| Kardinal Soll Kurien-kollegen Ausspioniert Haben
By Annette Langer
The Spiegel
February 28, 2013
http://www.spiegel.de/panorama/vatikan-gendarmerie-soll-bischoefe-und-kardinaele-bespitzelt-haben-a-886116.html
Rom - Der wichtigste Helfer des scheidenden Papstes, Kardinalsstaatssekretar Tarcisio Bertone, soll systematisch Vatikanangehorige ausspioniert haben. Ziel sei es gewesen, ein mutma?liches Netzwerk um den wegen Dokumentendiebstahls aus dem Privatbesitz des Papstes verurteilten Paolo Gabriele auszuleuchten. Dies berichtet die heutige Ausgabe des italienischen Wochenmagazins "Panorama".
Demnach habe Bertone den Chef der Vatikan-Gendarmerie, Domenico Giani, damit beauftragt, Telefongesprache, Unterhaltungen und den E-Mail-Verkehr von Bischofen und Kardinalen zu uberwachen. Es handele sich um die "massivste und flachendeckendste Abhoraktion", die es je im Vatikan gegeben habe. Detailliert sei aufgezeichnet worden, wer den Vatikan zu welcher Uhrzeit betreten und wieder verlassen und wer sich mit wem getroffen habe. Beweise fur die Behauptung fuhrt "Panorama" nicht an.
Brisant: Gendarmerie-Chef Domenico Giani ist ein ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter, der in den kommenden Wochen den Vatikan eigentlich verlassen sollte, weil er fur den Posten als Sicherheitsbeauftragter bei den Vereinten Nationen gehandelt wurde. Der unerwartete Rucktritt des Pontifex machte Giani aber einen Strich durch die Rechnung. Er entschied sich, vorerst im Vatikan zu bleiben, obwohl seine Nominierung als sicher galt. Jetzt soll erst nach Ernennung des neuen Papstes uber seine Zukunft entschieden werden.
1999 hatte Papst Johannes Paul II. Giani als Vize-Inspektor der Gendarmerie in den Vatikan geholt. Seit 2006 ist er deren Leiter. Der 50-Jahrige ist verheiratet und hat zwei Kinder. Giani ist au?erdem Mitbegrunder von Rondine Cittadella della Pace, einem Projekt, das traumatisierten Kindern und Jugendlichen aus Krisengebieten eine Zukunft bieten will. In diesem Zusammenhang besucht er mehrmals Tschetschenien.
Bespitzelung soll Folge von Vatileaks sein
Schon bei Amtsantritt soll Giani die Sicherheitsma?nahmen im Vatikan drastisch erweitert haben. Er fuhrte demnach Magnetkarten ein und perfektionierte die Videouberwachung. "Es gibt keinen Quadratmeter mehr, der den Augen der Kameras entgeht", schreibt das Blatt.
Es kursierten Geruchte, dass die Spionagema?nahmen bis heute andauerten. Zahlreiche Geistliche seien angesichts der Uberwachung "nervos", vor allem so kurz vor Beginn des Konklaves. Angesichts der angeblichen Totaluberwachung mutet es geradezu naiv an, dass Benedikt XVI. in seinem letzten "Motu Prorio" androhte, samtliche Kardinale zu exkommunizieren, sollten sie uber das anstehende Konklave und die Kandidaten plaudern.
Dem Blatt zufolge soll die Bespitzelung im September 2012 eingesetzt haben, als Folge der Vatileaks-Affare, bei der zahlreiche Dokumente aus den Archiven des Papstes in die Offentlichkeit gelangt waren. Der Journalist Gianluigi Nuzzi hatte in einem vieldiskutierten Buch uber den Skandal geschrieben und zahlreiche Dokumente veroffentlicht. Im Mai war der Kammerdiener des Papstes, Paolo Gabriele, als der Mann identifiziert worden, der die Papiere aus dem Vatikan geschafft haben soll. Er wurde angeklagt, verurteilt und spater von Benedikt XVI. begnadigt.
Was steht im geheimen Dossier?
Fand die angebliche Uberwachung mit dem Segen von Benedikt XVI. statt oder war das ein Alleingang des Kardinalstaatssekretars? Immerhin hatte Benedikt offiziell das Kardinals-Trio Jozef Tomko, Julian Herranz Casado und Salvatore De Giorni mit den Vatileaks-Ermittlungen beauftragt. Diese hatten dem Papst unlangst ein 300 Seiten langes Dossier ubergeben, in dem unter anderem von einer machtigen Schwulen-Lobby im Vatikan die Rede sein soll.
Vatikan-Sprecher Frederico Lombardi sagte am Donnerstag zum "Panorama"-Bericht: "Im Zusammenhang mit Vatileaks konnen einige Abhorma?nahmen und Kontrollen von Ermittlungsrichtern autorisiert worden sein." Demnach konnte die Kontrolle von "zwei oder drei Benutzern" stattgefunden haben. Zugleich dementierte er, dass eine flachendeckende Abhoraktion oder Uberwachung erfolgt sei.
Sein Sprecherkollege Thomas Rosica erganzte, wenn es eine Uberwachung gegeben habe, dann nur in "sehr kleiner Form". Beide Sprecher betonten, die Aktion sei nicht von den drei Kardinalen beauftragt worden, die das Dossier zur Affare verfassten.
Den Inhalt des brisanten Dossiers kennt niemand. Benedikt hat erklart, er werde es seinem Nachfolger ubergeben und ihm uberlassen, was damit geschehen soll. Der Papst hatte noch am 30. Mai 2012 erklart, die Vatileaks-Veroffentlichungen hatten ihn "traurig gemacht" - er betonte aber, dass er hinter seinen engsten Mitarbeitern stunde.
Bertone war fur sein Krisenmanagement wahrend der Vatileaks-Affare von vielen kritisiert worden, weil er als uberfordert galt. Er bezeichnete die Verletzung der Privatsphare des Papstes als folgenschwer und witterte ein organisiertes Vorgehen: Es handele sich um "zweckdienliche Angriffe auf den Papst", sagte er dem Sender Rai, die Attacken bezeichnete er als "gezielt, grausam und zerfleischend".
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Der Kolner Kardinal Joachim Meisner verriet nach der Rucktrittsankundigung von Benedikt XVI. der "Frankfurter Rundschau", dass er beim Papst um die Entlassung von Bertone gebeten habe. Der heilige Vater aber habe dies entschieden abgelehnt: "Bertone bleibt, basta, basta, basta" soll er gesagt haben. Eingeweihte bezeichnen die Verbindung von Ratzinger und Bertone als eng und vertrauensvoll, der Papst habe sich stets auf ihn verlassen konnen und eine Stutze in ihm gehabt, sagt der Vatikanist Marco Politi.
Dies erstaunt umso mehr, als ausgerechnet der Sturz des von Ratzinger installierten Vatikanbank-Chefs Ettore Gotti Tedeschi auf Bertones Konto gehen soll. Tedeschi sollte fur mehr Transparenz sorgen, nachdem Geldwaschevorwurfe laut geworden waren. Nachdem er Auskunfte uber bestimmte Kontobewegungen verlangt hatte, wurde er geschasst.
Ob die Veroffentlichung des Spionageverdachts ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt politisch motiviert ist und den "Papabile" Bertone fur das anstehende Konklave demontieren soll, ist unklar. "Panorama" wird herausgegeben vom Verlagshaus Mondadori, an dem Silvio Berlusconi die Aktienmehrheit halt. Seine Tochter Marina leitet das Unternehmen.
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