| „diese Alten Manner Werden Sich Nie Andern“
Brennpunkt Ortenau
February 12, 2013
http://brennpunkt-ortenau.de/politik-und-wirtschaft/diese-alten-manner-werden-sich-nie-andern/
Anfang des Jahres kundigte die katholische Kirche den Vertrag mit dem Kriminologischen Institut Niedersachsen, das den Missbrauchsskandal in Deutschland wissenschaftlich untersuchen sollte. Die Erzdiozese Freiburg hat eine eigene Untersuchung in Auftrag gegeben. Wird sie tatsachlich alle Falle von sexuellem Missbrauch in der Ortenau offenlegen?
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Gott schuzte unser Tal, steht unter dem Christuskreuz in Oberharmersbach. Von 1967 bis 1992 missbrauchte der Pfarrer dort uber 100 Jugendliche.
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„Gott schutze unser Tal“ steht unter dem Christuskreuz an der Dorfstra?e in Oberharmersbach. Von 1967 bis 1992 hatte es eigentlich hei?en mussen: „Gott schutze uns vor unserem Pfarrer.“ Denn was sich in dieser Zeit in dem kleinen Kurort abgespielt hat, erinnert mehr an einen Hollywood-Thriller als an die Realitat. Pfarrer Buhler, der damalige Seelsorger der Gemeinde, hat wahrend seiner gesamten Zeit in Oberharmesbach systematisch Ministranten und andere Jugendliche missbraucht. Schatzungen gehen von 100 bis 150 Opfern aus. „Mehrere Generationen von jungen Mannern sind davon betroffen“, erzahlt der Oberharmersbacher Raphael Hildebrandt. Auch ihn vergewaltigte der Pfarrer immer wieder. „Insgesamt waren es so 400 mal“, schatzt er. „Aber heute wei? ich: Ich hatte noch Gluck. Andere sind doppelt so oft von ihm missbraucht worden.“
Oberharmersbach ist bei weitem nicht die einzige Gemeinde, in der ein Pfarrer seine Position ausnutzte. Im Jahr 2010 war bekannt geworden, dass in katholischen Einrichtungen in ganz Deutschland jahrzehntelang Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht worden waren. Der Skandal erschutterte die Kirche tief. Sie versprach, alle Falle offenzulegen und unterschrieb 2011 einen Vertrag mit dem Kriminologischen Institut Niedersachsen (KFN). Der Leiter des Instituts, Christian Pfeiffer, sollte die Ubergriffe wissenschaftlich untersuchen.
„Ruckschlag fur neuen Kurs.“
Doch Anfang Januar teilte die katholische Kirche uberraschend mit, dass sie diesen Vertrag gekundigt hat. Wie viele Opfer, so au?ert sich auch Raphael Hildebrandt enttauscht uber diesen Schritt: „Ich glaube schon, dass Herr Pfeiffer wirklich den Willen hatte, alles schonungslos aufzuarbeiten.“ Weil der Kriminologe Pfeiffer jetzt eine eigene Untersuchung angekundigt hat, hat Raphael Hildebrandt dem Forschungsinsitut einen Brief geschrieben: „Die konnen alles von mir haben, die ganzen Unterlagen.“
Ahnlich enttauscht uber die Absage der Missbrauchsstudiezeigt sich auch Matthias Burkle, Seelsorger der Heilig-Kreuz-Kirche in Offenburg: „Das ist wirklich schade. Der neue Kurs hat jetzt wieder einen Ruckschlag bekommen. Damit geht naturlich wieder Vertrauen in die katholische Kirche verloren.“ Wie Recht Burkle damit hat, bestatigt eine Forsa-Umfrage, die am Mitte Januar in der Zeit-Beilage „Christ und Welt“ veroffentlicht wurde: 75 Prozent der Befragten glauben, die Kirche wolle eine vollstandige Aufklarung verhindern.
Erzdiozese beauftragt Anwaltin mit Aufarbeitung
Dabei ware diese Aufklarung gerade fur die Ortenau besonders wichtig. So raumt auch Matthias Burkle ein: „Mit Oberharmersbach hatten wir deutschlandweit einen der schlimmsten Falle. Das war ein massiver Vertrauensverlust.“ Um dieses Vertrauen wiederherzustellen, hat die Erzdiozese Freiburg selbst eine Untersuchung in Auftrag gegeben und eine unabhangige Beraterin engagiert. Rechtsanwaltin Angelika Musella aus Freiburg arbeitet derzeit an einer statistischen Aufarbeitung aller Missbrauchsfalle in der Erzdiozese. Wird sie anstelle von Christian Pfeiffer zumindest fur die Ortenau alles offenlegen, was bisher noch im Dunkeln liegt? Schriftlich teilt Angelika Musella Brennpunkt Ortenau mit: „Die Aufarbeitung ist meiner Meinung nach umfassend, da samtliche Vorfalle bzw. Vorwurfe gesichtet, untersucht und erfasst werden – auch der gro?e Teil jener Falle, die nach Prufung und Auffassung der Staatsanwaltschaft unterhalb der Strafbarkeitsschwelle lagen.“
“Die Kirche will keine Aufklarung.”
An eine solche „umfassende Aufarbeitung“ glaubt Raphael Hildebrandt schon langst nicht mehr. Zu oft ist er von der katholischen Kirche enttauscht worden. Hildebrandt war 1995 der erste, der den Pfarrer anzeigte. Fur ihn begann damit eine jahrzehntelange Odyssee. „Fakt ist aus meiner Sicht, dass sie eigentlich gar keine Aufklarung wollen. Die Erfahrung musste ich immer wieder machen“, erklart er. „Der Auftrag ist einfach zuruckgezogen worden, weil sie wahrscheinlich wissen, was noch rauskommen wurde.“ Die Interviews des Missbrauchsbeauftragten der katholischen Kirche, Stephan Ackermann, verfolgt er in den Medien aufmerksam. Auch auf ihn ist er nicht mehr gut zu sprechen: „Wenn ich schon so etwas hore: Die Kirche ist enttauscht worden. Also da muss ich eben gerade lachen, wenn ich daran denke, wie sie mit uns umgegangen sind. Das war wirklich menschenverachtend.“
Kirche zahlte 50 Euro pro Vergewaltigung
Uber zwei Jahre lang hat Hildebrandt fur eine Entschadigung gekampft. Zusammen mit sieben anderen Opfern engagierte er 2010 den renommierten Anwalt Ingo Len?en. Heute sagt er: „Wenn wir da selber nichts unternommen hatten und uns nicht einen so guten Anwalt geholt hatten, dann ware da gar nichts passiert.“ Am Ende zahlte die katholische Kirche an Raphael Hildebrandt 20.000 Euro. „Die meisten haben aber nur 5.000 Euro bekommen. Das ist ein Witz.” Fur Hildebrandt sind auch die 20.000 Euro noch immer nicht angemessen: „Wenn bei der Bundesbahn die Klimaanlage ausfallt, bekommt man bis zu 500 Euro wegen der Ubertemperatur. Und dann wird man Jahre lang schwer misshandelt und bekommt weniger. Ich meine, das sind 50 Euro pro Ubergriff. Da stimmen doch die Relationen nicht.“ Oft wurde ihm und den anderen sieben Opfern auch vorgeworfen, dass es ihnen nur ums Geld gehen wurde. „Das hat mit dem alles nicht zu tun“, sagt Hildebrandt. „Denn letztendlich ist es ein tagtaglicher Kampf, mit den Folgen zu leben.“
“Da geht es nicht um den Gauben an Gott. Sondern um Macht.”
Auch an der Unabhangigkeit von Angelika Musella zweifelt Raphael Hildebrandt. „Mir gegenuber ist sie als naja, sagen wir mal gefuhlsneutrale Anwaltin aufgetreten, die sich fur die Belange der katholische Kirche einsetzt – nicht fur die Opfer.“ Letztlich sei auch das „wieder alles nur Show. Fur mich geht es da nicht um den Glauben an Gott. Sondern um Macht.“ Dann blickt er auf den ein Meter hohen Stapel von Akten und Briefen in seinem Arbeitszimmer. „Diese alten Manner werden sich nie andern.“
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