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Konklave Der Angst?

By Peter Burger
The Heise
March 5, 2013

http://www.heise.de/tp/artikel/38/38690/1.html

Coelestin V., als Papst am 13. Dezember 1294 zurückgetreten - vielleicht nicht ohne Zutun seines Nachfolgers, des berüchtigten Bonifaz VIII.

Viele Medien verbreiten vor der Papstwahl aberwitzige Personalkarusselle. Sinnvoller wäre es, zum Amtsverzicht von Benedikt XVI. und zum Chaos der Römischen Kirche unbequeme Fragen zu stellen

Die berühmten Bischöfe aus den ersten Jahrhunderten der Kirche, auch die Bischöfe von Rom, wurden von den Gläubigen gewählt. Bis heute ist bei jeder Weihe eines Priesters zwingend die Frage vorgeschrieben, ob denn auch das Volk befragt worden sei. Indessen wird das Volk in der lateinischen Kirche nie befragt, so dass schon die Klerikerweihe mit einer Lüge beginnt. Alle Kandidaten für Bischofsstühle, auch für den von Rom, gehen somit in nachapostolischer Betrachtung aus einer illegalen Hierarchie-Bildung hervor. Das gilt wohlgemerkt in theologischer, nicht in demokratietheoretischer Hinsicht. Am wenigsten haben die Getauften und Ortskirchen auf dem ganzen Globus Einfluss auf die Ernennung von Kardinälen, denen vor neun Jahrhunderten das anmaßende, alleinige Privileg der Papstwahl willkürlich verliehen worden ist. Das Verfahren der ägyptischen Kopten, im letzten Papstwahlgang ein blind gezogenes Los entscheiden zu lassen, kann geradezu biblisch genannt werden im Vergleich mit dem ganz und gar unbiblischen Prozedere des Konklaves der Kirche von Rom. Das sollte man beim kommenden Schauspiel im Vatikan nicht vergessen.

Auf geheimnisvolle Weise, so heißt es, werden die Wahlzettel der Kardinäle beschriftet vom Heiligen Geist, den die Kirche als "pater pauperum" (Vater der Armen) anruft. Wenn das stimmte und außerdem die Mehrheit des globalen Gottesvolkes, nämlich die Armen und Elenden der Erde, zuvor befragt würde, so könnte aus der anstehenden Wahl eigentlich nur ein "Papa pauperum", ein Papst der Armen hervorgehen.

Den eurozentrischen Machtintriganten und Pragmatikern steht der Sinn freilich nach anderem. Es gibt Grund zur Sorge, dass sich die Papstwähler wie 2005 - wenn auch unter anderem Vorzeichen - erneut von der Angst leiten lassen und den überfälligen Aufbruch zu einer Weltkirchlichkeit, die den globalen Zeichen der Zeit entspricht, mit glaubensloser Selbstherrlichkeit wieder verpassen.

Kirchenamtliches Narrativ und viele Fragen

Während sich in den Orakellisten der Medien und Wettbüros längst ein kunterbuntes, z.T. aberwitziges Rätselraten vollzieht, sollte man die offizielle Erzählung über den Hintergrund der anstehenden Papstwahl noch einmal in Ruhe betrachten.

Nach Kanon 332 des Kirchenrechtes kann ein Rücktritt des Papstes nur gültig vollzogen werden, wenn er "freiwillig geschieht". So hat denn Benedikt XVI. am 11. Februar auch nachdrücklich betont, er erkläre "mit voller Freiheit" seinen Verzicht auf das Amt des Nachfolgers Petri. Warum sollte man dem nicht vorbehaltlos Glauben schenken? Benedikt hat schon 2010 das Grab des emeritierten Papstes Coelestin (gest. 1296) besucht und in Treue zu noch früheren Überlegungen die theoretische Möglichkeit eines Amtsverzichtes bejaht.

Sein Haus sei seit geraumer Zeit bestellt, schreiben Vatikanberichterstatter. Der persönliche Sekretär und jetzige Kurienerzbischof Georg Gänswein ist seit dem 7.12.2012 mindestens so gut versorgt wie Joseph Ratzingers früherer Sekretär Kurienbischof Josef Clemens, den Paul Badde als von Eifersucht getrieben charakterisiert. Altersbedingte Rücktrittsgründe des Papstes liegen zudem förmlich auf der Hand. 2010 freilich sagte Benedikt XVI. im Interview: "Zurücktreten kann man in einer friedlichen Minute."

Dass diese Gnade jetzt wirklich wahr geworden sein soll, ist wenig wahrscheinlich. Ausdrücklich sind in der päpstlichen Rücktrittserklärung "die Kraft des Körpers als auch die Kraft des Geistes" angesprochen. Der emeritierte Papst ist in intellektueller Hinsicht jedoch ganz wach. Ein Freund, der Theologe Max Seckler, teilt über ihn mit: "Man kann sich schwer vorstellen, welche Intrigen es da in Rom gibt, mit denen er sich rumschlagen muss. Das hat ihn sehr belastet, weil er ja ein Theologe ist und ein edler Mensch". Gut vorstellen kann man sich hingegen, dass unter den so umschriebenen Bedingungen auch eine weniger sensible Persönlichkeit in reaktive Depressionen hineingetrieben würde.

Secklers Offenbarung über die römischen Zustände ist kaum zu bezweifeln. Benedikt selbst hat in seiner Aschermittwoch-Predigt jene "Spaltungen, die die Kirche entstellen", beim Namen genannt. Noch in den letzten Wochen, so Jörg Bremer in der FAZ vom 12.02., habe es aus dem päpstlichen Haushalt geheißen, der Papst "schreibe an einer Enzyklika" über den Glauben. Ja, sogar fast fertig soll diese laut FAZ-online gewesen sein, nur waren Redaktion und Übersetzungen vor dem unerwarteten Rücktritt nicht rechtzeitig fertig.

Die Version eines schon Ende 2012 wohl vorbereiteten Rücktrittes steht auch in Spannung zu Reaktionen namhafter Kirchenmänner. Vatikansprecher Federico Lombardi sah den Vatikan unerwartet vom Schicksal ereilt: "Es hat uns überrascht!" Es gäbe keine akute Erkrankung. Völlig unvorbereitet traf der Schritt auch Kardinal Walter Kasper. Schließlich bekannte Angelo Sodano, immerhin Dekan des Kardinalskollegiums, "wie ein Blitz aus heiterem Himmel" getroffen worden zu sein.

Unheilige Eile - warum?

Tatsächlich schlug am Tag des Papstrücktritts um 17.56 Uhr ein echter Blitz in den Petersdom ein, was in fotografischen Sensationen auch festgehalten worden ist. Ein 2012 gedrucktes Kalenderblatt vom Vortag des Rücktritts zeigt einen Papst-Cartoon mit der Unterzeile: "Morgen kündige ich!" Die nunmehr eingeleitete Entmystifizierung des im 19. Jahrhundert erfundenen Papstkultes (Joseph Ratzinger schenkt der Kirche eine neue Freiheit) wird den übernatürlichen Verschwörungsmythen in esoterischen Szenen auf lange Sicht hin kaum Abbruch tun. Man will aufgrund von "Weissagungen des Malachias" sogar wissen, dass das Ende des Papsttums nahe bevorsteht. Aus Österreich kam mir am 12. Februar folgende Zuschrift ins Haus: "In der Familie meiner Frau wurde in den Jahren um 1950 [...] über die Aussagen einer [...] einer Seherin gesprochen. Diese erklärte ihre Visionen zum Papsttum. Dabei sagte sie, es werde ein Reisepapst kommen und dem würde ein Deutscher nachfolgen. Und dieser würde 'davongejagt' werden."

Auch ohne derlei Prophezeiungen kann man wahrnehmen, dass nennenswerte Teile der Kurie in diesen Tagen von unwürdiger Hetze getrieben sind. Kein anderer als der emeritierte Papst selbst hat einen vorgezogenen Termin für das Konklave mit seinem Apostolischen Schreiben vom 25.02.2013 möglich gemacht! Während ich diese Zeilen verfasse, wird in den Medien schon der 11. März als potentiell erster Tag des Konklaves gehandelt. Publik-Forum-Redakteur Thomas Seiterich schreibt von einer "verdächtigen Eile".

Öffentlicher und profilierter Kritiker dieses Vorgehens ist Kardinal Walter Kasper. Dieser wünscht, dass die Papstwähler sich erst einmal in Ruhe kennenlernen und austauschen können. Man müsse mit genügend Zeit gemeinsam überlegen, "was für eine Art von Papst wir jetzt brauchen und die Kirche jetzt braucht". Die Kardinäle sollten auch Unterstützung geben können hinsichtlich der nicht mehr zu leugnenden "Probleme" in der Kurie. Im Klartext muss das wohl heißen: Sie sollen mitbestimmen dürfen über einen durchgreifend neuen Kurs im Kirchenschiff, bei dem am Kuriensystem nicht nur rumgedoktert wird.

Doch die Kurie setzt auf Kontrolle. Eine "Turbo-Wahl" mit dem fadenscheinigen Argument "Ostern steht vor der Tür" würde, wie Seiterich darlegt, in jeder Hinsicht dem konservativen Flügel nützen. Doch geht es wirklich nur um Wahlstrategie? Sollen nicht möglicherweise auch gewisse Aufklärungswünsche kritischer Kardinäle in einem Hauruck-Verfahren abgeschmettert werden?

Ein Dossier, das die Kardinäle nicht lesen dürfen

Angesichts eines Meers von hauptamtlichen "Vatikanjournalisten" muss man sich wundern, wie inhaltsleer bzw. substanzlos über Monate hinweg die Berichte über den sogenannten "Vatileaks"-Skandal geblieben sind. Kann man sich Artikel über wirklich unbequeme Themen in diesem Metier einfach nicht leisten, weil man sonst für den albernen Boulevard-Klatsch und die übliche Hofberichterstattung ein für allemal kein Material mehr bekommt?

Dass der nunmehr emeritierte Papst erschüttert ist über den Vertrauensbruch in seinem engsten "familiären Bereich", kann sich jeder mit etwas Menschlichkeit auch ohne journalistische Expertise ausmalen. Doch ist nur das der Grund seiner Erschütterung? Und ging es in dem auffällig kurzen Prozess gegen den angeblichen Alleinschuldigen nur darum, der christlich gebotenen Milde einen schnellen Weg zu bahnen?

Dergleichen kann man heute wohl keinem halbwegs kritischen Zeitgenossen mehr erzählen. Ab dem 20. Februar kam es in italienischen Medien zu höchst unerfreulichen Behauptungen. Ungewöhnlich scharfe Schlagzeilen folgten auch hierzulande: Die "Welt" titelte: "Rücktritt wegen Sex und Erpressung im Vatikan?" Der "Stern" verdichtete Enthüllungsbeiträge der italienischen Zeitung "La Repubblica" zur Überschrift: "Rücktritt des Papstes - Spekulationen über geheimes Schwulennetzwerk."

Wenn Sex, Macht und Gier bis hinein in höchste Ränge eine Rolle spielen sollten, könnte Rom kaum das Machtmonopol über alle R.K.-Kirchen des Erdkreises halten. Falls es außerdem auch noch um Erpressbarkeit von Kurienfunktionären oder gar engsten Mitarbeitern des Pontifex ginge, wäre hinter die vollständige Freiwilligkeit des plötzlichen Papstrücktritts zumindest ein Fragezeichen zu setzen.

Alle bislang sehr vagen "Enthüllungen" zu den angeblich wahren Rücktrittshintergründen beziehen sich auf einen 300-seitigen Geheimbericht zum Vatileaks-Komplex, den die drei emeritierten Kardinäle Julian Herranz, Jozef Tomko und Salvatore De Giorgi dem Papst am 17. Dezember 2012 vorgelegt haben. Vatikan-Sprecher Pater Federico Lombardi reagierte am 23. Februar 2013 ganz ohne Souveränität auf die Medienmeldungen zu diesem Dossier; alles sei nur Diffamierung, Desinformation, "inakzeptabler Druck" und moralisches Urteil ohne jegliche Autorität. Er mochte aber trotz seiner aufgeregten Empörung ein richtiges Dementi zu den konkret angesprochenen Themenfeldern nicht über seine Lippen bringen.

Es geht wohl auch kaum nur um üble Nachrede von Journalisten, die immer nur an das "eine" und andere weltliche Dinge denken. Der australische Kardinal George Pell forderte schon am 24.02. mehr Informationen zu dem besagten Geheim-Dossier. Doch dessen Text bleibt, wie der emeritierte Benedikt noch entschieden hat, unter Verschluss und soll nur dem neuen Papst zur Einsicht vorgelegt werden. Mit anderen Worten: Den Kardinälen werden Informationen über Kurienvorgänge vorenthalten, die möglicherweise allergrößte Bedeutung für die anstehende Papstwahl haben. Allein dieses skandalöse Vorgehen macht sprachlos und lässt alle Hoffnung auf Transparenz zumindest im internen Forum der kirchlichen Gremien dahinfahren. Kommt der richtige Knall vielleicht erst nach der Papstwahl?

Joseph Ratzinger ist schon seit den 1980er Jahren der einflussreichste und hartnäckigste Homophobe der lateinischen Kirche. Kaum war er zum Papst gewählt, ließ er im November 2005 durch die "Kongregation für die katholische Erziehung" sogar "mit aller Klarheit" feststellen, dass alle Männer mit "tiefsitzenden homosexuellen Tendenzen" von Priesterausbildung und Weihen ausgeschlossen wären. Was er daneben mit Kirchendienern machte, die Frauen zu hoch und den Zwangszölibat gar nicht achten, war am Beispiel des australischen Bischofs William Morris zu sehen.

Wer Homophobie und homosexuellen Schatten in der Vergangenheit als eine Hauptblockade im reinen Männerbund-System der Römischen Kirche benannt hat, stieß oft bis in Kirchenreformkreise hinein auf Unverständnis (Die große "Mutter Kirche" und ihre Söhne). Doch eigentlich ist das Phänomen, das nur wenige sich ohne Scheuklappen ansehen wollen, allgemein bekannt. Sehr viele schwule Kleriker sind wegen ihrer Erpressbarkeit extrem lenkbar und anpassungsbereit. Kommt Selbsthass hinzu, tragen sie nicht nur zur Systemstabilisierung, sondern auch zu einer widerchristlichen Unerlöstheit bei anderen Menschen bei.

Jegliche homophobe Verächtlichmachung verstärkt hier nur ein System von Geheimnistuerei, Doppelleben, Gewalt und heilloser Verwirrung. Es gibt nur einen Lösungsweg: Aufbrechen des Männerbundes durch Gleichberechtigung der Frauen, Ende des Zwangszölibates und eine angstfreie Öffnung hin zur Annahme von Homosexualität, wie sie in höheren Kirchenrängen etwa die Kardinäle Basil Hume (gest. 1999) oder Carlo Maria Martini (gest. 2012) vertreten haben.

Nicht von ungefähr hat der Schatten gerade das Pontifikat von Benedikt XVI. eingeholt. Da wäre etwa der ihm treu ergebene Ex-Eichstätter Bischof Walter Mixa, der öffentlich nicht dementiert hat, zu vorgerückter Stunde um "männliche Zuneigung" gebettelt zu haben. Noch vor Ende der Amtszeit nahm jetzt der schottische Kardinal Keith O'Brien nach Enthüllungen über "Annäherungen" an offenbar abhängige junge Männer und kurzem Dementi-Versuch am 25.02. seinen Hut. Auch er hatte stets die rigide Linie des Papstes in Homo-Fragen etc. etc. gestützt, am 22.02. jedoch öffentlich die heilige Kuh des obligaten Zölibats in Frage gestellt.

Eine genauere Recherche zur Zeitschiene und zu den Beteiligten könnte hier vielleicht lohnend sein. War das rebellische Zölibats-Interview zunächst nur eine Retourkutsche für ein laut kathnet vom Vatikan angeblich schon am 18. Februar angenommenes (obligat altersbedingtes) Rücktrittsangebot oder verhielt es sich eher umgekehrt? Haben die Opfer der sexuellen Bedrängungen wirklich erst jetzt an Rom appelliert, so dass man dort bislang ganz unwissend gewesen wäre? So oder so sehen wir wieder einmal: "Die schlimmsten Feinde der Elche - sind selber welche."

Ein Papstwähler aus den USA und die Opfer sexualisierter Gewalt

Kardinal O'Brien wird den nächsten Papst nicht mit wählen. Ungleich gnädiger verfährt Rom zum Entsetzen vieler Gewaltopfer und Katholiken mit dem US-Kardinal Roger Mahony. Unter seiner Leitung wurden pädophile Priester systematisch vor Strafverfolgung geschützt. Mahonys Nachfolger Erzbischof Jose Gomez hat das Studium entsprechender Dokumente als "brutal und schmerzhaft" empfunden. Wie aber sollen es dann erst die Opfer sexualisierter Gewalt in der Kirche empfinden, wenn ein Mann wie Mahony sich wirklich erdreisten sollte, im Konklave den nächsten Papst mit zu wählen?

Sollte der Vatikan hier wirklich kein Mittel haben, gegenzulenken? Diese Frage stellt sich umso mehr, als in letzter Zeit die Verdienste Joseph Ratzingers um die Bekämpfung der sexualisierten Gewaltausübung während des letzten Jahrzehntes allenthalben so hoch gelobt werden. Hier freilich darf man sich erinnern: Ein Wort des Bedauerns über die mangelnde Wahrnehmungsfähigkeit während der eigenen Zeit als Ortsbischof gibt es nicht. Seinen Vorgänger Johannes Paul II. hat Benedikt XVI. in vollem Wissen um dessen Rückendeckung für den Gewalttäter Marcial Maciel Degollado selig gesprochen. In Lateinamerika oder Afrika hat der Diskurs über sexualisierte Gewalt im Kleriker-System eigentlich noch gar nicht begonnen.

Eine andere Schande der Kirche, der ich angehöre, sind nicht transparente, dubiose Geschäfte der Vatikanbank - mithin also eine Anbetung des Götzen Mammon im Zentrum der Weltkirchenleitung. Der Sache nach ist fehlende Immunität gegenüber der Macht des Geldes von solchen Ausmaßen für eine Einrichtung, die sich auf Jesus beruft, die Bankrotterklärung.

Die ganze Geschichte ist ein altes Erbe. Benedikt XVI. ist beim Ringen mit dem Götzen innerhalb der eigenen Mauern offenkundig gescheitert. Kardinal Attilio Nicora, Chef der vatikanischen Finanzaufsicht und im Ruf eines Kämpfers für Transparenz stehend, hat fast zeitgleich mit ihm am 16. Februar seinen Platz räumen müssen. Dass der Kardinal-Staatssekretär und derzeitige "Zwischenpapst" Tarcisio Bertone, den selbst ein Kardinal Meisner für untragbar hält, in diesem ganzen Sumpf eine gute Rolle spielt, ist auch nach jüngsten Medienberichten recht unwahrscheinlich.

Es riecht für die Öffentlichkeit förmlich nach "Mafia im Vatikan". Ob es da wirklich eine gute Idee ist, wieder einen Italiener auf den Stuhl Petri zu setzen, bezweifelt mancher. Wenn es einen herausragenden Italiener gäbe, was nicht der Fall ist, wäre an dieser Stelle unbedingt ein Votum gegen ungerechte Sippenhaft fällig. Doch darüber hinaus: Was haben uns Karol Woytila und weniger offenkundig auch Joseph Ratzinger eingehandelt mit ihrer Förderung der finanzkräftigen Geheimorganisation Opus Die, deren Geist letztlich Wurzeln im katholischen Franco-Faschismus hat? Geld regiert die Welt. Da kann man nur wünschen, dass das kommende Konklave sich die Ratzingerische Ermahnung zur "Entweltlichung" zu Herzen nimmt.

Die jungfräuliche Kirche und die männliche Erzeugung der Macht

Für sich persönlich hat der jetzige Papa emeritus aus Deutschland die Macht wohl nie auf einen Sockel gestellt. Eine kraftvolle Autorität, die es mit Kuriennetzen hätte aufnehmen können, war ihm leider ebenfalls nicht gegeben. Freilich sollte man hier keinen Heiligenschein malen. Wenn es darum ging, der eigenen Linie innerhalb der Kirche zum Erfolg zu verhelfen, hat Joseph Ratzinger - ähnlich wie sein großes Vorbild Augustinus - in drei Jahrzehnten seinen Sinn für Machtverhältnisse (Ratzingers Angst vor der Kirche der Armen) oft genug unter Beweis gestellt. Die gesamte Zusammensetzung der jetzigen Papstwählerschaft, mehr als aberwitzig für eine Weltkirche, ist sein planmäßiges Werk. Vielleicht tut Hans Küng ihm Unrecht, wenn er ihn als möglichen künftigen Schattenpapst handelt. Aber kann man das hundertprozentig wissen?

Sicher ist, dass die offenkundige Kommunikations- und Führungsschwäche des letzten Pontifikates selbst bei einigen liberalen Beobachtern das Verlangen nach einem "starken Mann" hervorgerufen hat. Wenn sich die Kardinäle ängstlich solchen Überlegungen anschließen, wählen sie vielleicht einen wendigen Pragmatiker ohne erkennbares Charisma, oder im schlimmsten Fall - wenn sich gewisse Intriganten-Kaffeekränzchen durchsetzen - einen neuen "Bonifaz VIII." mit viel Sinn für Macht.

Jungfräulich, so sagen die von Joseph Ratzinger überaus geschätzten Kirchenväter, gebiert die Mutter Kirche geliebte Gotteskinder. Wenn die Kardinäle fromm wählen, und etwas anderes käme ja immer einem Offenbarungseid gleich, werden sie einen Kandidaten wählen, der der Welt etwas zu sagen hat, weil er ein geliebter Mensch ist: von Gott immunisiert gegen Macht, Mammon und jegliche Gewalttätigkeit. Ein solcher Bischof von Rom wird klug genug sein, sich die Bischöfe auf der ganzen Welt - statt zu Knechten - zu Freunden zu machen und die gottlose Häresie des Zentralismus ein für allemal mit dem Bann zu belegen. Er wird wissen, dass es unter einer Milliarde Kirchenmitgliedern auf dem Globus ungezählte fromme Frauen und Männer gibt, die in den Bereichen Kommunikation, Organisation, Verwaltung und Finanzen Spitzenkräfte sind. Solche Expertinnen und Experten wird er nach Rom zur Mitarbeit an seiner Seite einladen - auch ohne Bischofsmitra oder Kardinalshut. Ein Papst dieser Güte wird einen Schlussstrich ziehen unter die ewige Mangelwirtschaft des narzisstischen klerikalen Selbstsicherungssystems, und also offenbar werden lassen, wie reich beschenkt die Kirche ist mit Menschen und Begabungen.

Das Pontifikat des deutschen Papstes hat den Eurozentrismus auf die Spitze getrieben, wie jetzt auch ein Blick auf die Papstwählerschaft beweist, und schließlich ad absurdum geführt, nämlich in ein Chaos sondergleichen. Doch die Römische Kirche begreift ihr bedeutsamstes konfessionelles Merkmal, die Weltkirchlichkeit, einfach nicht. (Sie kann dies auch nicht, weil das System von 1870 die Ortskirchen nur als abhängige Außenposten eines Gottkönigs kennt.) Noch immer blubbert die Arroganz der Europäer davon, die Zeit sei diesmal noch nicht reif für einen Papst aus den armen Weltkontinenten.

Im "Imperium der Schande", als welches Jean Ziegler das globale System auf unseren Planten ausmacht, verzichten die Nationalkirchen der Reichen noch immer auf jeglichen prophetischen Mut an der Seite der Elenden. Auch viele bürgerliche "Reformkatholiken" träumen - letztlich orientierungslos und ohne überzeugende Prioritäten - lediglich von einer etwas liberaleren Wohlfühlkirche. Das einzige Feld, auf dem man den freudlosen Europäern das Einbringen von Erfahrungen und Charismen zutrauen könnte, wäre eine glaubwürdige Versöhnung mit der Aufklärung und mit modernen Weltbildern, die sehr bald den ganzen Globus bestimmen werden. Doch dieses ganze Feld liegt in kirchenamtlicher Hinsicht vollständig brach.

Wann, wenn nicht jetzt, soll das Gefängnis des Eurozentrismus aufgebrochen werden? Es geht nicht darum, einem Papst aus Brasilien zuzujubeln, obwohl er dem Opus Dei nahesteht und eine blasse Figur abgibt. Es geht nicht darum, einem Papst aus Afrika zuzujubeln, obwohl er (in Abkehr von der aus der Regensburger Papstrede resultierenden Wende) islamophobe Ambitionen pflegt und obendrein - gepaart mit menschenverachtender Homosexuellenfeindlichkeit sowie fehlendem Sinn für sexualisierte Klerikergewalt auch auf seinem Herkunftskontinent - für eine patriarchale Kirche ohne selbstbewusste Frauen einsteht. Die Alternativen sind, wofür Johannes Paul II. und Benedikt XVI. gesorgt haben, wirklich nicht sehr zahlreich, aber es gibt sie - im Einzelfall sogar auf Favoritenlisten. Wäre ich nicht so abergläubisch, würde ich einen "Wunschkandidaten", der allerdings auch einige Magenschmerzen bereitet, hier benennen können.

Ein wirklich trauriges Zeugnis zum sittlichen Zustand der eurozentristischen Kurie ist dieser Tage in der Zeitschrift "Christ & Welt" erschienen. Der Beitrag trägt den Titel: "Sind wir bereit für einen schwarzen Papst?" Nach der Lektüre kommt man auf die Idee, dass es Rassismus im vatikanischen Alltag gab und gibt, was aber als Tabu nicht angesprochen werden darf. Die Identität der Verfasserin wird verschwiegen, und dafür liefert die Redaktion zum Schluss folgende Erläuterung: "Die Autorin arbeitet seit vielen Jahren als Journalistin im Vatikan. Da sie befürchten muss, dass nach ihren Recherchen kein katholischer Offizieller mehr mit ihr sprechen möchte, schreibt sie an dieser Stelle unter Pseudonym." An diesem Montag freilich ließ man aus Rom verlauten: "Der Papst kann jede Hautfarbe haben."

Nachtrag: Eine Vatileaks-Enthüllung nach mehr als 150 Jahren

Karl-Heinz Deschner, der mit seiner "Kriminalgeschichte des Christentums" die Kirche Roms leider noch immer nicht zu einem durchgreifenden historisch-theologischen Paradigma der Wahrhaftigkeit bewegen konnte, ist beim Gegenstand des nun folgenden Nachtrages vielleicht ein ganz klein wenig eifersüchtig.

Just in die Zeit von Amtsverzicht und Sedisvakanz fällt nämlich die spektakuläre Veröffentlichung "Die Nonnen von Sant'Ambrogio" des katholischen Priesters und Theologieprofessors Hubert Wolf, vorgestellt u.a. in einer anregenden Rezension von Rudolf Neumaier. Die Geschichte könnte ein erfundener Krimi sein, aber sie ist historisch dokumentiert: Ein dreizehnjähriges Mädchen muss in unheiligem Gehorsam der Mutter Äbtissin, angeleitet von deren Stellvertreterin, sexuelle Dienstleistungen erbringen. Ort ist ein Kloster in Nachbarschaft zum Vatikan. Das Opfer der klösterlichen Gewalt, Maria Luisa, wird später als einflussreiche Nonne selbst zur Täterin: sexuell ausschweifend, tyrannisch und giftmischend. Ein ganzes Netzwerk voll von religiösen Psychopathien, Intrigen, Kriminalität, Gotteslästerung und jener abgründigen Sexualsümpfe, die nur auf dem Boden von Gehorsam, Verdrängung und Keuschheitswahn gedeihen, kommt anhand der von Wolf nur durch Glück aufgespürten - vermutlich absichtlich an falscher Stelle deponierten - Vatikanakte zum Vorschein.

Eine ganz zentrale Rolle spielt darin der in Dortmund geborene Jesuit Josef Kleutgen (1811-1883): als "Lustmolch, Beichtgeheimnisbrecher, Mitwisser bei einem Mordkomplott, Häretiker" (R. Neumaier). Der damalige Papst Pius IX. beruft zwei involvierte hohe Würdenträger in eine Untersuchungskommission, um diese zu schützen: Zuvor untätige Verantwortliche sitzen somit auf der Richterbank! Alles nur Erdenkliche an "Gnade" wird getan, den verdorbenen Lügner Kleutgen alsbald zu rehabilitieren. Alles in allem ein Abgrund von Heuchelei, zugedeckt mit bigotter Scheinheiligkeit und Gotteswahn.

Pius IX. ist nun nicht irgendein Papst. Die universale römische Kirchendiktatur und der Unfehlbarkeitswahn von 1870 sind das Werk dieses psychisch mehr als auffälligen Pontifex. Josef Kleutgen ist nicht irgendein Jesuit. Er war der "Vater der Neuscholastik", jener unseligen Ideologie eines zwanghaften und positivistischen "Offenbarungs"-Systems, das die römisch-katholische Theologie auf ein Jahrhundert hin in Wahnwitz und Angst eingefroren hat. Josef Kleutgen war "Chefintellektueller" von Pius IX. und im Kontext des I. Vatikanums (1870) Berater des antisemitischen Paderborner Bischofs Konrad Martin. Letztlich ist Kleutgen maßgeblicher Ideengeber für die weitgehend theologiefreie Offenbarungskonstitution, die hybride Unfehlbarkeitslehre und das totalitäre Papstmacht-Dogma.

"Glauben" war für diesen geistlosen Gottesbeweiser im Grunde kirchlicher Autoritätsgehorsam. "Macht", mehr wissen und verstehen solche Leute nicht. Es kann keine "objektive theologische Wahrheit" losgelöst von Menschen geben und schon gar keine "wahre religiöse Lehre", die von Menschen konstruiert worden ist, deren Psychogramm das genaue Gegenteil des durch Jesus von Nazareth geheilten Menschen bezeugt. Das vatikanische Papstdogmenkonzil von 1870 ist maßgeblich das Werk von zwei Psychopathen: Pius IX. und Josef Kleutgen. Wer hören will, wird verstehen, warum das Reformkonzil von 1962-1965 mit seinen besten theologischen Einsichten wirklich als radikaler Bruch mit den 1870er Irrlehren verstanden werden muss! Wir kommen sonst als Katholiken aus dem Irrenhaus einfach nicht heraus.

Viel mehr als bloß eine kriminalistische Unterhaltungslektüre, müsste das neue Buch von Hubert Wolf im Spannungsfeld von theologischer Lehrerschaft und sexualisierter Gewalt eine Erschütterung sondergleichen auslösen. Mit Blick auf das Erscheinungsdatum möchte man nun fast doch an ein Eingreifen aus dem von Josef Kleutgen ersponnenen übernatürlichen Stockwerk "glauben". Nur liegen leider noch nicht die Übersetzungen in die gängigsten Sprachen vor. Als Pflichtlektüre für alle Papstwähler im Konklave könnte das Werk dieser Tage wohl nur Gutes bewirken.




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