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Kriminologe Pfeiffer Uber Missbrauchsstudie: "Ich Habe Den Kooperationspartner Kirche Unterschatzt"

By Barbara Hans
The Spiegel
January 22, 2013

http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/christian-pfeiffer-spricht-im-interview-ueber-den-streit-mit-der-kirche-a-878441.html

Die Missbrauchsstudie der katholischen Kirche mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen ist gescheitert - aber wer tragt die Schuld? KFN-Chef Pfeiffer wehrt sich im Interview gegen Kritik an seinem Vorgehen und sagt: "Es ist der gro?te Frust meines gesamten Wissenschaftlerlebens."

Kriminologe Pfeiffer: "Die Opfer mussen die wahren Grunde fur das Scheitern erfahren"

2010 erschutterte der Missbrauchsskandal die katholische Kirche: Immer mehr Opfer brachen ihr Schweigen, anhand immer weiterer Falle wurde deutlich, wie die Kirche auf die Ubergriffe durch Geistliche jahrelang reagiert hatte - indem sie die Kirchenleute versetzte, die Taten vertuschte. Die Glaubwurdigkeit der Kirche war ramponiert.

Gemeinsam mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) wurde im Juli 2011 ein Forschungsprojekt aufgelegt, das die Personalakten Geistlicher untersuchen sollte. Nun, rund anderthalb Jahre spater, ist das Projekt gescheitert.

"Wir waren unter einem immensen Druck vor drei Jahren, als die Missbrauchsfalle bekannt wurden", sagte Bischof Stephan Ackermann vor wenigen Tagen in einem Interview mit SPIEGEL ONLINE. Au?erdem erhob er schwere Vorwurfe gegen den Leiter des KFN: Die Kundigung des Vertrags habe "wirklich viel mit der Person Pfeiffer zu tun".

In einem zweiten Interview au?ert sich nun Kriminologe Pfeiffer zu den Grunden, aus denen das Projekt scheiterte - und den Lehren, die er personlich aus dem Debakel zieht.

SPIEGEL ONLINE: Herr Pfeiffer, warum ist die Kooperation mit der katholischen Kirche und damit die Aufarbeitung des Missbrauchs gescheitert?

Pfeiffer: Das Projekt ist an den Bedrohungsgefuhlen gescheitert, die unsere Forschungsplane bei der Kirche ausgelost haben. Auf diese Angste reagierten viele Kirchenvertreter mit dem Wunsch nach mehr Kontrolle. Kurz vor dem Start der eigentlichen Datenerhebung wurden wir im Mai 2012 mit der Forderung konfrontiert, dass Studienergebnisse nur mit Billigung der Kirche veroffentlicht werden durfen. Aus wissenschaftlicher Sicht ist das unzumutbar.

SPIEGEL ONLINE: Das Projekt ist mit viel Getose gestartet worden, es war mit gro?en Hoffnungen verbunden. Haben Sie versucht, es zu retten?

Pfeiffer: Wir hatten in den ersten Monaten mit konkreten Vorbereitungsarbeiten fur die Aktenanalyse und die Opferbefragung einen guten Start und konnten auch gemeinsam mit Kirchenvertretern ein sehr gutes Datenschutzkonzept entwickeln. Ausgehend von der Erzdiozese Munchen-Freising gab es dann aber wachsende Widerstande. Zwar hat uns Bischof Ackermann noch bis Mai 2012 darin unterstutzt, den geltenden Vertrag umzusetzen. Aber ab dann setzten sich in der Kirche diejenigen durch, die das Projekt durch Anderungen des Vertrags unter Kontrolle halten wollten.

SPIEGEL ONLINE: Inzwischen geht es vor allem um die Deutungshoheit uber den Konflikt. Die Kirche geht gerichtlich gegen Sie vor.

Pfeiffer: Die Kirche hat in der Tat am 13. Januar beim Landgericht Hamburg den Erlass einer Einstweiligen Verfugung gegen mich beantragt. Ich sollte nicht mehr behaupten durfen, dass die Kirche gegenuber dem KFN als Vorbedingung fur das weitere Forschen Zensurwunsche geltend gemacht hat. Am 16. Januar ist dann bei den Gerichten unsere Schutzschrift eingegangen. Daraufhin hat die Kirche ihren Antrag auf Erlass der Einstweiligen Verfugung zuruckgezogen. Sie wird nun die Kosten einschlie?lich unserer Anwaltsgebuhren zu tragen haben. Und ich kann weiterhin ohne Maulkorb das verkunden, was ich von Beginn an als Grund des Scheiterns benannt hatte. Die Unterlassungsandrohung war reine Show.

SPIEGEL ONLINE: Ab welchem Punkt war fur Sie klar, dass das Projekt nicht mehr zu retten ist?

Pfeiffer: Der Bruch kam, nachdem ich Ende Oktober mit zwei Briefen an die Bischofe klaren wollte, ob sie noch hinter dem Projekt und unserem Vertrag stehen. Die Kirche hat das als Vertrauensbruch bewertet. Ich sah keinen anderen Weg, weil ich die Bischofe auch fragen musste, in welchem Ausma? es bei ihnen zu Aktenvernichtungen gekommen ist. Das konnten nur sie beantworten und nicht der Verband der Diozesen Deutschlands.

SPIEGEL ONLINE: Am Ende ist es wie in einer Beziehung: Es bleibt die Frage, wer Schluss gemacht hat. Haben Sie die Zusammenarbeit fur beendet erklart oder waren es die Vertreter der Kirche?

Pfeiffer: Die Kirche hat gekundigt, nachdem wir uns geweigert hatten, einen Auflosungsvertrag zu unterschreiben, der uns zum Schweigen verpflichtet hatte.

SPIEGEL ONLINE: Fur die Kirche handelte es sich um ein Prestigeprojekt, dessen Umsetzung nach dem Missbrauchsskandal von gro?er Bedeutung war. Warum hat sie die Zusammenarbeit beendet?

Pfeiffer: Es gibt einen Moment, von dem ich ruckblickend denke, dass er entscheidend war. Ich habe vor Vertretern der Kirche einen Vortrag gehalten, warum der sexuelle Missbrauch in den USA in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zuruckgegangen ist. Die Erkenntnis der dort durchgefuhrten Studie war: nur 5 Prozent der Tater innerhalb der Kirche waren padophil, 95 Prozent sogenannte Ersatzhandlungstater, die sich an Kindern vergehen, weil der von ihnen bevorzugte Sexualpartner nicht verfugbar ist. Doch das hat sich durch die sexuelle Revolution gewandelt. Priester, die sich nicht an den Zolibat halten wollten, konnten mit ihren Wunschpartnern Beziehungen eingehen. Doch dieser Erklarungsansatz war fur die Kirche eine enorme Bedrohung.

SPIEGEL ONLINE: Die Erklarung ware doch fur die Kirche eher von Vorteil gewesen.

Pfeiffer: Die Kirche hat diese Liberalisierung der Sexualmoral uber Jahrzehnte bekampft. Sollte meine Hypothese stimmen, ware die sexuelle Revolution von Vorteil gewesen fur die Kirche. Sie drohte, ihre alte Bastion zu verlieren. Auch der Zolibat war bedroht.

SPIEGEL ONLINE: Die Anwalte der Bischofskonferenz haben Ihnen unterstellt, Sie wollten die Forschungsergebnisse am liebsten in der "Gala" veroffentlichen.

Pfeiffer: Ich habe das als Provokation empfunden und gedacht: Vielleicht ist das der Versuch, uns zu einer Kundigung des Vertrags zu bewegen, damit man uns nicht kundigen muss. In den vergangenen Wochen bin ich haufig personlich angegriffen worden. Bewusst habe ich nie entsprechend zuruckgeschlagen. Wenn mir standig vorgehalten wird, ich hatte mit meinem Zensurvorwurf die Unwahrheit gesagt, zeigt das nur: Die, die so etwas behaupten, nehmen das 8. Gebot nicht ernst. 'Du sollst nicht falsches Zeugnis reden wider deinen Nachsten.'

SPIEGEL ONLINE: Bischof Ackermann sagt, "die Kundigung des Vertrags hat wirklich viel mit der Person Pfeiffer zu tun".

Pfeiffer: Das sind alles Ablenkungsmanover. Fur mich ist das schlechter Stil. Die Kirche diffamiert mich, weil ihr Sachargumente fehlen.

SPIEGEL ONLINE: Die Kirche spricht von einem Vertrauensbruch. Wie ist ihr Verhaltnis?

Pfeiffer: Ich bin von einigen menschlich sehr enttauscht. Dass Pater Langendorfer die Chuzpe hat, in der "Beckmann"-Sendung zu behaupten, ich hatte die Unwahrheit gesagt, schockiert mich geradezu. Unter welchem Druck muss dieser an sich doch kluge und kultivierte Mensch stehen, dass er so vom Kurs abkommt?

SPIEGEL ONLINE: Hatten Sie es nicht im Interesse der Opfer schaffen mussen, friedlich auseinanderzugehen? So haben alle Schaden genommen - vor allem das Projekt selbst.

Pfeiffer: Gerade die Opfer mussen die wahren Grunde fur das Scheitern des Projekts erfahren. Deswegen kam ein friedliches Auseinandergehen, bei dem sich beide Seiten zum Schweigen verpflichten, fur mich nicht in Betracht.

SPIEGEL ONLINE: Man kann den Eindruck gewinnen, in diesem Streit kreisen alle Beteiligten derzeit vor allem um sich selbst. Was sagen Sie den Opfern, die gro?e Hoffnungen in die Untersuchung gesetzt hatten - und jetzt vor allem wutend sind?

Pfeiffer: Ihre Wut ist berechtigt. Ich bitte die Opfer um Verstandnis dafur, dass wir unter den Bedingungen der Kontrolle und Zensur nicht forschen konnen. Wir bitten die Opfer, beim KFN unseren Fragebogen anzufordern, damit sie ihn anonym ausfullen und zurucksenden konnen. Wir mochten aufdecken, was sie erlebt haben und wie die Kirche mit ihnen umgegangen ist. Die Opfer haben einen Anspruch darauf, dass das geklart wird.

SPIEGEL ONLINE: Wie werten Sie personlich den Bruch?

Pfeiffer: Es ist der gro?te Frust meines gesamten Wissenschaftlerlebens, dass dieses Projekt nicht realisiert werden kann.

SPIEGEL ONLINE: Bleibt nach all dem Unmut etwas, dass Sie aus der Auseinandersetzung gelernt haben?

Pfeiffer: Ich habe den Kooperationspartner Kirche in seiner Komplexitat unterschatzt. Ich war euphorisch. Mit den Vertragspartnern haben wir bei gutem Wein gemeinsam auf das Gro?e angesto?en, was wir vorhatten. Doch dann war alles viel schwieriger als ich gedacht hatte. Ich war naiv.

 

 

 

 

 




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