| Wieder Unter Verdacht
By Daniel Deckers
Frankfurter Allgemeine
January 17, 2013
http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/katholische-kirche-wieder-unter-verdacht-12028396.html
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Ein „Verein von Dunkelmannern“ geblieben? Eroffnungsgottesdienst der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz
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Eines muss man den katholischen Bischofen in Deutschland lassen: Sie haben es versucht. Anders als die Odenwaldschule, anders als der Deutsche Olympische Sportbund, anders als die Kultusministerien der Lander und auch anders als die Evangelische Kirche in Deutschland haben sie vor zwei Jahren ein Forschungsprojekt ins Leben gerufen, um Art und Ausma? sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in ihrem Verantwortungsbereich auf die Spur zu kommen. Als die Bischofe im Jahr 2002 erste Leitlinien zum Umgang mit Fallen sexuellen Missbrauchs im Raum der Kirche verabschiedeten, war die katholische Kirche zudem die einzige Institution in Deutschland, die uber ein solches Regelwerk verfugte. Daran hat sich bis heute nichts geandert.
Was derzeit den Mitarbeitern und Einrichtungen in den 27 Bistumern unter dem Stichwort „Pravention“ an Fuhrungszeugnissen, Schulungen und Selbstverpflichtungen abverlangt wird, sucht gleichfalls seinesgleichen. Uberdies entstehen seit dem vergangenen Jahr im Zusammenwirken kirchlicher und universitarer Einrichtungen in Deutschland und im Vatikan internetbasierte Praventionskonzepte, die an verschiedene Kulturkreise angepasst werden und dann weltweit Schule machen sollen.
Unausweichliches Scheitern
Dennoch sieht sich die katholische Kirche in Deutschland in diesen Tagen wieder dem Verdacht ausgesetzt, ein Verein von Dunkelmannern geblieben zu sein, der im Zweifelsfall dem Schutz der Institution und der Fursorge gegenuber Tatern immer noch Vorrang gebe vor der Perspektive der Opfer und der Anderung von Strukturen und Mentalitaten. Das jedenfalls ist der Kern der Vorhaltungen, die von interessierter Seite kolportiert werden, um das Scheitern des im Sommer 2011 vertraglich besiegelten Forschungsvorhabens zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der Kirche mit dem Kriminologen Pfeiffer zu erklaren.
Doch selbst wenn die „Lernkurve“ in der Kirche viel flacher verlaufen sein sollte als offentlich dargetan: Die Ursachen fur das Zerwurfnis zwischen Pfeiffer und der Bischofskonferenz liegen nicht im mangelnden Aufklarungswillen der Kirche oder in der Missachtung der Freiheit der Wissenschaft. Vielmehr war das sich „wissenschaftlich“ nennende Projekt von beiden Seiten mit derart vielen Erwartungen uberfrachtet und mit noch mehr Dilettantismus vorbereitet worden, dass Schiffbruch an den Klippen der Datenerhebung sowie des Schutzes von Daten- und Personlichkeitsrechten unausweichlich war.
Unprofessionalitat und Selbstuberschatzung
Dass die Kirche als „Taterorganisation“ wahrgenommen wird, liegt aber nicht nur in diesem Fall an einer fatalen Mischung aus Unprofessionalitat und Selbstuberschatzung. Auch das Kommunikationsverhalten der Kirche krankt immer mehr an dieser Kombination. Doch keine Regel ohne Ausnahme: Das Erzbistum Munchen etwa lie? schon im Jahr 2010 von unabhangigen Gutachtern einen Bericht uber sexuelle Ubergriffe kirchlicher Mitarbeiter von Priestern bis zu Lehrern im Kirchendienst anfertigen.
Dabei stellte sich nicht nur heraus, dass in der Vergangenheit in gro?em Stil Akten vernichtet oder manipuliert worden waren. Was in dem im Dezember 2010 veroffentlichten Abschlussbericht hinsichtlich jener kirchlichen Strukturen und Mentalitaten festgehalten wurde, die sexuelle Gewalt im Raum der Kirche begunstigten, durfte bis vor einigen Jahren in allen Bistumern und kirchlichen Einrichtungen „normal“ gewesen sein: verdrangen, verschleiern, vertuschen.
Vermessung des Hellfeldes
Damit ist aber auch seit zwei Jahren klar, was „Aufklarung“ in Deutschland leisten kann und was nicht - und was geandert werden muss, damit die Kirche ein sicherer Raum fur Kinder und Jugendliche sein kann. Wegen der prekaren Aktenlage wird es nicht mehr moglich sein, das Ausma? sexueller Gewalt quantitativ und qualitativ prazise zu erfassen. Doch zeigt das Munchner Gutachten, dass die weitere Auswertung der Archive eine conditio sine qua non fur jede weitere Analyse ist.
Daher ware viel gewonnen, wenn nach dem Scheitern des Pfeiffer-Projekts alle Bistumer dem Munchner Vorbild folgten und ihre Akten mit Hilfe externen Sachverstands so erschlossen, dass der Wissenschaft standardisierte Datensatze zur Verfugung gestellt werden konnten, die wenigstens fur eine Vermessung des Hellfeldes taugten. Zusammen mit den Daten, welche die gleichfalls weltweit einmalige Hotline der Bischofskonferenz seit 2010 uber sexuelle Gewalt in der Kirche erhoben hat und die nun allgemein zuganglich sind, durfte jedem Bedurfnis nach „Aufklarung“ Genuge getan werden - gerade um des Respekts vor den Opfern willen.
Ebenso dringlich ist aber eine Veranderung jener klerikal-mannerbundischen Mentalitat, die bis heute mit sexueller Gewalt in der Kirche verbunden ist. Die Forderungen nach Abschaffung des Zolibates oder der Priesterweihe von Frauen sind wohlfeil, aber utopisch. Niemand aber hindert Bischofe und Generalvikare daran, Frauen in der Seelsorge jenseits der Sakramentenspendung und in der Verwaltung dieselbe Verantwortung zu ubertragen wie Mannern. In einigen Bistumern ist diesbezuglich schon viel geschehen. Das ist gut, aber langst nicht genug.
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