils - die Gemeinschaft aller zuerst nennt. Das kann nach den letzten Jahrzehnten, in denen der romisch-katholischen Kirche der Hoffnungshorizont abhanden gekommen war, ja eigentlich nur ein neuer Weg sein.

Ein neuer Name hat das ganz Unerwartete angekundigt: ein Name, den keiner der Medien-Auguren hatte erraten konnen, ein Name, der nach all dem verstaubten und selbstverliebten Firlefanz des letzten Pontifikates wieder ein Christentum verspricht, das barfu? auf der Erde geht.

Ein Papst mit "Vergangenheit"?

Werden bittere Missklange dieses Wunder, das wohl sehr viele Katholiken auf der ganzen Welt kaum zu glauben wagen, schon bald entzaubern? Es gibt, soweit ich zur Stunde sehen kann, einen wirklich sehr wunden Punkt: Die Rolle von gro?en Teilen der amtskirchlichen Hierarchie Argentiniens zur Zeit des Faschismus zwischen 1976 und 1983 ist eine mehr als schandliche gewesen. Jorge Mario Bergoglio, der jetzige Papst Franziskus I., war 1973 bis 1979 Provinzial der Jesuiten. Seine personliche Rolle wahrend der Diktatur wird "kontrovers beurteilt".

Es geht nicht um unvermeidliche Schonheitsfehler. Die Vorwurfe, die gegen ihn erhoben werden und die er selbst stets zuruckgewiesen hat, gehen vielmehr ins Mark: Bergoglio soll als Oberer linksgerichtete Bruder aus seinem eigenen Orden vor ihrer Folterhaft nicht geschutzt haben, gar Denunziant bzw. Komplize bei der Entfuhrung von zwei Jesuiten gewesen sein! Das Thema ist nicht neu und wurde in vielen Papstwahl-Listen, die den Erzbischof von Buenos Aires als moglichen Au?enseiterkandidaten mit auffuhrten, auch benannt. Aus den Reihen der eher reformorientierten Kardinale hat der Argentinier schon bei der Papstwahl 2005 viele Stimmen erhalten. Kann man sich vorstellen, dass die Kardinale ausgerechnet beim jetzigen Krisenkonklave keine wasserfeste Expertise bezuglich der damals bereits kursierenden ungeheuerlichen Vorwurfe eingeholt haben?

Im Medienzeitalter ist vieles denkbar, aber ein Papst mit nachweisbarer und au?erdem nicht offentlich bereuter "Vergangenheit" nur sehr schwer. Der Lateinamerika-erfahrene Publik-Forum-Redakteur Thomas Seiterich spitzt das Thema in seinem Beitrag Pontifex fur die Armen auf "moglicherweise zu viele Kompromisse gegenuber dem rechten Staatsterror" zu. An dieser Stelle gibt es mangels Zeit zu sorgfaltiger Recherche zunachst nicht mehr zu referieren als das, was auch bei Wikipedia, ARD, Spiegel und vielen anderen Online-Quellen schon nachzulesen ist. Wenn man wie ich bei dieser Papstwahl eine spontane Sympathie verspurt, sollte man das scheu?liche Thema aber unbedingt ziemlich an den Anfang setzen.

Kein Sieger hat sich gezeigt

Kein Sieger hat sich nach dem Konklave auf der Loggia gezeigt. Nur so kann in der real existierenden "Welt der Sieger", die auf Schritt und Tritt uber Leichen geht, eine glaubwurdige Form christlicher "Entweltlichung" aussehen. Was soll man vom modernen Medienstandpunkt aus sagen? Franziskus I., der eigentlich schon zu alt ist und auch von eher zerbrechlicher Gesundheit zu sein scheint, kann sich vor Massen und Kameras offenbar wirklich nur als Mensch hinstellen. Er wirkt dabei weder unbeholfen noch wie jemand, der demutige Bescheidenheit vorspielt.

Ein Mensch, ein bedurftiger Mensch als Bischof von Rom, bittet ohne gro?es Pathos die anderen um Hilfe und Benediktion, denn er will mit sehr vielen Menschen auf dem ganzen Globus einen neuen Weg gehen. Wenn das nicht nur ein trugerischer erster Eindruck ist, konnten sehr bald Energien in der Weltkirche freigesetzt werden, vor denen die Spektakel-Auffuhrungen der letzten beiden Pontifikate wie leerer, blo? au?erlicher Tand verblassen. Die "Menschen des neuen Weges", wie sich die ersten Christen nannten, glaubten seit jeher daran, man konne mit Reichtumern, die in der Welt der Besitzenden, Sieger und Gewinner nichts gelten, Berge versetzen.

Bergoglio Bild: Aibdescalzo. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Der Bruch war am Mittwochabend nicht zu ubersehen. Die Kurienregie hatte ihre bewaffneten und behelmten Gardisten, Blaskapellen mit Marschmusik und sogar Marinesoldaten mit Gewehren im Gleichschritt auffahren lassen. Nichts Frommes hatte diese ganze weltliche Inszenierung. Nationalhymnen, keine Chorale oder frohliche Lieder, waren vorgesehen. Und dann kam der neue Papst, ohne feudalistischen Pelzbehang, mit denkbar unscheinbarem Bischofskreuz und die Priesterstola sehr bewusst nur kurz zum Segen entgegennehmend. Es gibt die Aussicht, dass eine Asthetik des Evangeliums - an den Blumen des Feldes und den Vogeln des Himmels orientiert - auch in Rom bald eine Heimat finden konnte.

Haben die Kardinale klug, fromm oder strategisch gewahlt?

Die unmoglich zu losende Frage der letzten Tage, wie denn ein alleskonnender Supermann fur den Papstthron ausfindig zu machen ware, hat sich nun von selbst erledigt. Ein Bischof von Rom, der ziemlich nuchtern um Hilfe und Weggefahrtenschaft bittet, braucht nicht zugleich Charismatiker, Seelsorger, Prophet, Spitzentheologe, Manager, Finanzexperte, erprobter Korruptions-Bekampfer und Spezialist in allen Fragen der systemisch bedingten sexualisierten Gewalt in der Kirche sein. Er wird alles, was ihm fehlt, bei anderen finden oder von anderen geschenkt bekommen.

Kann das denn wirklich sein, dass die Kardinale gleicherma?en menschlich-fromm und klug gewahlt haben? Sie haben fur die Weltkirchlichkeit und fur eine Kirche der Armen votiert. Sie haben einen Lateinamerikaner gewahlt, der aus einer einfachen italienischen Einwandererfamilie stammt und dessen muttersprachliches Italienisch - bei unscharfem Latein - den Christen Roms das Gefuhl vermitteln wird, dass der neue Bischof aus ihrer Mitte kommt. Sie haben einen "Gorbatschow" gewahlt, der noch ganz vom alten Regime gepragt und in ihm nach oben gekommen ist. Dieser gema?igte Konservative, dem offenbar sehr verschiedene Lager etwas abgewinnen konnten, er konnte der Kirche als Bruckenbauer in den nachsten Jahren wirklich zu einem neuen Aufatmen verhelfen, so sehr er auch im Gestern noch verhaftet ist.

Dass ein unglaublich fortschrittlicher Theologe oder gar ein Befurworter der gleichgeschlechtlichen Ehe gewahlt werden wurde, hat wohl im Ernst niemand erwartet (einen Kandidaten mit solchen Ambitionen gab es gar nicht im Konklave). Die entscheidende Frage, die auch zentrale strukturelle Blockaden der Kirche betrifft, wird sein, wie stark Franziskus I. im eigentlichen Sinn "homophob" ist und ob er mit theologischem Verstandnis fur die "Frauenfrage" lernt, die Schwestern in seinen Ansprachen nie zu vergessen.

Ohne Dialogfahigkeit und Beweglichkeit auf diesen beiden Feldern ist namlich ein Aufbruch in anderen Bereichen kaum vorstellbar. (Als schwuler Katholik schreibe ich dies mit Blick auf die Kirche sowie zahllose unerloste Theologen und Opfer von Angstpredigt in ihr; eine kirchenamtliche "Akzeptanz" benotige ich selbst fur meine erotische Begabung seit uber zwei Jahrzehnten nicht mehr.)

Franziskus von Assisi (1181-1226) - auf Holz gemalt von Peter Burger (gemeinfrei)

Ohne Zweifel wird der neue Pontifex die Erwartungen europaischer Reformkatholiken etwa nach einem zeitgema?en Ethos von Beziehung und Sexualitat kaum erfullen. Es werden zwar keine "Opus Dei"-Hardliner, aber zumindest eine Reihe von Kardinalen, die der konservativen Bewegung "Comunione e Liberazione" nahestehen, dem Erzbischof von Buenos Aires ihre Stimme gegeben haben (auf dem Internetauftritt von CeL Deutschland findet man aber bezeichnenderweise auch am Donnerstag in der Fruhe noch keine Spur vom neuen Papst).

Vielleicht ist die Frage der sozialen Gerechtigkeit, der Wunsch nach einer spurbaren Anwaltschaft fur die Elenden der Erde, am Ende doch das ausschlaggebende Schlusselglied zwischen unterschiedlichen Richtungen gewesen? (Konklave der Angst?) Die Europaer aller romisch-katholischen Schattierungen sollten jetzt unter Beweis stellen, dass sie sich in Frage stellen lassen und ihre Prioritaten zugunsten der Schwachsten auf dem Globus neu setzen konnen.

Uber Strategien geschickter "Papstmacher" und eine mogliche List des Heiligen Geistes kann man bei aller Neugierde freilich nur spekulieren. Das Ergebnis des Konklaves spricht so oder so am ehesten fur ein Ende des traditionalistischen Paradigmas, fur ein Ende des kleinmutigen Angstregimentes in der romisch-katholischen Kirche und fur dialogische Pluralitat, wie sie den fruhen Christen das Allerselbstverstandlichste war.

Der Name als Programm

Franziskus I. ist der erste Lateinamerikaner und der erste Jesuit auf dem Stuhl Petri. Er ist vor allem der erste Papst, der sich ungeachtet aller Konventionen nach dem beliebtesten und okumenischsten Heiligen der ganzen Kirchengeschichte nennt. Franziskus von Assisi (1181-1226) war der verwohnte Sohn eines schwerreichen Tuchhandlers. Er hatte Charme, Geld, tolle Kleider und in den tonangebenden Cliquen der Privilegierten wohl jede Menge Bewunderer.

Die entscheidende Heilung seiner narzisstischen Selbstbezogenheit erfolgte in der Begegnung mit einem Aussatzigen, den er - jetzt selbst liebesfahig - als Bruder umarmte. Da wurde, wie es in den alten Quellen hei?t, das, was ihm zuvor nur Ekel bereitet hatte, nun zur "Su?igkeit". Die Gemeinschaft des Franziskus breitete sich noch zu seinen Lebzeiten in zahllosen Landern aus. Ein islamischer Herrscher soll inmitten des Kreuzzugschlachtens in ihm den einzigen glaubwurdigen Christ gesehen haben. Der "Poverello" (Arme) und seine egalitare Bewegung wurden von vielen als Zeichen dafur betrachtet, dass Jesus wieder Eingang in die Kirche gefunden hatte.

Die franziskanische Armut, au?erlich erkennbar an armlichen Hirtenkleidern, ist durchaus auch eine solidarische Lebensform an der Seite von Ausgegrenzten und Unterdruckten. Indessen hat die von Franziskus geradezu erotisch umworbene "Braut Armut" mit Askese oder gar einer Verherrlichung von materieller Not rein gar nichts zu tun. Die "Armut" als Geliebte steht vielmehr fur das Abenteuer, die eigene innerste Bedurftigkeit zu entdecken, anzunehmen und in jedem anderen Menschen oder fuhlenden Mitgeschopf auch "gespiegelt" zu finden. Hierbei handelt es sich mitnichten um eine traurige Entdeckung, sondern um eine begluckende.

Denn die "Armut" eigener und gemeinschaftlicher Bedurftigkeit war fur Franziskus das Tor zu einem beschenkten, beziehungsvollen und zartlichen Leben. Der ehemalige Narziss aus Assisi bat schlie?lich nicht mehr darum, angehimmelt zu werden, sondern selbst lieben zu konnen. Einen schonen Zugang zu diesem Paradox des gro?en Geliebten aus Mittelitalien vermittelt ubrigens das Marchen "Augustus" von Hermann Hesse.

Die franziskanische Mystik einer su?en und miteinander geteilten Bedurftigkeit, die Leben aufschlie?t, ist die radikalste Attacke auf die Religion des Neoliberalismus, die sich nur vorstellen lasst. Von hier aus wird man - fern von einem nur au?erlich politisierten Christentum und in Gemeinschaft mit allen Menschen des Wandels - auch zu einer politischen Theologie und Praxis vordringen konnen, die die Barbarei und die massenmorderischen Aufrustungen des Kapitalismus auf unserem Planeten an der Wurzel entmachten.

Der Jesuit Jorge Mario Bergoglio ist nach au?en hin als ein franziskanischer Bischof aufgefallen: durch einen solidarischen Lebensstil, ein einfaches Auftreten, eine Option fur die Armen und einen wachen Sinn fur die okologischen Uberlebensfragen der Erde, welcher bei den Christen Lateinamerikas insgesamt viel ausgepragter zu sein scheint als in den Kirchen der Reichen. Gebe Gott, dass Franziskus I. mit allen inneren Fasern und auf eine ansteckende Weise ein wirklich franziskanischer Bruder Papst ist oder wird. Meine Liebe mochte ich ihm in diesem Fall gerne versprechen.

 

 

 

 

 




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