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" Die Opfer Konnten Kotzen, Wenn Sie Diese Leute Sehen."

Brennpunkt Ortenau
February 22, 2013

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Kirche und Pfarramt St. Gallus in Oberharmersbach: Über 100 Jugendliche vergewaltigte der Pfarrer Franz B. dort von 1967 bis 1992. Als ein Opfer 1995 endlich Anzeige gegen ihn erstattete, beging er Selbstmord

Missbraucht, verleumdet und hingehalten: Nachdem Pfarrer Franz B. sich etwa 400 Mal an ihm verging, kämpfte Raphael Hildebrandt jahrelang um eine Entschädigung. Daran, dass die katholische Kirche tatsächlich an einer Aufklärung interessiert ist, glaubt er schon lange nicht mehr.

Brennpunkt Ortenau: Die katholische Kirche hat ja nun Christian Pfeiffer und seinem Kriminologischen Forschungsinstitut den Arbeitsauftrag für die Missbrauchsstudie entzogen. Beide Parteien werden sich nun wohl vor Gericht streiten und werfen sich einiges vor. Wem sollte man aus Ihrer Sicht eher glauben?

Raphael Hildebrandt: Ich habe das Interview gesehen vom Missbrauchsbeauftragten der katholischen Kirche, Stefan Ackermann. Ich schenke ihm keinen Glauben mehr. Fakt ist aus meiner Sicht, dass sie eigentlich gar keine Aufklärung wollen. Das Mandat ist einfach zurückgezogen worden, weil sie wahrscheinlich wissen, was noch rauskommen würde. Wenn ich schon so etwas höre: Die Kirche ist enttäuscht worden. Also da muss ich eben gerade lachen, wenn ich daran denke, wie sie mit uns umgegangen sind. Das war wirklich menschenverachtend, was die da mit uns getrieben haben.

Damals, als Sie 1995 Anzeige erstattet haben oder jetzt, als es um die Entschädigung der Opfer ging?

Letztendlich ist das, was sie jetzt mit den Opfern machen, auch nicht viel anders.

Christian Pfeiffer hat jetzt eine eigene Untersuchung angekündigt. Was halten Sie davon?

Ich finde das gut. Ich habe jetzt auch mal eine Mail an das Kriminologische Institut geschrieben. Die können alles von mir haben, die ganzen Unterlagen.

Aber die Erzdiözese Freiburg hat ja jetzt auch jemand Externen damit beauftragt, alle Fälle offenzulegen. Die Rechtsanwältin Frau Dr. Musella soll als unabhängige Instanz auch das aufarbeiten, was bei Ihnen passiert ist. Hatten Sie schon einmal mit ihr zu tun?

Mit Frau Dr. Musella und mit Frau Dr. Raab hatten wir vor allem über unseren Anwalt zu tun, aber auch persönlich. Die sind, naja, sagen wir mal gefühlsneutral. Die sollten 2010 dafür zuständig sein, dass die Opfer ihr Geld bekommen.

Warum „sollten“? Hat Angelika Musella sich nicht um eine Zusammenarbeit bemüht?

Naja, sie arbeitet ja im Auftrag der katholischen Kirche. Ich hatte den Eindruck, dass es der Kirche nicht gepasst hat, dass wir uns selbst einen Anwalt genommen haben – und dann auch noch einen so bekannten wie Dr. Ingo Lenßen.

Laut Erzdiözese hat die Rechtsanwältin Angelika Musella als unabhängige Instanz die Fälle jetzt zu 95 Prozent aufgearbeitet und wollte die Unterlagen an das Kriminologische Institut übergeben.

Unabhängig ist immer relativ. Also wenn ich irgendwo angestellt bin, ist das unabhängig? Fakt ist, dass sich mich mit sieben anderen Opfern zusammengetan habe und wir über Jahre gemeinsam für eine Entschädigung gekämpft haben.

Wie lange hat es gedauert, bis die katholische Kirche gezahlt hat?

Die Sache hat sich von 2010 bis ins letzte Jahr gezogen. Der Anwalt hat gesagt, man könnte vielleicht weiter machen. Aber die letzten zwei Jahre haben schon enorm Energie gekostet. Jetzt bin eigentlich an einem Punkt, wo ich mal abschließen will damit. Auch wenn ich jetzt so locker darüber reden kann: Ich werde heute Abend auch mit Sicherheit früh im Bett liegen.

Warum haben Sie dem Interview trotzdem zugestimmt?

Wenn ich es nicht mache, dann versickert das wieder. Ich will immer schauen, dass das Thema im Gespräch bleibt. Das ist halt mein Weg. Ich nehme die Erschöpfung in Kauf, auch wenn es richtig an einem zehrt, aber man hofft natürlich auch, dass dadurch etwas Gutes bewirkt wird. Wenn es dem ein oder anderen hilft, dann habe ich schon was gewonnen.

Sie waren ja damals das erste Opfer, das Anzeige erstattet hat. Und Sie waren der Erste, der sich vor die Kamera getraut hat, um den Opfern ein Gesicht zu geben. Haben Sie das alles zwischendurch mal bereut?

Nein. Absolut nicht. Das würde ich jeder Zeit wieder machen. Ich hatte jahrelang das Gefühl, ich muss mich wehren gegen den Pfarrer und habe es nie geschafft. Er hat ja einen enormen psychischen Druck auf einen ausgeübt und man unterlag immer wieder diesem Druck. Und das zerreißt einen innerlich. Nach der Anzeige habe ich mich zwar gefühlt wie ein Niemand. Aber immer noch besser als nach dem ersten Übergriff. Denn die Demütigung, die ein Mensch in dem Moment erfährt, wünscht man keinem. Nicht mal dem schlimmsten Feind.

Sie haben jetzt eine Entschädigung von 20.000 Euro von der Kirche gezahlt bekommen. Ist diese Summe angemessen?

Nein. Wir sind davon ausgegangen, dass die Summe, die angemessen wäre und wofür wir ins Rennen gegangen sind, bei 1000 Euro pro Übergriff liegt. Es gibt laut unserem Anwalt ein Grundsatzurteil von einem deutschen Gericht dazu und nach dem haben wir uns gerichtet. Da ich ungefähr 400 Mal missbraucht wurde, wären das 400.000 Euro. Wenn bei der Bundesbahn die Klimaanlage ausfällt, bekommt man bis zu 500 Euro wegen der Übertemperatur. Und dann wird man Jahre lang schwer misshandelt und bekommt weniger. Ich meine, das sind 50 Euro pro Übergriff. Da stimmen doch die Relationen nicht. Uns ist auch vorgeworfen worden, wir wären geldgeil. Das hat mit dem alles nicht zu tun. Letztendlich ist es ein tagtäglicher Kampf, mit den Folgen zu leben. Deshalb: Die Opfer könnten kotzen, wenn sie diese Leute sehen.

Warum sind Sie dann nicht weiter gerichtlich gegen die Kirche vorgegangen?

Weil die Kirche das aus meiner Sicht so rausgezögert hat, dass auch beim letzten von uns die Verjährungsfrist abgelaufen war. Zehn Jahre – das ist sowieso ein Witz. Man kann eine Frau vergewaltigen, zehn Jahre ins Ausland gehen und dann ist alles vergessen. Und das Opfer hat das ganze Leben damit zu kämpfen. Das Opfer hat immer lebenslänglich. Gut, ich muss sagen, ich kann relativ gut damit umgehen. Man muss halt damit leben. Aber man hat nie damit abgeschlossen, gerade wenn jetzt wieder solche Sachen in der Presse hochkommen. Ich muss aufpassen, dass ich mich nicht zu sehr damit beschäftige, denn sonst bekomme ich einfach einen richtigen Hass. Dann steigert man sich da rein. Gerade in meinem Fall, wo nur verdeckt wurde. Und das wird weiterhin so gemacht. Mir braucht niemand zu erzählen, dass alles aufgearbeitet wird. Darüber kann ich nur lachen. Ja, warum ist denn nichts raus gekommen hier?

Die Kirche argumentiert ja nun, dass Sie auch sensibel mit den Akten umgehen müsste, weil viele Opfer noch immer anonym bleiben wollen.

Ich sehe das so: Diejenigen, die betroffen sind, mit denen muss ich jetzt mit der Akte nicht mehr sensibel umgehen. Die sind gestraft für ihr ganzes Leben. Normal müssten die Leute über Jahre entschädigt werden und nicht, dass die Opfer immer wieder kommen müssen und wieder hinterher rennen müssen. Schließlich war ich kein Einzelfall. In Oberharmersbach waren es um die 100 bis 150 Opfer. In manchen Familien wurde schon der Vater missbraucht und dann der Sohn auch. Meine Überzeugung ist, dass sich da noch mancher das Leben nehmen wird die nächsten paar Jahre.

Dabei übernimmt die katholische Kirche doch die Kosten für eine Therapie?

Ja, das schon. Aber wenn man daran denkt, was das alles für ein Theater ist – dann muss man da anrufen, dann wird man verwiesen, dann muss man einen Therapeuten suchen. Der ist dann vielleicht nicht kassenärztlich zugelassen. Dann muss man das noch mal beantragen. Dann wollen sie es erst nicht bezahlen. Ach, man kann sich das nicht vorstellen.

Aber es wurde ja damals eine unbürokratische Hilfe versprochen. Also war das jetzt nicht so?

Also wenn ich jetzt meine Aktenberge anschaue: Was ist da unbürokratisch? Der Berg ist ungefähr einen Meter hoch.

Christian Pfeiffer wirft der katholischen Kirche unter anderem vor, dass sie Akten vernichtet hat. War das in Ihrem Fall auch so?

Das weiß ich nicht. Am Anfang hieß es ja auch uns gegenüber, das Kloster in Zell hätte noch sehr viele Akten. Und nachher haben wir nie wieder etwas davon gehört. Fakt ist aber, dass meine Akte von der Kripo damals verschwunden sind. Komisch oder? Vor allem im Zeitalter der Digitalisierung und der Datenspeicherung.

Was war das für eine Kripo?

In Offenburg. Also was da gelaufen ist, dass ist wie in einem Psychothriller. Ich habe ja 1995 anonym Anzeige erstattet. Komischerweise hat der Pfarrer das dann spitz bekommen und Selbstmord begangen. Informationen, die nicht hätten fließen dürfen, sind halt geflossen zu den Tätern. Das weiß die Kripo auch. Heute ist meine Akte von damals jedenfalls nicht mehr auffindbar. Als Opfer stehen wir also da und haben gar nichts in der Hand.

Was würde das für Sie bedeuten, wenn die Kirche all das irgendwann wirklich offen legt?

Das wäre gigantisch. Aber das wird nicht passieren.

Aber was wäre wenn doch?

Nein, das passiert nicht. Glauben Sie mir, das ist so. Diese alten Männer hängen so an der Macht. Die werden sich nie ändern. Egal was sie in der Presse erzählen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Alexandra Franz.






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