| Sex and the Vatican City
By Joachim Frank
Frankfurter Rundschau
March 8, 2013
http://www.fr-online.de/papst-benedikt-xvi-/vatileaks-vatikan-sex-and-the-vatican-city,10846758,22044448.html
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Neben der Papstwahl beschaftigen den Vatikan alte Geheimnisse. Foto: imago
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Die „Raben“ kreisen wieder uber Rom. Corvi, so nennen die Italiener anonyme Informanten. In der Vatileaks-Affare vor einem Jahr haben sie eine Fulle vertraulicher Dokumente vom Schreibtisch des Papstes an die Offentlichkeit lanciert. Jetzt, wenige Tage vor der Papstwahl am Dienstag, raunen die Raben von neuen Enthullungen, insbesondere zum heikelsten und hei?esten Thema der in Rom versammelten Kardinale: Was steht in dem geheimen Dossier zu den Hintergrunden von „Vatileaks“? Was ist dran an Informationen uber schwule Netzwerke im Vatikan, Abhangigkeiten und die Erpressbarkeit hochrangiger Pralaten?
Die links-liberale Tageszeitung „La Repubblica“ hatte kurz vor der Abdankung Benedikts XVI. erstmals uber angebliche Inhalte der 300 Seiten berichtet, die drei vom Papst beauftragte Kardinale erstellt und ihm am 17. Dezember in zwei „rot gebundenen“ Konvoluten ubergeben hatten. In derselben Zeitung antwortet jetzt ein Insider, der keinen Namen hat, aber einen „Goldring mit papstlichem Siegel“ am Finger tragt, auf die Frage nach der behaupteten „Gay Lobby“ im Vatikan: „Verissima! Allzu wahr! Darauf konnen Sie wetten.“ Er konnte Namen nennen von Kardinalen und Monsignori, von Bischofen und Funktionstragern“, hochrangigen Leute aus dem Staatssekretariat und den wichtigsten vatikanischen Behorden.
Rosa Priester- und Pralaten-Szene
Er „konnte“, sagt der Rabe. Aber er tut es nicht. Noch nicht. Erst mal wolle die etwa 30-kopfige Gruppe schauen, wer der neue Papst wird – und wen er sich als Kardinalstaatssekretar holt, als Regierungschef. Das klingt nicht nur nach einer Drohung, es ist eine.
Kein Wunder, dass Vatikan-Sprecher Federico Lombardi schon vor Tagen uber Diffamierungen klagte, mit denen „inakzeptabler Druck“ auf die Papstwahler ausgeubt werden solle. Wer vor allem Geld, Sex und Macht im Kopf habe und die Welt an diesem Ma? messe, der sei dann auch nicht imstande, in der Kirche anderes wahrzunehmen. Alles, was uber das Kardinalsdossier im Umlauf sei, das Benedikt XVI. weggeschlossen hat und erst seinem Nachfolger zu treuen Handen ubergeben will, fuhre zu „Spannungen, die das Gegenteil von dem sind, was der Papst und die Kirche wollen“.
Mag sein, aber damit ist wenig gesagt uber den Wahrheitsgehalt der wilden Sex-Geschichten aus dem Vatikan. Immerhin schreibt selbst der papst-ergebene Welt-Korrespondent Paul Badde, der zu einer als „Tafelrunde“ titulierten Journalisten-Runde von Papstsekretar Georg Ganswein gehoren soll: Schwule Netzwerke im Vatikan seien niemandem neu, „der den Zwergstaat einige Jahre beobachten durfte“. Das ist bemerkenswert, zahlt die Homosexualitat im Klerus offiziell doch nach wie vor zu den romischen Tabus. In die Amtszeit Benedikts XVI. fallt gar eine Verscharfung der Zulassungsbedingungen fur die Priesterweihe, wonach Schwule auszuschlie?en sind: Ihre Veranlagung hindere sie am Aufbau „korrekter Beziehungen“, es fehle ihnen die „affektive Reife“.
Der katholische Theologe David Berger kann daruber nur bitter lachen. Seit seinem Coming-Out 2010 gehort er zu den wenigen, die aus erster Hand offen uber die rosa Priester- und Pralaten-Szene erzahlen. Als Professor der Papstlichen Thomas-Akademie – inzwischen ist er dort langst herausgeflogen - hielt sich Berger haufig in Rom auf. „Erst war’s fur mich schockierend, spater selbstverstandlich, wie vielen mir bekannten Gesichtern aus dem Vatikan ich wieder begegnet bin, zuweilen in sehr intimen Situationen.“ Am Monte Caprino zum Beispiel, einem bekannten Schwulen-Treff. Oder in einer fast schon legendaren Wohnung am Monte Mario, zu der es „eine Fulle von Zweit-, Dritt- und Viertschlusseln“ gebe, ausgesprochen praktisch fur ungestorten Sex. „Ich habe selbst jemanden kennengelernt, der einen dieser Schlussel hatte.“
Unproblematischer Sex
Darum halt Berger es auch fur absolut plausibel, dass auch das Kardinalsdossier fur den Papst solche oder ahnliche Informationen enthalt. Falls Namen genannt wurden, konnten nach seiner Erfahrung zumindest Kurienbischofe darunter sein, sagt Berger im Gesprach mit
dieser Zeitung. Nur glaubt der Theologe nicht an eine „schwule Lobby“ im strengen Sinn. „Man kennt sich, man organisiert sich, man spricht sich ab“, sagt Berger. Aber nicht, um Kirchenpolitik zu machen, sondern „um moglichst unproblematisch an Sex zu kommen“.
Die gegenteilige Deutung eines „Netzwerks“ spiele ultrakonservativen Kraften in die Hande, die im Konklave einen Hardliner als Papst durchsetzen wollen, der dann „den Homo-Saustall“ ausmistet. Berger selbst pladiert fur einen anderen Ansatz: „Die Kirche muss sich ehrlich der Homosexualitat stellen, auch und gerade in den eigenen Reihen.“ Sie muss, so komisch das aus dem Mund eines bekennenden Schwulen klingt, wieder heterosexueller werden und weniger neurotisch“. Damit meint Berger ausdrucklich auch den Papst a.D. Keiner der Vorganger sei „so homophob gewesen wie Benedikt XVI.“, was sich in einer Fulle von Verurteilungen der Homosexualitat als Gei?el der Menschheit niedergeschlagen habe.
Den Hinweis auf eine Erpressbarkeit vatikanischer Wurdentrager durch „Laien“ halt Berger ebenfalls fur eine Nebelkerze. Tatsachlich gebe es unter den (hohen) Klerikerin im Vatikan selbst ausreichend starke wechselseitige Bande des Wissens, der Forderung, aber auch der Feindschaft und des Hasses. Wohlverhalten und Ubereifer bei den Betroffenen seien die Folge. „Sie wollen romtreue Musterschuler sein, um das Manko ihrer wilden sexuellen Eskapaden wieder gut zu machen“, sagt Berger. Von einer „unertraglichen Mischung aus Uberkompensation, ubersteigertem Dogmatismus und Ritualismus“ spricht ein bestens informierter Rom-Kenner. „Immer schwanken sie zwischen lasziv und aggressiv – es ist zum Kotzen.“ Das hofische System im Vatikan rufe solche Seilschaften hervor und begunstige sie.
Allwissenheits- und Allmachtsfantasien
Sogar das augenfallige Organisationsversagen der Kurie fuhrt der Insider auf eine weit vorangeschrittene Durchdringung der Strukturen durch heimliche Homosexuelle im geistlichen Personal der papstlichen Behorden zuruck. „Die ziehen strukturell so viel an sich, bis sie dem Ganzen nicht mehr gewachsen sind. Noch der kleinste Unterteufel hat in diesem Camarilla-Unwesen personlich Anteil an der Unfehlbarkeit. Das fuhrt zu Allwissenheits- und Allmachtsfantasien, die am Ende andere ausbaden mussen.“
Ob der nach katholischer Lehre einzige wirklich Unfehlbare, der Papst, zu ahnlichen Erkenntnissen gelangt ist, spatestens nachdem er im Dezember das Kardinalsdossier in die Hand bekam? Von au?en ist das ahnlich schwer zu beurteilen wie die Frage, ob Verflechtungen seines engeren Umfelds ihn bestarkt oder gar erst veranlasst haben zu konnten, jenen Schritt zu gehen, mit dem er am 11. Februar Kirchengeschichte geschrieben hat: den Rucktritt – in der Hoffnung auf einen entschlussfreudigen und tatkraftigen Nachfolger.
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