| «die Katholische Kirche Hat Gemerkt, Dass Ein Neuer Wind Weht»
By Barbara Vogt
Aargauer Zeitung
February 9, 2013
http://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/die-katholische-kirche-hat-gemerkt-dass-ein-neuer-wind-weht-126030983
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Wildegg: Die Kirche St. Antonius bildet den geistig-architektonischen Mittelpunkt der Pfarrei.
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Wegen sexueller Übergriffe traten im Jahr 2010 viele Gläubige aus der katholischen Kirche aus. Obwohl immer noch viele der Kirche den Rücken kehren, hat sich nun die Lage entspannt.
Im vergangenen Jahr traten fünf Personen der katholischen Kirchgemeinde Lenzburg bei. Nichts Spektakuläres. Laut Kirchenpflegepräsidentin Yvonne Rodel bewegt sich die Zahl der jährlichen Neueintritte jeweils zwischen fünf und zehn Personen. Gleichzeitig gaben im vergangenen Kirchenjahr 125 Mitglieder den Austritt. Dies ist schon eher speziell, das sind nämlich 48 Austritte weniger als im Jahr zuvor.
Wenn es in den letzten Jahren auch immer wieder zu Austritten kam, geht jetzt wenigstens die Anzahl zurück – und zwar im ganzen Kanton: 2010 drehten über 3800 Mitglieder der römisch-katholischen Kirche Aargau den Rücken zu, 2011 waren es noch 2430. Die Zahlen für das Kirchenjahr 2012 sind in der Statistik noch nicht definitiv erfasst.
Viele Austritte im Jahr 2010
Die Geschichten über die sexuellen Missbräuche habe die Kirche erschüttert», sagt Christian Breitschmid, der Kommunikations-Beauftragte der Römisch-katholischen Landeskirche Aargau. 2010 war die katholische Kirche in die Schlagzeilen, als im Bistum Chur und in Einsiedeln sexuelle Übergriffe ans Tageslicht kamen. Das habe viele zu einem Austritt bewogen, so Breitschmid. Doch sieht er Licht am Horizont: «Wir haben die Krise überstanden.»
Auch Yvonne Rodel meint: «Seit die Missbrauch-Thematik in den Hintergrund getreten ist, haben die Menschen wieder mehr Vertrauen in ihre Kirche. Sie bleiben aus Überzeugung in der Kirche und fühlen sich aufgehoben bei uns.»
Einsatz zahlt sich aus
Das allein ist nicht der Grund für den abgeschwächten Rückgang. Die engagierte Arbeit der Seelsorger und Mitarbeiter der katholischen Kirche Lenzburg trage zu einem positiven Kirchenbild bei, ist Kirchenpflegepräsidentin Yvonne Rodel überzeugt. Die Katechetinnen verstünden es, die Kinder im Unterricht zu motivieren, und die Gottesdienste seien – insbesondere an Festtagen – «überdurchschnittlich gut» besucht,
«Ich bemühe mich um Offenheit in der Kirche», sagt Roland Häfliger, Pfarrer bei der Katholischen Kirchgemeinde Lenzburg. Es sei wichtig, dass die Kirche als Raum positiv wahrgenommen werde und sich die Menschen darin wohlfühlten. In Lenzburg besteht die Möglichkeit, jederzeit in die Kirche zu gehen, um Kerzen anzuzünden oder einfach zu verweilen.
Der Pfarrer als Showman
Roland Häfliger bezeichnet die offenen Kirchentüren als niederschwelliges Angebot, das ein Kirchenbesucher dereinst zu einem Kirchenbeitritt bewegen könne. Auch eine ansprechend gestaltete Abdankung oder Hochzeit können Besucher, die bei der Zeremonie dabei sind, jedoch nicht der katholischen Kirche angehören, zu einem Beitritt bewegen. «Menschen sollen unsere Kirche positiv erleben, sonst erreichen wir sie nie und sie verschwinden in der Anonymität.»
Die Gestaltung eines Gottesdienstes sei ein Gesamtkunstwerk, sagt Roland Häfliger. «Die musikalischen Elemente müssen stimmen und die Predigten packend sein. Da kann der Pfarrer schon mal als Showman auftreten. Doch zelebriert er das Sakrale bewusst mystisch, geheimnisvoll.»
Leute mit gutem Angebot abholen
Es gibt einen dritten Grund, wieso die Menschen wieder in der Kirche bleiben: «Sie setzen sich vermehrt mit Glaubensfragen auseinander», sagt Christian Breitschmid. Sie suchten nach der Spiritualität, die über die Jahre hinweg vergessen gegangen sei. Viele würden diese in der Kirche wieder finden.
Jetzt müsse man die Leute nur noch mit guten Angeboten abholen, so Breitschmid. «Die katholische Kirche hat gemerkt, dass ein neuer Wind weht. Heute müssen die Priester zu den Leuten gehen und nicht mehr die Leute zu den Priestern.»
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