BishopAccountability.org
 
 

Im Geheimen

Frankfurter Allgemeine
January 12, 2013

http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/missbrauch-in-katholischer-kirche-im-geheimen-12023052.html

12.01.2013 · Die katholische Kirche wollte Missbrauch aufarbeiten – mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen. Das ist gescheitert. Kein Wunder. Denn es geht um mehr als personliche Befindlichkeiten.

Anderthalb Jahre ist es her, dass die Katholische Kirche Deutschlands mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) ein Forschungsprojekt auf den Weg brachte, um den „sexuellen Missbrauch an Minderjahrigen durch katholische Priester, Diakone und mannliche Ordensangehorige“ zu untersuchen. In dieser Woche ist das Projekt mit einem gro?en Eklat gescheitert. Der Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts, Christian Pfeiffer, wirft der Kirche Zensur vor, sogar Aktenvernichtung. Die Kirche wehrt sich: Pfeiffer sei ma?los, das Vertrauensverhaltnis zerruttet. Eine Schlammschlacht, ausgetragen von Alphatieren: hier der medienerfahrene und selbstbewusste Forscher, dort die Katholische Kirche.

Die Ursache dieses Streits ist jedoch nicht das Gebaren der ehemaligen Forschungspartner. Es geht mittlerweile zwar auch um personliche Befindlichkeiten, aber angelegt ist das Zerwurfnis schon in dem Vertrag, den Pfeiffer Anfang Juli 2011 mit dem Verband der Diozesen schloss. Darin hie? es: „Neun (Erz-)Bistumer haben verbindlich zugesagt, sich an dem Forschungsprojekt zu beteiligen und werden dem KFN alle in den (Erz-)Bistumern erreichbaren Informationen uber Falle des sexuellen Missbrauchs an Minderjahrigen durch katholische Priester, Diakone und mannliche Ordensangehorige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz seit 1945 fur eine Langsschnittanalyse zur Verfugung stellen. Fur den Zeitraum von 2000 bis 2010 haben alle (Erz-)Bistumer ihre Mitwirkung am Forschungsprojekt zugesagt. Dies betrifft sowohl Akteninhalte uber solche Falle, die nicht der Strafjustiz bekannt geworden sind, als auch die Aktenzeichen aller Strafverfahren, die in dieser Zeit gegen die Personengruppe, die Gegenstand des Forschungsprojekts ist, wegen sexuellen Missbrauchs an Minderjahrigen durchgefuhrt worden sind.“

Codex schreibt Aktenvernichtung vor

Was im Vertrag nicht stand, war ein Hinweis auf den Codex Iuris Canonici. In dem Gesetzbuch der Katholischen Kirche finden sich auch Vorschriften zu den Archiven der Katholischen Kirche. Canon 489§1 lautet: „In der Diozesankurie mu? es au?erdem ein Geheimarchiv geben, wenigstens aber einen eigenen Schrank oder ein eigenes Fach im allgemeinen Archiv, das fest verschlossen und so gesichert ist, da? man es nicht vom Ort entfernen kann; in ihm mussen die geheimzuhaltenden Dokumente mit gro?ter Sorgfalt aufbewahrt werden.“ In §2 steht: „Jahrlich sind die Akten der Strafsachen in Sittlichkeitsverfahren, deren Angeklagte verstorben sind oder die seit einem Jahrzehnt durch Verurteilung abgeschlossen sind, zu vernichten; ein kurzer Tatbestandsbericht mit dem Wortlaut des Endurteils ist aufzubewahren.“

Das Kirchenrecht schreibt die Aktenvernichtung also vor. Protokolle, Vernehmungen, Zeugenaussagen, Notizen mussen ab einem gewissen Zeitpunkt vernichtet werden. Es darf keine Akten uber „Strafsachen in Sittlichkeitsverfahren“ geben, die alter als zehn Jahre sind. Jeder kann diese Vorschriften nachlesen. Auch der Rechtsprofessor Pfeiffer hatte dies tun konnen, bevor er den Vertrag mit den Bischofen unterschrieb. Dann hatte er gewusst, was „erreichbare Informationen“ waren: kurze Tatbestandsberichte aus der Zeit vor mehr als zehn Jahren. Mehr nicht. Pfeiffer erfuhr das erst spater.

Im Forschungskonzept seines Instituts stand: „Angesichts der Tatsache, dass sich offenbar die gro?e Mehrheit der im Laufe des Jahres 2010 bekannt gewordenen innerkirchlichen Missbrauchsfalle in der Zeit vor 1990 ereignet hat, wird es nicht ausreichen, nur die letzten 10 oder 20 Jahre in die Untersuchung einzubeziehen.“ So sollte in den neun Diozesen eine „Tiefenbohrung“ stattfinden.

Hinweise in einigen Akten

Das Institut bezog sich in dem Konzept auch auf ein Munchner Gutachten aus dem Vorjahr. Der Erzbischof von Munchen und Freising Reinhard Marx hatte eine Rechtsanwaltskanzlei beauftragt, ein Gutachten uber „sexuelle und sonstige korperliche Ubergriffe durch Priester, Diakone und sonstige pastorale Mitarbeiter“ zwischen 1945 und 2009 in seinem Amtsbereich zu erstellen. Er wollte damit „etwaige strukturelle Mangel“ aufdecken, um „etwaige Missstande und Fehlverhaltensweisen“ im Bereich der Erzdiozese zu vermeiden. Mitarbeiter des Ordinariats sichteten 13200 Akten: Personalakten, Gerichtsakten, sogar „Akten aus den Geheimarchiven des Erzbischofs und seines Generalvikars“.

Im Canon 490 des Codex Iuris Canonici §3 steht ubrigens: „Aus dem Geheimarchiv bzw. Geheimschrank durfen keine Dokumente herausgegeben werden.“ War der Bischof daran nicht gebunden?

Insgesamt 365 Akten enthielten „Hinweise auf etwaige einschlagige Vorfalle“. Sie wurden anwaltlich gepruft. Das Gutachten landete im Geheimarchiv. Die Kernaussagen stellten Marx, sein Generalvikar Peter Beer und die beauftragte Rechtsanwaltin Marion Westphal Ende 2010 vor. Auf sieben Seiten. Und, wenn man gro?zugig ist, noch einer halben.

Der Wahrheit auf die Spur kommen

Eine Kernaussage ist, dass „nach den den Gutachtern vermittelten Erkenntnissen Aktenvernichtungen in erheblichem Umfang stattgefunden haben und weitreichende Aktenbestande au?erhalb des Ordinariats in Privatwohnungen eingelagert wurden und damit einem manipulativen Zugriff ausgeliefert waren. Hinzu tritt, dass auch innerhalb der Ordinariatsraumlichkeiten die Akten gegen Zugriff durch Nichtbefugte nicht gesichert waren. Die Akten wiesen wohl auch aus diesen Grunden teilweise offenkundige Lucken auf. Vorgange waren wiederholt nicht nachvollziehbar. Unabdingbare Dokumentationen, beispielsweise fruhere Tatigkeiten der untersuchten Personen oder der Grunde fur den Wechsel der Diozese bei fremdkardinierten Priestern, fehlten weitestgehend.“ Was nicht im Text steht: Das Kirchenrecht erzwingt „offenkundige Lucken“.

Aber warum hatte Marx auch darauf hinweisen sollen? Er, der selbst beim Thema Missbrauch in die Defensive gekommen war, stand nun als Aufklarer da. Ein Vorbild fur die anderen Bischofe. Und so wurde das Forschungsvorhaben geboren - mit Pfeiffer als Geburtshelfer. Man einigte sich schnell. Alle 27 Diozesanbischofe stimmten zu. Bei der Projektvorstellung sagte der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann: „Wir wollen auch der Wahrheit, die moglicherweise noch unentdeckt in Akten vergangener Jahrzehnte liegt, auf die Spur kommen.“

„Phase aufkommender Irritation“

Das Forschungsprojekt hatte funf Ziele: Es sollte belastbare Zahlen zum sexuellen Missbrauch erbringen, den Verlauf des Missbrauchs aus der Sicht der Opfer nachvollziehen, das Handeln der Tater analysieren, klaren, wie sich die Kirche gegenuber Tatern und Opfern verhalten hat, und auf Grundlage dieser Ergebnisse das Praventionskonzept der Kirche uberprufen.

Es folgte „eine Phase aufkommender Irritation“, sagt Pater Hans Langendorfer, Sekretar der Bischofskonferenz. Um den Datenschutz besorgte Priestergruppen kritisierten das Projekt heftig und forderten, es abzubrechen, allen voran das „Netzwerk katholischer Priester“: Die Bischofskonferenz erwecke den Eindruck, dass die „Akteneinsicht ohne Einwilligung des Einzelnen alle Priester, Diakone und Ordensangehorige dem Generalverdacht von sexuellem Missbrauch an Minderjahrigen“ unterstelle.

Ende Oktober 2011 sprach Christian Pfeiffer mit Priestern des Netzwerks. Der Jurist horte zum ersten Mal von der „Vorschrift, die kirchenrechtlich zwingend die Diozesen verpflichtet, zehn Jahre nach einer innerkirchlichen Verurteilung eines Taters die Akten zu vernichten“. Canon 489. Bis dahin sei er „falschlicherweise“ davon ausgegangen, „dass die Akten aus 65 Jahren, so wie es im Vertrag steht, auch zur Verfugung stehen“. Ihm wurde klar: Die Vorschrift sei mit dem Forschungsvertrag nicht vereinbar. Sagt er heute.

Kirche will Kontrolle uber Ergebnisse

Im November 2011 zog sich der Munchner Generalvikar Beer aus dem Projektbeirat zuruck, „nachdem auf kritisch-konstruktive Fragen vollig unzureichend geantwortet wurde und nicht absehbar war, dass das in absehbarer Zukunft geschehen wird“, wie er mitteilen lasst. Pfeiffer sagt, Kardinal Marx und Generalvikar Beer seien zwar die ersten gewesen, die in Deutschland eine Untersuchung zum sexuellen Missbrauch der letzten 65 Jahre in Auftrag gegeben haben. Aber „das Typische fur Herrn Beer war, dass diese Missbrauchsstudie nie veroffentlicht werden durfte“. Er habe wissen wollen, was geschehen sei, aber nicht, dass die Offentlichkeit es auch erfahre. Pfeiffer wollte das Munchner Gutachten, bekam es aber nicht. Es lag ja im Geheimarchiv.

Anfang Mai 2012 erreichte Pfeiffer ein Vertragsentwurf, ausgearbeitet von einer Munchner Rechtsanwaltskanzlei im Auftrag der Erzdiozese Munchen und Freising. „Die Kirche beanspruchte darin die Entscheidungsgewalt daruber, ob Forschungsergebnisse veroffentlicht werden oder nicht. Alle Texte sollten zur Genehmigung eingereicht werden. Das war nicht hinnehmbar“, sagt Pfeiffer. Ein zweiter Entwurf wurde von einer Rechtsanwaltskanzlei im Auftrag des Verbands der Diozesen ausgearbeitet. „Der neue Vertragsentwurf wiederholte die Zensur, oder besser gesagt, die Kontrollwunsche der Kirche. Es hie? jetzt zwar, dass Veroffentlichungen nur aus wichtigem Grund verboten werden konnten. Aber was ist fur die Kirche ein wichtiger Grund?“

Das Gegenteil von Aufklarung

Von Zensur konne keine Rede sein, erwidert Generalvikar Beer. Der Kirche sei es ein Anliegen gewesen, „daruber zu diskutieren, wie der unbestreitbar vorhandene unbedingte Wille zur Aufklarung im Sinne der Opfer von Missbrauch mit der notwendigen Sorgfaltsverpflichtung sowie Fursorgepflicht gegenuber kirchlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zu vereinbaren ist“. Von nun an ging es zwischen Pfeiffer und der Kirche immer weniger um die Sache. Es begann ein Kleinkrieg. Das Gegenteil von Aufklarung.

Der Kriminologe Christian Pfeiffer

Am 22. Oktober 2012 schrieb Pfeiffer einen langen Brief an alle Bischofe. Er beklagte, dass zwar jeder von ihnen mit Handzeichen fur das Forschungsprojekt gestimmt habe, doch dieses „Votum fur die einzelnen (Erz-)Diozesen nicht bindend war“. Er schrieb, dass es „eine Zensur durch die Katholische Kirche...in diesem Projekt nicht geben“ durfe. Die Diozesen Munchen und Freising sowie Regensburg hatten das Projekt seit einem Jahr „faktisch lahm gelegt“. Und noch etwas: „Unabhangig voneinander haben zwei renommierte Personlichkeiten der Katholischen Kirche mich in den vergangenen Wochen darauf hingewiesen, dass ihnen verlassliche Informationen vorliegen, wonach man in verschiedenen Diozesen die vergangenen zwolf Monate dazu genutzt hat, aus den Geheimarchiven Taterakten zu entfernen. Zum Teil sei dies unter Anwendung der kirchenrechtlichen Vorschrift geschehen...Daneben gabe es aber auch die Praxis, Akten schlicht dem Zugriff der Personen zu entziehen, die spater dafur verantwortlich waren, sie an die fur die Aktenanalyse zustandigen Juristen zu ubergeben.“

Uberprufung der Geheimarchive

Ein schwerer Vorwurf, denn im kanonischen Recht gibt es auch dazu eine Vorschrift: „Nur der Bischof darf den Schlussel zum Geheimarchiv haben.“

Pfeiffer bat um eine grundliche Prufung. „Ich ware sehr erleichtert, wenn Sie mir danach versichern konnten, dass die beiden Personlichkeiten falsch informiert worden sind und dass uns weiterhin zu allen Missbrauchsfallen des vereinbarten Untersuchungszeitraums in allen (Erz-Diozesen) die einschlagigen Akten vollstandig zur Verfugung gestellt werden konnen.“ Die „dunklen Hinweise“ zur Aktenvernichtung seien ein „Tiefschlag“ gewesen, sagt Pater Langendorfer, der Brief sei von „Misstrauen gepragt“: „Er hat uns dupiert.“

Die Rechtsanwaltskanzlei, die den Verband der Diozesen Deutschlands und seine Mitglieder vertritt, antwortete Pfeiffer. Die Bischofe wurden der „auf anonymen Hinweisen beruhenden Behauptung, in verschiedenen Diozesen seien in den vergangenen 12 Monaten aus den ‚Geheimarchiven‘ Taterakten entfernt worden, nachgehen“. Das Wort „Geheimarchive“ setzte die Kanzlei in Anfuhrungszeichen. Kannte sie das kanonische Recht uberhaupt? Da steht es nicht in Anfuhrungszeichen. „Die Uberprufung ware erleichtert, wenn Sie uns mitteilen konnten, um welche Diozesen es sich handeln soll“, schrieb der Anwalt der Kirche.

Offene Fragen, sonst nichts

Pfeiffer antwortete wieder an alle Bischofe. Er konne die „grundliche Recherche“ der Diozesen nicht unterstutzen: „Meine Gesprachspartner haben es bewusst vermieden, mir gegenuber die fraglichen (Erz-)Diozesen konkret zu benennen. Dazu sehen sie sich gegenuber ihren Informanten verpflichtet, weil Letztere offenbar die Sorge haben, bei Bekanntwerden dieser Vorgange ihren Arbeitsplatz verlieren zu konnen. Meine Gesprachspartner haben beide klar herausgestellt, dass sie ihren Informanten glauben, weil deren Hinweise sehr konkret gewesen seien und weil sie uberdies allein schon durch das Gesprach ein betrachtliches Risiko in Kauf genommen hatten.“

Konkret: Pfeiffer kannte die Quellen nicht, er wusste es nur vom Horensagen. Was bleibt von anderthalb Jahren Aufklarung? Lauter Fragen, Geruchte, Vorwurfe. Also nichts.

 

 

 

 

 




.

 
 

Any original material on these pages is copyright © BishopAccountability.org 2004. Reproduce freely with attribution.