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Entschadigung Fur Sklavinnen

By Martin Alioth
Welt
February 22, 2013

http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article113821311/Entschaedigung-fuer-Sklavinnen.html

Jahrzehntelang wurden Mädchen in Irland von Nonnen zu kostenloser Arbeit gezwungen

Der Staat war 74 Jahre lang Nutznießer systematischer Ausbeutung, Zwangsarbeit und Unmenschlichkeit

Nun will die irische Regierung die noch lebenden 1000 betroffenen Frauen rehabilitieren

Ich war eine Sklavin", erzählt Julie McClure. Früher, so sagt sie, hätte sie dieses Wort allerdings nicht gebraucht. Mit 13 Jahren wurde das Mädchen aus Kilkenny nach Dublin verfrachtet, in ein "Ausbildungszentrum" in der Stanhope Street, das von Nonnen geführt wurde. Ihr Lehrer in Kilkenny hatte ihre Mutter dazu überredet. Julie sprach diese Woche im irischen Rundfunk. Sie habe gehofft, für einen "netten Bürojob" ausgebildet zu werden oder gar zur Lehrerin. Ihre Familie war bettelarm – als sie in Dublin ankam, besaß sie außer ihren Kleidern gerade mal einen Schreibstift und einen Block, um Briefe nach Hause zu schreiben. Die wurden ihr gleich weggenommen. Vom ersten Tag an musste sie in der kommerziellen Wäscherei der "Schwestern der Barmherzigkeit" schuften, ohne Bezahlung. Hotels und Krankenhäuser schickten ihre Bettwäsche und ihre Tischtücher, an denen sich die Kinder ihre Finger verbrannten. Drei Jahre lang verbrachte Julie in dieser Hölle. Ihre Mutter wollte kein Wort gegen die Nonnen hören, ja, sie drohte gar, Julie wegen ihrer Klagen in ein Irrenhaus zu sperren. "Damals durfte man Nonnen nicht kritisieren", sagt McClure.

"Ich war stolzer auf Irland als jemals zuvor", gestand McClure diese Woche, am Tag nach der formellen, emotionalen Entschuldigung des irischen Premierministers Enda Kenny für all das Unrecht, das Irland Mädchen und Frauen wie Julie angetan hatte. "Dabei habe ich dieses Land jahrelang gehasst", erinnert sich Julie, die lange in England gelebt und dort eine Familie gegründet hat. Der frühere irische Premier Bertie Ahern hatte sich schon 1999 für den Missbrauch in kirchlichen Institutionen entschuldigt, dessen Ausmaß zehn Jahre später im sogenannten Ryan-Bericht in allen abscheulichen Einzelheiten dokumentiert wurde: Zehntausende von Kindern waren im 20. Jahrhundert in kirchlich geführten Arbeitsheimen, Waisenhäusern und Behindertenheimen gequält und ausgebeutet worden. Für sie wurde ein riesiger Entschädigungsfonds eingerichtet, der inzwischen die Milliardengrenze überschritten hat. Doch die Mädchen und Frauen, die in die "Magdalen laundries" gesperrt wurden, ein Dutzend kommerzielle Wäschereien unter der Leitung von katholischen Nonnen, blieben davon ausgeschlossen. Das seien "private Unternehmungen" gewesen, mit denen der Staat nichts zu tun gehabt habe, behaupteten irische Minister bis vor Kurzem.

Erst als der UN-Ausschuss gegen Folter im Jahr 2011 die irische Regierung aufforderte, Nachforschungen anzustellen, passierte etwas. Die irische Regierung beauftragte Martin McAleese, den Ehemann der früheren Präsidentin, mit einer Untersuchung. Der Senator sollte herausfinden, welche Rolle der Staat bei diesen Wäschereien spielte. McAleese, ein strammer Katholik aus Nordirland, legte seinen umfangreichen Bericht zu Beginn dieses Monats vor. Er beantwortete die gestellte Frage klipp und klar, obwohl er krampfhaft versuchte, die Verantwortung der katholischen Orden zu mindern: Der irische Staat war seit seiner Geburt im Jahre 1922 Komplize dieses Systems. Mehr als ein Viertel der Frauen wurde vom Staat eingewiesen. Sie waren zu arm, sie hatten ihre Eltern oder Fürsorger verloren, oder sie waren schwanger.

"Die Nonnen raubten mir mein Leben und das Leben, das ich anderen hätte schenken können", schreibt die inzwischen 78-jährige Kathleen Legg aus Tipperary. Ihre Mutter war unverheiratet und schob das Kind nach der Geburt zu ihrer Großmutter ab. Als sie elf Jahre alt war, wanderten Mutter und Tochter von Tipperary nach Dublin. Das Kind wurde ebenfalls in der Stanhope Street abgeladen. Es wurde in eine Uniform gesteckt, erhielt einen erfundenen Namen und die Nummer 27. "Ich war immer hungrig und am Rande des Verhungerns", erzählt Legg. Derweil verdienten die Nonnen gutes Geld mit ihren Sklavinnen. Sie schickten den Angehörigen sogar Zeugnisse, obwohl es überhaupt keinen Unterricht gab. Legg war bloß eine unter vielen Magdalenerinnen. So nannte man die Frauen, zurückgehend auf den 1224 gegründeten Orden, die mit Verachtung auch als "gefallene Mädchen" bezeichnet wurden.

Am Tag, als McAleese seinen Bericht veröffentlichte, sprach Regierungschef Kenny im Parlament. Er steht nicht im Ruf, ein Philosoph zu sein. Aber er habe das Herz am rechten Fleck, heißt es, und er verfüge über emotionale Intelligenz. Umso verblüffter waren seine Zuhörer, als Kenny sich in kleinlichen Wortklaubereien verstrickte und lediglich sein Bedauern darüber ausdrückte, dass mehr als 10.000 Frauen ohne Schuld zwischen 1922 und 1996 eingekerkert worden waren. Übereinstimmend wurde anschließend vermutet, Kenny sei wohl von den Juristen der Regierung instruiert worden, um riesigen Entschädigungsforderungen auszuweichen.

Diese Woche wetzte Kenny die Scharte aus: Er sprach von einem "grausamen, erbarmungslosen Irland", das diese Frauen versklavt habe. "Diese Werte, dieses Versagen, diese Fehler waren kennzeichnend für das magdalenische Irland." Die Abgeordneten und selbst der Parlamentspräsident erhoben sich nach Kennys Rede zum stehenden Applaus. Niemand konnte sich an eine vergleichbare Szene erinnern. Doch der Applaus galt nicht Kenny, sondern den Frauen, die auf dem Zuschauerbalkon saßen und sich umarmten. Sie hatten zäh auf dieser Entschuldigung bestanden. "Das ging weit über das hinaus, was wir erwartet hatten", freute sich Julie McClure tags darauf.

Ein pensionierter Richter, der überdies der Justizreformkommission vorsteht, soll in drei Monaten Vorschläge unterbreiten, wie der Lebensabend der überlebenden Frauen – vermutlich höchstens 1000 – erträglicher gestaltet werden könnte. Die Regierung, die sonst um jeden Cent feilscht, gibt sich großzügig und unbürokratisch, schon damit sich die Anwälte nicht erneut bereichern. Die Sklavinnen aus dem "Ausbildungszentrum" in der Stanhope Street, das noch von der Untersuchung ausgeschlossen worden war, weil es ja keine Wäscherei gewesen sei, sind nun auch unter den Berechtigten.

Irland verarbeitet seine dunkle Vergangenheit schrittweise. Der erwähnte Ryan-Bericht über das Grauen der "Industrial Schools", der Arbeitsheime unter kirchlicher Führung, hatte im Jahr 2009 schon einiges erreicht. Der Bericht über die Vertuschung von Kindesmissbrauch in der Diözese Cloyne veranlasste Kenny 2011, im Parlament den Vatikan in ungewohnt heftiger Manier zu kritisieren, weil er die Republik sabotiert habe. Aber man lebe, sagte er damals, nicht mehr im Land der Arbeitshäuser und der Magdalenen-Wäschereien, "in dem das Rauschen einer Soutane Gewissen und Menschlichkeit erstickte und das geschwenkte Weihrauchfass die irisch-katholische Welt regierte".

Es war, das wird immer klarer, ein Komplott unter drei Verschwörern: Die Kirche lieferte die zweifelhafte Ethik, der Staat stellte seine Zwangsmittel willfährig zur Verfügung, und die Gesellschaft schwieg, obwohl sie alles wusste. Den Preis bezahlte die ohnmächtige Unterschicht, die ihre Töchter und Söhne verriet. Der Profiteur dieser irischen Konformitätsneurose, die alles Andersartige rücksichtlos einsperrte, war der irische Mittelstand, der die Zügel nahtlos von der britischen Kolonialmacht übernommen hatte. Die Katharsis, der schamvolle Rückblick in die eigene Vergangenheit, ist schon weit gediehen. Noch fehlen allerdings Angaben über die Praxis in den Irrenhäusern, wo die Missliebigen, die zu alt für die "Industrial Schools" waren und das falsche Geschlecht für die Wäschereien hatten, ebenfalls eingekerkert wurden.




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