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Ideologisch Und Allzu Politisch

Die Welt
February 28, 2013

http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article113991092/Ideologisch-und-allzu-politisch.html

Papst Benedikt XVI. ist gescheitert. Er gesteht dieses Scheitern ein und zieht sich ins Schweigen zuruck. Ein Schweigen, das diesem Mann des Wortes besonders schwerfallen durfte. Da ist also auch Gro?e, die der Gegner anerkennen muss – auch ich, der ich ein Buch mit dem Titel "Der gefahrliche Papst" geschrieben habe. Am Ende ist Joseph Ratzinger kein gefahrlicher Papst geworden, sondern ein tragischer.

Immer wieder hei?t es, Joseph Ratzinger sei eigentlich ein unpolitischer, ja ein geradezu weltfremder Mensch. Auch darum sei er an dem Papstamt gescheitert; gescheitert an den Intrigen im Vatikan, gescheitert an der Tatsache, dass sein Pontifikat von politischen Kontroversen wie jener um die Piusbruder oder jener um den Missbrauchsskandal uberschattet wurde. Weltfremd mag Joseph Ratzinger sein; dass er unpolitisch sei, glaube ich nicht. Im Gegenteil. Benedikt XVI. war der politischste Papst seit Pius XII., dessen Seligsprechung er vorangetrieben hat. Und wenn die theologischen Werke Joseph Ratzingers bald in den Regalen der Buchhandlungen und Seminare Staub sammeln durften, so deshalb, weil es immer auch politische Werke sind. Und nichts veraltet so schnell wie die Politik.

Die Weltfremdheit des Joseph Ratzinger war also nicht die des Geistlichen, sondern die des Intellektuellen, ja des Ideologen. Sein entscheidendes Bildungserlebnis war das heilige Erschrecken uber die Studentenbewegung von 1968. Diese betrachtete er, nicht ganz zu Unrecht, als Ergebnis des Zweiten Vatikanischen Konzils und seiner eigenen Tatigkeit als Konzilstheologe und akademischer Lehrer, der gelegentlich, wie er in seiner Autobiografie bekennt, gern mit Marx-Zitaten gespielt hat.

Vor den linksradikalen Theologiestudenten in Tubingen floh Ratzinger nach Regensburg. Dort entwickelte er eine politische Theologie, die das Gegenteil von dem sein sollte, was das Konzil wollte: Statt "Aggiornamento" – Anpassung an das Heute – Kampf gegen die Moderne. Nicht zufallig wurde er als Professor in Regensburg und als Erzbischof in Munchen zum Forderer einer radikalen katholischen Psychosekte, der "Integrierten Gemeinde", die wust gegen die "Konkordatskirche" polemisierte und eine Art urchristlichen Fundamentalismus predigte. Die Eiferer der "Integrierten Gemeinde" und anderer "charismatischer" Organisationen wurden auch von Papst Benedikt XVI. protegiert.

Man hatte ja, wie Ratzingers damaliger Kollege Hans Kung es tat, den Tubinger Studenten gegenubertreten und die Positionen der pluralistischen Demokratie und des Konzils verteidigen konnen. Doch der Fluchtling sah inzwischen im Programm des "Aggiornamento" selbst das Problem. Den Pluralismus kritisierte er bald als "Diktatur des Relativismus". Als die zwei wichtigsten Feinde der Kirche machte er bereits 1978 "die beiden gro?en Rationalismen der Welt" aus, "der westlich-positivistische und der ostlich-marxistische". Diese Rationalismen hatten "die Welt an den Abgrund gefuhrt"; ihnen sagte er den Kampf an. Und nachdem nicht zuletzt dank dem Wirken seines gro?en Vorgangers der "ostlich-marxistische Rationalismus" (als ob der Kommunismus rational gewesen ware!) und innerhalb der Kirche die marxistisch inspirierte "Theologie der Befreiung" besiegt waren, blieb "der westlich-positivistische" Rationalismus, die Grundlage der sakular-pluralistischen Gesellschaft, als philosophischer Gegner. Ihn zu uberwinden war das Ziel jener "benediktinischen Wende", die seine Anhanger nach der Wahl ihres Mannes zum Papst verkundeten: "Die seelenlose Moderne", so der Publizist Martin Lohmann, "ist an ihr Ende gelangt."

An Absurditaten hat es beim Versuch, den westlichen Rationalismus zu uberwinden, nicht gefehlt. Da wurde der eben erst von Benedikts Vorganger Johannes Paul II. rehabilitierte Galilei Galileo kritisiert, weil er "die Buchse der Pandora geoffnet" und "Verhangnissen" wie der Atombombe den Weg gebahnt habe. Da wurde der "Evolutionismus" Charles Darwins kritisiert und ausgerechnet der von fundamentalistischen Protestanten entwickelten Pseudotheorie des "Intelligent Design" das Wort geredet. Da stellte sich der Vatikan im Streit uber die Mohammed-Karikaturen auf die Seite beleidigter und randalierender Muslime und forderte zusammen mit sunnitischen Autoritaten ein Verbot der "Verspottung religioser Symbole". Da wurde mit Vertretern des schiitischen Mullah-Regimes in Teheran eine "gemeinsame theologische Erklarung" verabschiedet, in der behauptet wird, der Glaube konne zwar der Vernunft gar nicht widersprechen, stehe aber im Konfliktfall denn doch "uber der Vernunft".

In Verkennung ihrer wahren Bedeutung haben viele deutsche Medien die Regensburger Rede Benedikts im Jahr 2006 als Angriff auf den Islam kritisiert. Dabei war gerade diese Rede eine Einladung an den Islam zum gemeinsamen Kampf gegen jenen Feind, den Benedikt unerbittlich fixierte: "In der westlichen Welt herrscht weithin die Meinung, allein die positivistische Vernunft und die ihr zugehorigen Formen der Philosophie seien universal. Aber von den tiefreligiosen Kulturen der Welt wird gerade dieser Ausschluss des Gottlichen aus der Universalitat der Vernunft als Versto? gegen ihre innersten Uberzeugungen angesehen." In der ersten Taufpredigt seines Pontifikats nannte Benedikt die westliche Zivilisation darum "eine Anti-Kultur des Todes". Das hatten fundamentalistische Muslime nicht besser formulieren konnen.

Auch Benedikts Jesus-Bucher, gemeinhin – meistens von Leuten, die sie nicht gelesen haben – als Werke eines Gelehrten betrachtet, der sich zur Erholung in die Studierstube zuruckgezogen hat, sind im Gegenteil Kampfschriften. In ihnen zieht Joseph Ratzinger gegen die historisch-kritische Theologie zu Felde, der es um die Rekonstruktion des historischen Jesus geht, des judischen Rabbi aus Nazareth. Fur Ratzinger jedoch gehort diese Theologie zu einem gefahrlichen "Enthellenisierungsprogramm": Erst die Aufklarung im 18., dann jene liberale Theologie im 19. Jahrhundert; im 20. und 21. schlie?lich die Versuche von Kirchen in Afrika, Asien oder Lateinamerika, die Botschaft der Bibel ihrer kulturellen Tradition gema? neu zu interpretieren. Letzteres sei nicht notig, so Benedikt bei der Konferenz lateinamerikanischer Bischofe im Mai 2007, denn "die Annahme des christlichen Glaubens" durch die Indios – sprich: ihre Eroberung durch Feuer und Schwert – habe fur sie bedeutet, "Christus kennenzulernen, … den unbekannten Gott, den ihre Vorfahren, ohne es zu wissen, in ihren reichen religiosen Traditionen suchten", und "den Heiligen Geist, der gekommen ist, ihre Kulturen zu befruchten, indem er sie reinigte …". Die Unterwerfung Lateinamerikas als "Reinigung": Das ist die Ideologie des Kreuzzugs.

Fur den deutschen Papst musste der Besuch in Auschwitz eine theologische und politische Bewahrungsprobe darstellen. Benedikt XVI. bestand sie nicht. Politisch stellte er sich als Sohn eines Volkes vor, "uber das eine Schar von Verbrechern … Macht gewonnen hatte, sodass unser Volk zum Instrument ihrer Wut des Zerstorens und des Herrschens gebraucht und missbraucht werden konnte". Dass diese "Schar" 1933 die starkste politische Kraft in Deutschland war; dass ihr von den herrschenden Klassen die Macht in die Hande gelegt wurde; dass auch die katholische Zentrumspartei fur das Ermachtigungsgesetz stimmte, das Hitler die diktatorische Gewalt ubertrug: Dazu sagte Joseph Ratzinger kein einziges Wort.

So weit Benedikts politisches Versagen in Auschwitz. Sein theologisches Versagen war gravierender. Verstieg sich doch der Papst zur Anklage gegen Gott: "Warum hast du geschwiegen?" Als ob es nicht laut und vernehmlich von Sinai hinab hie? und hei?t: Du sollst nicht morden! Gott schwieg nicht; anders als Papst Pius XII. Weil er aber Pius schutzen wollte, klagte Benedikt Gott an.

"Mein Reich ist nicht von dieser Welt", sagte Jesus von Nazareth. Zu wunschen ware der Kirche nach der Episode Benedikt ein Papst, der dieses Wort beherzigt und weniger politisch agiert.

Alan Posener, Korrespondent fur Politik und Gesellschaft fur die "Welt"-Gruppe, ist Autor einer Streitschrift gegen Benedikt XVI.: "Der gefahrliche Papst".

 

 

 

 

 




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