| Missbrauchsstudie: Sollte Vor Dem Salzgitter-skandal Noch Schnell Aufklarungswille Demonstriert Werden?
Skydaddy's Blog
January 13, 2013
http://skydaddy.wordpress.com/2013/01/11/missbrauchsstudie-sollte-vor-dem-salzgitter-skandal-noch-schnell-aufklarungswille-demonstriert-werden/#more-4548
Es fallt auf, dass Bischof Ackermann am 13. Juli 2011 mit der Prasentation zweier Forschungskonzepte (darunter die offenbar vorschnell unterzeichnete Pfeiffer-Studie) Aufklarungswillen demonstrierte, zwei Tage bevor in Salzgitter ein padophiler Priester verhaftet wurde, der bereits im Juni gegen ein Kontaktverbot versto?en hatte und kurz darauf angezeigt worden war.
In der Offentlichkeitsarbeit ist das richtige Timing von gro?er Bedeutung. Rein professionell gesehen leistete Jo Moore exzellente Arbeit, als sie am 11. September 2001, nachdem die beiden Flugzeuge ins World Trade Center geflogen waren – aber noch bevor die Turme zusammensturzten – eine E-Mail an ihre Presseabteilung schickte mit den Worten:
“Jetzt ist ein guter Tag, alles zu veroffentlichen, was wir begraben wollen.”
Professionelle Arbeit muss man auch dem Pressesprecher des Bistums Hildesheim bescheinigen, Dr. Michael Lukas: Vor fast genau einem Jahr wies ich darauf hin, dass im Bistum Hildesheim von 1993 bis Ende 2009 fast ununterbrochen Priester mit Kindern und Jugendlichen eingesetzt wurden, obwohl das Bistum von deren sexuellen Ubergriffen wusste. Trotzdem gelang es dem Bistum seit der Einstellung von Dr. Lukas als Pressesprecher, sich als Musterbistum in Sachen Missbrauch zu etablieren. Die Verlautbarungen des Bistums Hildesheim in Sachen Missbrauch sind meiner Einschatzung nach extrem raffiniert (siehe hier und hier).
Beispielhaft sind die folgenden Ausfuhrungen des Hildesheimer Personalleiters Bogartz, die dieser 2010 gegenuber einer Gemeinde in Celle machte, nachdem herausgekommen war, dass dort jahrelang ein Missbrauchstater eingesetzt war (Dr. Lukas sa? daneben, als er sie machte):
„Es ist wahr, dass Dechant [S.] 1995 in Ostdeutschland ein Missbrauchsverbrechen begangen hat. Es war eine befreundete Familie, bei der er ubernachte hatte. Dabei kam es zu einem Ubergriff gegen einen 12-jahrigen Jungen. Acht Jahre spater hat sich die Familie an den Ortsbischof gewandt. Die Familie wunschte ausdrucklich in Gesprachen mit der Bistumsleitung keine strafrechtliche Verfolgung des Falls und wunschte Verschwiegenheit. Das Bistum hat sehr deutlich mit Herrn [S.] gesprochen. Daraufhin ist ein psychologisches Gutachten erstellt worden, dass der Ubergriff nicht aus einer padophilen Neigung heraus geschehen sei.
Es ist au?erdem bescheinigt worden, dass ein weiterer Einsatz in der Pfarrgemeinde ausdrucklich ohne Auflage moglich ist. Die deutsche Bischofkonferenz hat 2002 vier der besten Forensiker benannt, um die Kirche zu beraten und Gutachten zu erstellen. Heute sagen wir, dass diese Gutachten wahrscheinlich nicht in der Weise helfen, wie wir ihnen damals vertraut haben.
2003 ist von den damals Verantwortlichen entschieden worden, dass Hermann [S.] in der Gemeinde verbleibt.
Wer kame dabei wohl auf den Gedanken, dass das psychologische Gutachten und die Therapie erst erfolgt sein konnten, nachdem S. aus Celle abberufen worden war? Das legen andere Informationen nahe, die ich bei Bedarf gerne nachliefere. Hier geht es nur um die Formulierungen:
Die Horer mussten glauben, das “Daraufhin” beziehe sich auf die Meldung des Missbrauchs. Tatsachlich bezieht es sich allerdings nur auf das “deutliche Gesprach” mit S. – und wann das stattfand, wird nicht gesagt.
Genauso wird zwar der Eindruck erweckt, die Entscheidung, S. 2003 weiter einzusetzen, sei aufgrund des Gutachtens gefallt worden. Tatsachlich wird das aber nicht gesagt.
Ich ziehe hier wirklich den Hut vor Dr. Lukas und Weihbischof Bongartz.
Wie raffiniert die Verantwortlichen des Bistums Hildesheim sind, wird auch daran deutlich, dass das Bistum bereits 2010 in anonymisierter Form bei der Staatsanwaltschaft anfragte, ob es strafrechtlich relevant sei, wenn ein Pfarrer mit einem Kind im Bett ubernachtete. Als Missbrauchsbeauftragter musste Bongartz wissen, dass die Antwort der Staatswnwaltschaft nur “nein” lauten konnte. (Da das Ubernachten im selben Bett an sich noch keine sexuelle Handlung darstellt.)
Wenn das Ergebnis sowieso von vornherein gestand – weshalb dann uberhaupt die Anfrage bei der Staatsanwaltschaft? Es hat den Anschein, als ob die Verantwortlichen des Bistums sich damit lediglich selber absichern wollten, fur den Fall, dass sich irgendwann herausstellen sollte, dass der Pfarrer eben doch sexuellen Missbrauch begangen habe sollte. Und als ein Jahr spater der Priester tatsachlich verhaftet wurde, verwies Bongartz ja auch sofort auf die Auskunft der Staatsanwaltschaft, die er verantwortungsvoller Weise eingeholt hatte.
Das lasst sich unschwer so deuten, dass sich die Hildesheimer Bistumsleitung sich mit ihrer – an sich sinnlosen – Anfrage bei der Staatsanwaltschaft zwar selbst gegen spatere Vorwurfe abgesichert, die Kinder in L.s Gemeinde aber weiterhin dem Risiko des offensichtlich verdachtigen Priesters (weshalb sonst die Anfrage bei der Staatsanwaltschaft?) ausgesetzt hat, der ja sogar weiter mit Jugendgruppen verreisen durfte.
Als Meisterleistung betrachte ich auch, dass 2010 zwar Bischof Trelle und sein Missbrauchsbeauftragter Bongartz nachweislich die Unwahrheit sagten, als sie behaupteten, die Hildesheimer Ausfuhrungsbestimmungen zu sexuellem Missbrauch seien bereits zu Beginn des Jahres in Kraft gesetzt worden – also noch vor dem Bekanntwerden des Missbrauchsskandals –, dass mir von Dr. Lukas aber keine derartige Aussage bekannt ist. Auch wieder so eine Timing-Angelegenheit.
Womit wir beim eigentlichen Thema waren: Als ich mich vorhin – angeregt durch Bischof Ackermanns Vorwurf, Prof. Pfeiffer sei bei der Missbrauchsstudie “vorgeprescht” – fragte, weshalb die deutschen Diozesen einen Forschungsvertrag mit derart offensichtlichen Problemen (Missbrauchsakten mussen gema? dem Kirchenrecht nach 10 Jahren vernichtet werden und sind bis dahin im Geheimarchiv aufzubewahren und nicht herauszugeben) offenbar ubereilt angenommen hatten. Ich fragte mich, ob mit der Studie moglicherweise Aufklarungswille demonstriert werden sollte, bevor ein weiterer, sich bereits anbahnender Skandal bekannt wurde.
Ich stellte dann fest, dass tatsachlich zwei Tage nach der Pressekonferenz, auf der die beiden Forschungsprojekte (von Prof. Pfeiffer und Prof. Leygraf) der Offentlichkeit prasentiert wurden, der padophile Pfarrer Andreas L aus Salzgitter verhaftet wurde, dem schlie?lich schwerer Missbrauch mehrerer Opfer in mehreren hundert Fallen nachgewiesen wurde. Dem Bistum Hildesheim war vorher schon bekannt gewesen, dass L. typische Verhaltensweisen padophiler Priester an den Tag legte: Er pflegte ein enges Verhaltnis zur Familie eines Opfer, machte dem Opfer teure Geschenke, und fuhr mit der Familie und auch mit seinem Opfer alleine in den Urlaub. Seit 2010 wusste das Bistum, dass L. auch mit einem Kind im selben Bett ubernachtet hatte. Deshalb hatte das Bistum bereits ein Kontaktverbot zu einem Jungen verhangt, gegen das der Priester dann aber im Juni 2011 – wenige Wochen vor der Prasentation der Forschungskonzepte – versto?en hatte. Daraufhin wandte sich die Mutter erneut an das Bistum. Von Missbrauchshandlungen war damals aber noch keine Rede. “Ende Juni” will das Bistum dem Priester mit disziplinarischen Ma?nahmen gedroht haben, am 27. Juni stornierte L. einen zweiwochigen Urlaub in der Dominikanischen Republik, den er im Marz fur sich und sein 13-jahriges Opfer gebucht hatte.
Nach dem Gesprach mit dem Bistum offenbarte das Opfer seiner Mutter dann aber doch, dass es zu sexuellen Handlungen gekommen war. Daraufhin zeigte die Mutter den Priester “Ende Juni” bei der Polizei an. Dort wollte man erst einmal ermitteln, entschied sich dann aber doch fur eine Festnahme, als der Pfarrer gerade mit einer Gruppe Jugendlicher nach Taize aufbrechen wollte.
Wahrenddessen nahmen die deutschen Diozesen am 20. Juni 2011 einstimmig den Forschungsvertrag mit Prof. Pfeiffers Institut an, obwohl eigentlich offensichtlich sein musste, dass elementare Fragen noch ungeklart – und moglicherweise auch unlosbar – waren. Der Vertreter der Diozesen, Dr. Langendorfer, unterzeichnete den Vertrag am 5. Juli, und drei Tage spater, am Freitag, dem 8. Juli 2011, unterschrieb auch Prof. Pfeiffer. Am Mittwoch darauf, am 13. Juli, wurden die beiden Forschungsvorhaben auf einer Pressekonferenz der Offentlichkeit prasentiert. Zwei Tage spater wurde L. verhaftet.
Ich hatte kurz uberlegt, ob die Stornierung des Urlaubs am 27. Juni moglicherweise belegt, dass das Gesprach mit dem Priester erst nach der Verabschiedung des Forschungsvertrages durch die Diozesen am 20. Juni stattgefunden hat. Aber echte Profis wurden solche Sachen moglicherweise absichtlich so timen, dass der gewunschte Eindruck entsteht. (Wir erinnern uns an die Hildesheimer Ausfuhrungsbestimmungen, die ja angeblich schon vor dem Missbrauchsskandal in Kraft gesetzt worden sein sollen.)
Somit bleibt ein auffalliger zeitlicher Zusammenhang, der naturlich blo?er Zufall sein kann.
Einerseits war die Pfeiffer-Studie schon uber ein Jahr in Vorbereitung.
Andererseits: Wenn sowieso schon uber ein Jahr verhandelt wurde – wieso wurde dann ein Konzept mit derart offensichtlichen Problemen einstimmig verabschiedet?
Fragen uber Fragen, die naturlich mal jemand der deutschen Bischofskonferenz stellen konnte – allerdings nicht ich. Denn als ich neulich anfragte, ob Dr. Langendorfer statt seinem wenig aussagekraftigen Statement
“Fur eine Vernichtung von Taterakten habe ich keinerlei Anhaltspunkte”
auch das wesentlich aussagekraftigere (von mir verfasste) Statement
“Fur eine Vernichtung oder anderweitige Beseitigung von Akten uber Missbrauche oder Grenzuberschreitungen habe ich keinerlei Anhaltspunkte, obwohl ich hochstwahrscheinlich mitbekommen wurde, wenn so etwas vorkame.”
unterschreiben wurde, teilte mir der Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, nicht nur mit: “Der Au?erung von P. Dr. Langendorfer SJ ist von uns nichts hinzuzufugen”, sondern er machte auch gleich sehr deutlich, “dass wir Anfragen von Ihnen nicht mehr beantworten” und er es auch nicht gut findet, wenn ich “andere Emailadressen als die der Pressestelle” kontaktiere. (Da Dr. Langendorfer der Geschaftsfuhrer des Verbands der Diozesen Deutschlands ist und als solcher zitiert wurde, hatte ich – transparent und logisch, wie mir schien – die E-Mail-Adresse des VDD kontaktiert.)
Vielleicht nimmt sich ja jemand anders dieser interessanten Fragestellung an.
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