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Ein Absehbarer Eklat Bei Der Aufklarung

By Von Daniel Deckers
Frankfurter Allgemeine
January 16, 2013

http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/missbrauch-in-katholischer-kirche-ein-absehbarer-eklat-bei-der-aufklaerung-12027004.html

Der Kriminologe Christian Pfeiffer bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Trierer Bischof Stefan Ackermann im Juli 2011: Für beide Seiten stand viel auf dem Spiel

Der Kriminologe Christian Pfeiffer

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16.01.2013 ·  Nach dem Zerwürfnis mit dem Kriminologen Christian Pfeiffer stehen die Bischöfe wieder als Vertuscher da. Es war ein absehbarer Eklat, der ihrem Willen zur echten Aufklärung nicht gerecht wird.

Professor Christian Pfeiffer war schnell, wie immer. Kaum sah sich die katholische Kirche in Deutschland im Winter 2010 nach den Berichten über sexuelle Übergriffe von Ordensleuten am Berliner Canisius-Kolleg dem Vorwurf ausgesetzt, Täter in ihren Reihen um jeden Preis geschützt zu haben, war der langjährige Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) zur Stelle.

Es sei höchste Zeit für eine breitangelegte Untersuchung über sexuellen Missbrauch durch Priester, ließ er die Öffentlichkeit per Zeitungsartikel und einige Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz per Telefon wissen. Und die Bischöfe ließen sich das nicht zweimal sagen. Sie standen ja mit dem Rücken zur Wand, auch wenn die meisten Taten, die Gegenstand von Berichten wurden, lange zurücklagen und nach Kirchen- wie nach deutschem Strafrecht verjährt waren. Der Öffentlichkeit mussten sie neben Zeichen der Reue auch Werke der Buße präsentieren.

Pfeiffer kam da wie gerufen. Denn in Gestalt des protestantisch-sozialdemokratischen Kriminologen bot sich eine Persönlichkeit an, die nicht im Entferntesten im Verdacht stand, bei der wissenschaftlichen Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs im Raum der Kirche falsche Rücksicht zu nehmen. Überdies verfügte Pfeiffer, der in der kurzen Amtszeit des niedersächsischen Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel in Hannover Justizminister war, auf dem Forschungsgebiet sexueller Missbrauch über eine im deutschen Sprachraum seltene Fachkenntnis. Am KFN, einem 1979 gegründeten Institut, das vom niedersächsischen Wissenschaftsministerium grundfinanziert wird, im Wesentlichen aber von drittmittelfinanzierten Forschungsaufträgen lebt, war schon 1982 eine Erhebung über sexuellen Missbrauch in Deutschland entstanden.

Im Herbst 2010 konnten sich der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, der Jesuit Hans Langendörfer, und der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, bereits über erste Vertragsentwürfe beugen. Das Vorhaben schien auf gutem Weg, so dass es die Bischöfe nicht für nötig hielten, das Forschungsprojekt öffentlich auszuschreiben. Ebenso wenig drangen Stimmen aus dem Raum der Wissenschaft und auch der Politik durch, die die Bischöfe gewarnt hatten, Pfeiffer mit dem Forschungsprojekt zu betrauen.

Effekthascherische Zuspitzungen

Denn der Wissenschaftler war nicht nur dafür bekannt, im Umgang mit Medien virtuos zu sein. Vor allem war er bei der Beurteilung von Jugendgewalt, Ausländerfeindlichkeit oder Kindstötungen mit Diagnosen und Ratschlägen schnell bei der Sache. Mehr als einmal erwiesen sich seine Einschätzungen als vorschnell, wenn nicht gar grundfalsch, seine politischen Zuspitzungen durchaus seriöser Forschungsergebnisse als effekthascherisch und die schillernden Kausalketten als wenig belastbar – was nicht nur unter Fachkollegen Befremden über einen „inkontinenten“ Kollegen hervorrief, sondern auch in der Politik zu Vorbehalten führte. Für beide Seiten aber stand zu viel auf dem Spiel. Das Projekt musste gelingen. Pfeiffer, Jahrgang 1944, winkte zum Abschluss seines Wirkens als Direktor des KFN die Krönung seines Lebenswerks. Und die Gruppe der an einer Aufarbeitung der Vergangenheit interessierten Bischöfe um Ackermann wollte die Gunst der Stunde nutzen und das Eisen schmieden, solange es heiß war – will sagen: solange das Interesse der Öffentlichkeit noch nicht erlahmt und der Druck auf die Kirche noch nicht abgenommen hatte.

Trotzdem zogen sich die Vertragsverhandlungen hin. Erst im Sommer 2011 war der Vertrag fertig, über den sich für das Sekretariat der Bischofskonferenz auch deren Hausjuristen aus der Sozietät Redeker, Sellner, Dahs gebeugt hatten. Die Tinte unter dem Vertrag war noch nicht trocken, als sich beide Seiten mit öffentlichen Einlassungen über die Bedeutung des Projektes überboten. Pfeiffer sprach von der methodisch aufwendigsten Studie weltweit über sexuellen Missbrauch und verhieß umfassende Einsicht in die Psyche von Männern, die sich an Kindern oder Jugendlichen vergangen hatten. Bischof Ackermann erhoffte sich neben der systematischen Durchforstung von Akten nach Fällen, die noch unentdeckt waren, Hinweise auf institutionelle Defizite im Umgang mit Tätern und Opfern.

Tücken kirchlicher Personalakten

Doch es stellte sich bald heraus, dass beide Seiten die Rechnung ohne die jeweils andere gemacht hatten. Schon die Tücke des Objekts in Gestalt kirchlicher Personalakten war kaum zu überbieten. Denn in vielen Bistümern herrschte Durcheinander. Mal waren Akten von Straftätern wie vorgeschrieben in einem Geheimarchiv archiviert worden, mal fand sich im Geheimarchiv kein einziges Dokument, mal waren Personalakten nach Ablauf der kirchenrechtlich vorgegebenen Fristen vernichtet worden, mal über Jahrzehnte aufbewahrt worden, mal waren sie vollständig, mal lückenhaft – wer wusste, wie es in den Bistumsarchiven aussah, musste ahnen, dass schon die repräsentative Erhebung von Daten über Täter und Opfer auf erhebliche methodische Schwierigkeiten stoßen würde. Doch um vermeintliche Details wie dieses scherte sich zunächst niemand.

Ebenfalls unterschätzt worden war der Umstand, dass kaum ein wissenschaftliches Forschungsvorhaben juristisch so vermint ist wie eines, das auf personenbezogenen Daten basiert. Fachjuristen, die den von Pfeiffer und den Bischöfen gutgeheißenen Vertragstext im Herbst 2011 zu Gesicht bekamen, waren entsetzt. Der Text zeugte von einer stupenden Ahnungslosigkeit der Vertragsparteien hinsichtlich der Vorschriften des allgemeinen Kirchenrechts, des kirchlichen Dienstrechts, des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und der staatlich garantierten Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.

Ein datenschutzrechtlicher Aberwitz

In neun Bistümern alle Personalakten aus den Jahren 1945 bis 2010 auswerten zu lassen von angehenden oder pensionierten Juristen, die keiner strafbewehrten Verschwiegenheitspflicht unterliegen? Ein datenschutzrechtlicher Aberwitz. In den 18 übrigen Bistümern verdachtsunabhängig alle Personalakten aus den Jahren 2000 bis 2010? Ein solches Vorhaben wäre im Fall einer Klage eines kirchlichen Mitarbeiters wohl vor jedem Arbeitsgericht gescheitert, wenn die Justiz des Vatikans den deutschen Bischöfen nicht vorab Einhalt geboten hätte. Als Pfeiffer die Bischöfe im Herbst 2011 dann wissen ließ, dass alleine „der Markt“ regle, wann und wie seine Ergebnisse der Öffentlichkeit vorgestellt würden, und das Forschungsinstitut über die erhobenen Daten nach Gusto verfügen dürfe, dämmerte es auch den Letzten in den Reihen der Bischöfe, dass der Umgang mit Pfeiffer unangenehm werden würde. Doch was tun?

Als die F.A.Z. im Januar vergangenen Jahres berichtete, dass das Forschungsprojekt wegen ungelöster Fragen des Datenschutzes und des Arbeitsrechts nicht vorankomme, hatte das Erzbistum München die Kooperation mit dem KFN und die Mitarbeit im Beirat des Forschungsprojektes schon ausgesetzt. Erst müssten alle juristischen Fragen im Spannungsfeld zwischen Aufklärung und Fürsorgepflicht vertraglich so geklärt sein, dass mit den Daten aus dem Raum der Kirche sorgsam umgegangen würde, hieß es aus Bayern. Im Frühjahr 2012 machte eine neue Fassung des Vertrags die Runde, die im Wesentlichen in München entworfen worden war und die den datenschutzrechtlichen und arbeitsrechtlichen Anforderungen genügte.

Pfeiffer schäumte und setzte fortan darauf, den Verwaltungschef des Erzbistums München, Generalvikar Peter Beer, als Gegner umfassender Aufklärung zu diskreditieren. Nur gehörte das, was den anderen Bistümern mit Pfeiffers Forschungsprojekt zumindest der Idee nach bevorstand, im Erzbistum München, das seit 2007 von Erzbischof Reinhard Marx geleitet wird, schon der Vergangenheit an.

„Offenkundige Lücken“

In München war man bereits im Frühjahr 2010 davon überzeugt gewesen, dass an einer rückhaltlosen Aufklärung kein Weg vorbeiführe. In der Folge wurden mit Unterstützung der Münchner Kanzlei Westpfahl, Spilker, Wastl annähernd 13200 Akten unter zum Teil abenteuerlichen Umständen gesichert und analysiert. Im Zuge dieses Prozesses stellte sich nicht nur heraus, dass Akten über Jahrzehnte „in erheblichem Umfang vernichtet“ oder „offenkundige Lücken“ aufwiesen, weil sie von Unbefugten manipuliert worden waren. Noch beschämender war das Ergebnis der Untersuchung. Die jahrzehntelange krasse Missachtung der Opfer und eine durchgängige, wenn auch in unterschiedlicher Entschlossenheit ausgeprägte Bereitschaft, „selbst gravierende Vergehen unaufgeklärt und ungesühnt zu lassen“. Diese Bereitschaft, so die Münchner Gutachter, habe eine ihrer Wurzeln in einem „fehlinterpretierten klerikalen Selbstverständnis, das einem brüderlichen Miteinander verpflichtet in einem im Ergebnis rücksichtslosen Schutz des eigenen Standes eine Rechtfertigung für eine nicht tolerable Vertuschung sucht“. Härter als in diesen Worten wurde noch in keinem staatlichen oder gar von der Kirche in Auftrag gegebenen Gutachten mit der über Jahrzehnte vorherrschenden Mentalität von Bischöfen, Generalvikaren und Personalchefs abgerechnet.

Beers Aufklärungswillen in Frage zu stellen führte demnach nicht weit. Vielmehr war umgekehrt zu fragen, was Pfeiffers Untersuchung darüber hinaus ans Tageslicht bringen könnte – zumal Pfeiffer schon im Juli 2011 ankündigte, dass seine Forschungen gewiss zu dem Ergebnis führen würden, dass sexueller Missbrauch durch Geistliche in Deutschland seit den achtziger Jahren rückläufig sei. Doch auch die sachliche Debatte kam über den Sommer vergangenen Jahres nicht vom Fleck. Mal schien Pfeiffer einsichtig, mal nahm er Zugeständnisse, die er kurz zuvor gemacht hatte, umgehend wieder zurück. Zugleich drohte er den Bischöfen damit, dass Medien und Opferverbände nur auf ein Signal von ihm warteten, um die skandalöse Zensur und Beschränkung der Wissenschaftsfreiheit bekanntzumachen.

Im Herbst 2012 galt eine Mediation unter Leitung eines von beiden Seiten anerkannten Schlichters als letzte Möglichkeit, sich in einer vollkommen verfahrenen Sache halbwegs gesichtswahrend zu einigen. Nach zwei Gesprächsrunden unterzeichnete Pater Langendörfer um die Jahreswende eine Mediationsvereinbarung. Als Pfeiffer sich aber auch am Morgen des 8. Januar, dem letzten Tag der Einigungsfrist, noch nicht gerührt hatte, begann man im Sekretariat der Bischofskonferenz in Bonn zu ahnen, dass Pfeiffer gewitzter gewesen sein könne.

Bischof Ackermann war nach Israel gereist, Pater Langendörfer in die Schweiz. Im politischen Berlin war kein Signal angekommen, dass „die Bombe“ bald platzen könnte. Als Matthias Kopp, der Pressesprecher der Bischofskonferenz, Hals über Kopf für den Abend jenes Tages zu einem Hintergrundgespräch nach Berlin trommelte, hatte Pfeiffer längst schon mehrere Redaktionen mit seiner Version der Ereignisse munitioniert. Am nächsten Morgen standen die Bischöfe wieder so da wie vor drei Jahren: als Vertuscher, Trickser und Täuscher.




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