| Leichte Beute Der Kritik
der Freitag
February 1, 2013
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Kirche Die Emporung uber die verschobene Aufklarung des Missbrauchsskandals bei den Katholiken verdeckt: Auch die Politik ist bisher untatig geblieben
Vielleicht war Christian Pfeiffer einfach blauaugig, als er sich im Juli 2011 uber den einstimmigen Beschluss der deutschen Bischofe freute: „Es war ein sehr langsamer Prozess“, sagte der Hannoveraner Kriminologe damals, „es gab Angste und wir mussten Vertrauen gewinnen.“ Doch schlie?lich war er davon uberzeugt, dass die Bischofe ihm und seinem Team freie Hand lassen wurden, um das Ausma? sexuellen Missbrauchs im Bereich der katholischen Kirche „ohne Scheuklappen“ zu untersuchen.
Sei es nun, dass Pfeiffer die Bischofe unterschatzt oder sich selbst uberschatzt hat im Umgang mit ihnen: Seit vergangener Woche jedenfalls ist das Tischtuch zwischen seinem Auftraggeber, der katholischen Bischofskonferenz, und dem niedersachsischen Forschungsinstitut, dem Pfeiffer vorsteht, zerschnitten. Die in der Konferenz zusammengeschlossenen 27 Diozesen der katholischen Kirche in Deutschland haben die Zusammenarbeit aufgekundigt und den Vertrag „aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung“ gekundigt.
Worin der „wichtige Grund“ bestanden hat, wird unterschiedlich interpretiert. Offiziell furchten die Bischofe, dass Pfeiffer und seine Mitarbeiter datenschutzrechtliche Vorgaben nicht genugend berucksichtigen wollten. Absprachen, so ihr Missbrauchsbeauftragter, der Trierer Bischof Stefan Ackermann, seien von Pfeiffer immer wieder uminterpretiert worden. Dieser hingegen wirft seinen Auftraggebern vor, seine Forschungsarbeit inhaltlich kontrollieren und sogar bei der Anstellung neuer Mitarbeiter mitmischen zu wollen. Daruber hinaus verdachtigt er einzelne Diozesen, brisante Personalakten vernichtet zu haben, die Auskunft uber Missbrauchsdelikte geben konnten. Damit ist die weltweit gro?te Missbrauchsstudie in der katholischen Kirche, die nicht nur die Opfer, sondern auch die Tater in den Blick nehmen sollte, zunachst einmal auf Eis gelegt.
Versuch einer Offensive
Der Sprung nach vorn, der die katholische Kirche aus der Defensive hatte bringen sollen, war offenbar doch zu weit angelegt. Die 2010 vom Leiter des Berliner Canisius-Kollegs angesto?ene Debatte um sexuell motivierte Ubergriffe durch Priester und Lehrer hatte die Kirche zu einem offentlichen Uberraschungscoup genotigt, der zeigen sollte, dass ihre Oberen an einer schonungslosen Untersuchung interessiert sind. Mit Pfeiffer kauften sie sich einen prominenten, aber auch streitbaren Forschungsleiter ein. Jedenfalls kein Schafchen, das Pfiffen folgen und Stinkendes ins Gras treten wurde.
Dass es viel Missliebiges zu entdecken gab, beweisen schon die nackten Zahlen. In den vergangenen zehn Jahren wurde gegen etwa 150 Priester wegen sexualisierter Gewalt ermittelt – wenige im Vergleich zu anderen Tatergruppen und meist ohne Konsequenzen fur sie. Das bestatigte auch die von der Deutschen Bischofskonferenz im Marz 2010 – also noch vor dem Auftrag an Pfeiffer – ausschlie?lich fur die Missbrauchsopfer eingerichtete und intensiv genutzte Hotline. Die offentliche Diskussion aktualisierte bei den Betroffenen offensichtlich verdrangte Erinnerungen, die sie in Gesprachen mit den Mitarbeitern der Hotline erstmals loswerden konnten. Insbesondere altere Manner, die in den funfziger bis siebziger Jahren sexuelle Ubergriffe erlebt hatten, brachen das Schweigen und berichteten uber ihre Gewalterfahrungen. Von den alleine im Rahmen der Hotline erhobenen Delikte im kirchlichen Umfeld wurden in 468 Fallen Priester als Tater benannt, berichtete schon der Zwischenbericht im Mai 2011.
Die Abgrunde katholischen Fehlverhaltens wurden auch in einer anderen Studie offenbar, die Reinhard Marx, Erzbischof von Munchen und Freising, in Auftrag gab. Dort durchforstete die Rechtsanwaltin Marion Westphal 13.200 Personalakten und wurde bei 159 Priestern und 96 Religionslehrern fundig, von denen kaum einer zur Rechenschaft gezogen wurde. Am Ende landete die Studie im Giftschrank und ist nur noch „fur den Dienstgebrauch“ zuganglich. Was an die Offentlichkeit gelangte, bestimmte das Erzbistum – das nun, zusammen mit dem „Netzwerk katholischer Priester“, die Trennung von Pfeiffer forcierte.
Um eine „Beruhigung der Kampfzone“ war es den Bischofen auch gegangen, als sie zum Abschluss des „Runden Tisches“ 2011 vorpreschten und den Opfern sexueller Gewalt, deren Anspruche bereits verjahrt waren, 5000 Euro Pauschalentschadigung in Aussicht stellten – die Untergrenze dessen, was deutsche Gerichte in entsprechenden Fallen zuerkennen. Das hat bei den Betroffenen viel Unmut ausgelost und den Verdacht erhartet, die Kirche wolle sich moglichst billig von ihrer Verantwortung freikaufen.
Verteidigung der Wagenburg
Aus diesem Grund zeigen sich Opferorganisationen und Betroffene wenig uberrascht, dass die katholische Kirche dem „widerspenstigen“ Professor nun den Auftrag gekundigt hat. Norbert Denef, Sprecher eines Netzwerkes von Betroffenen, sieht seine Befurchtungen bestatigt: „Das Modell“, sagte er der Frankfurter Rundschau, „konnte auf Basis einer freiwilligen Selbstverpflichtung einfach nicht funktionieren“. Viele Opfer hatten von Anfang an kein Vertrauen in die Institution Kirche gehabt. Ahnlich sieht es Miguel Abrantes Ostrowski, Autor des Buches Sacro Pop. Ein Schuljungen-Report: „Ich habe nicht an die Selbstaufklarung der katholischen Kirche geglaubt.“
Die Annahme, dass eine Institution, die nach wie vor ihre solitare Gerichtsbarkeit verteidigt und kirchenrechtliche Archivprinzipien vorschutzt, um moglicherweise unliebsame Fakten zu vertuschen, „schonungslos“ uber sich selbst berichten lassen wurde, ist allerdings auch ein wenig naiv. Das kriminologische Forschungsdesign von Christan Pfeiffer war darauf ausgerichtet, die Strukturen, die sexualisierte Gewalt im katholischen Umfeld befordern, aufzudecken. Denn weitgehend unkontrollierte Institutionen mit eigenen Regeln, so die Hypothese, neigen dazu, Verfehlungen in den eigenen Reihen zu ubersehen. Bei allen Unterschieden zwischen den Einrichtungen der Reformpadagogik und der katholischen Kirche verbinde sie ihre Struktur, konstatierte der Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch schon wahrend der Hochphase der Missbrauchsdebatte: „Es handelt sich in beiden Fallen um geschlossene Anstalten, die wie Wagenburgen organisiert sind, nach au?en abgeschottet und nach innen eine verschworene Gemeinschaft mit charismatischen Anfuhrern. Es werden familienahnliche Strukturen ausgebildet, und die Familie darf nicht verraten werden. Was dort passiert, dringt nicht nach au?en.“
Von dieser „Verschworenheit“ nach au?en konnen sich offensichtlich auch die katholischen Bischofe nicht losen. Nicht personlicher Datenschutz, sondern der Schutz der gesamten Institution, als deren unlosbarer Teil die Tater nach wie vor gelten, ist ihr Anliegen. Die Entlastung, die sie sich von Pfeiffer versprachen, ist zum unkalkulierbaren Risiko geworden, zumal Pfeiffer gewiss nicht zu den Wissenschaftlern gehort, die den medialen Zugewinn der Auftragsloyalitat opfern wurden.
So macht sich die katholische Kirche wieder einmal zur leichten Beute der offentlichen Emporung, in die Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) gerne einstimmt. Uber dem Grollen gegen die Bischofe lasst sich namlich leicht vergessen, dass sie es war, die am Runden Tisch die Selbstverpflichtung der Institutionen zur Aufklarung durchgesetzt hat. Das ist, beklagte Denef vom Netzwerk Betroffener schon damals, als ob man die Mafia beauftrage, ihre Verbrechen zu untersuchen. Ein gemeinsamer Entschadigungsfonds, aus dem Beratung und Therapie hatte finanziert werden konnen, hat die Justizministerin ebenso wenig auf den Weg gebracht, wie auch das Gesetz, das die Rechte der Opfer sexualisierter Gewalt starkt, bis heute nicht in Kraft getreten ist. Noch immer verjahren zivilrechtliche Anspruche der Betroffenen nach drei Jahren. Sie mussen den Grad ihrer Schadigung beweisen und sind nach wie vor auf die genannten Almosen der Kirche oder anderer Institutionen angewiesen. Vertrauensbildung in Kirche und Staat sieht anders aus.
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