| Deutsche Bischofskonferenz Stellt Die Ergebnisse Der Analyse Forensisch-psychiatrischer Gutachten Vor
Deutsche Bischofskonferenz
December 8, 2012
http://www.dbk.de/nc/presse/details/?presseid=2225
[07.12.2012: Prasentation von Professor Dr. Norbert Leygraf bei der Pressekonferenz zur Vorstellung der Ergebnisse der Analyse forensisch-psychiatrischer Gutachten 2000-2010 ]
[07.12.2012: Statement von Bischof Dr. Stephan Ackermann bei der Pressekonferenz zur Vorstellung der Ergebnisse der Analyse forensisch-psychiatrischer Gutachten 2000-2010 ]
„Vermehrtes Hinzuziehen externer Sachverstandiger ist ein wichtiger Schritt in Richtung transparenter Vergangenheitsbewaltigung“
Die Deutsche Bischofskonferenz und das Institut fur Forensische Psychiatrie der Universitat Duisburg-Essen haben heute in Trier die Ergebnisse der Studie „Sexuelle Ubergriffe durch katholische Geistliche in Deutschland – Eine Analyse forensischer Gutachten 2000-2010“ vorgestellt.
Bereits im Jahr 2002 gab die Deutsche Bischofskonferenz fur alle Diozesen verbindliche Leitlinien zum Umgang mit sexuellem Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche heraus und beauftragte seitdem auch kontinuierlich forensisch-psychiatrische Gutachten. Die Institute fur Forensische Psychiatrie der Universitat Duisburg-Essen unter Leitung von Professor Dr. med. Norbert Leygraf, der Charite-Universitatsmedizin Berlin mit dem Leiter Professor Dr. med. Hans Ludwig Krober und der Sektion Forensische Psychotherapie der Universitat Ulm unter Leitung von Professor Dr. med. Friedemann Pfafflin erstellten den Gro?teil dieser Gutachten. Unter Mitarbeit von Dr. Andrej Konig von der Fachhochschule Dortmund, Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften, Methodenlehre und Forensische Psychologie, begann im April 2011 die Erarbeitung der Studie zu sexuellen Ubergriffen in der katholischen Kirche in Deutschland, in der Gutachten im Zeitraum 2000 bis 2010 ausgewertet wurden, und deren Ergebnisse jetzt vorliegen.
„Nach Beginn der offentlichen Diskussion 2010 uber sexuelle Missbrauchsfalle in der katholischen Kirche und der Uberarbeitung unserer Leitlinien haben wir uns dazu entschlossen, die gutachterlich gewonnenen Erkenntnisse systematisch zu erfassen und wissenschaftlich auszuwerten. Die Vorstellung der Ergebnisse stellt einen weiteren wichtigen Schritt in unseren Bemuhungen zur transparenten Missbrauchsaufarbeitung in der katholischen Kirche dar“, erklarte Bischof Dr. Stephan Ackermann (Trier), der Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz fur Fragen des sexuellen Missbrauchs Minderjahriger im kirchlichen Bereich.
21 deutsche Bistumer reichten insgesamt 93 Gutachten ein. Nach Ausschluss von Gutachten, die nicht den Prufkriterien entsprachen, umfasste die Gesamtstichprobe 78 katholische Geistliche. Ziel der Studie ist es, die Gruppe katholischer Geistlicher, die aufgrund vorgeworfener sexueller Ubergriffe psychiatrisch und psychologisch begutachtet wurden, in Bezug auf forensisch und klinisch relevante Aspekte zu beschreiben. Empirische Daten uber die Personlichkeit beschuldigter Priester und deren Taten wurden mit allgemein bei sexuellen Missbrauchshandlungen bekannten Befunden abgeglichen, um wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zu erhalten. Der Schwerpunkt der Studie liegt dabei nicht auf einer umfassenden historischen Abbildung, sondern auf Vorwurfen, die zwischen den Jahren 2000 und 2010 begutachtet wurden. Die Vorfalle selbst lagen dabei haufig deutlich langer zuruck. „Die Mehrheit der bekannt gewordenen Ubergriffe fand zwischen den 1960er und 1990er Jahren und somit in einer Zeit statt, in der noch ein anderes gesellschaftliches Bewusstsein und eine geringere Sensibilitat fur das Thema sexueller Handlungen an Kindern und Jugendlichen vorherrschte. Das Verstandnis hat sich im Laufe der Jahre sowohl innerhalb der katholischen Kirche als auch gesamtgesellschaftlich gewandelt – heute stehen gro?tmogliche Transparenz und das Bemuhen um rasche Aufklarung von Missbrauchsfallen im Mittelpunkt“, so Professor Leygraf.
Der Gro?teil der bei den Bistumern eingegangenen Meldungen von sexuellen Handlungen mit Korperkontakt zu den Betroffenen sei insbesondere in den letzten drei Jahren erfolgt. Im Gegensatz dazu sei sexuelles Fehlverhalten ohne Korperkontakt zum Opfer, insbesondere der Konsum von Kinderpornografie im Internet, den Bistumern ausschlie?lich in den vergangenen zehn Jahren gemeldet worden. Diesbezuglich entsprache die Situation innerhalb der katholischen Kirche der gesamtgesellschaftlichen Problematik.
„Etwa die Halfte der Gutachten des letzten Jahrzehnts wurde im Jahr 2010 in Auftrag gegeben. Das vermehrte Hinzuziehen externer Sachverstandiger durch die Kirche ist als ein wichtiger Schritt in Richtung Transparenz und Vergangenheitsbewaltigung zu bewerten“, so Professor Leygraf.
Die Anschuldigungen gegenuber katholischen Geistlichen seien au?erst heterogen und wurden von Saunabesuchen in offentlichen Schwimmbadern, Beschwerden uber einvernehmliche sexuelle Kontakte zwischen Geistlichen und anderen erwachsenen Personen uber gewaltfreie Umarmungen vollstandig bekleideter Jugendlicher auf einer Kirchenfreizeit bis hin zu gravierenden Vorwurfen wie Manipulation an den Genitalien von minderjahrigen Kindern, dem Besitz und Konsum kinderpornografischen Materials oder sexuellem Missbrauch widerstandsunfahiger Personen reichen. Im Einklang mit internationalen Befunden hatte es deutlich mehr mannliche als weibliche Betroffene gegeben, was laut Professor Leygraf damit zusammenhangen konnte, dass Madchen bis in die 1980er Jahre kaum als Ministranten tatig waren und katholische Geistliche somit uber ihren Beruf seltener einen direkten Zugang zu Madchen gehabt hatten. Die Belastung durch psychische Erkrankungen bei den begutachteten katholischen Geistlichen sei vergleichbar mit Krankheitsbildern in der deutschen Allgemeinbevolkerung.
„Insbesondere eine sexuelle Praferenzstorung im Sinne einer Padophilie oder Hebephilie wurde nur bei einer Minderheit der Geistlichen diagnostiziert. Diesbezuglich zeigen sich keine bedeutsamen Unterschiede zu Erhebungen in der deutschen Allgemeinbevolkerung. Die vorgeworfenen sexuellen Ubergriffe wurden aus Beweggrunden begangen, die sich uberwiegend dem normalpsychologischen Bereich zuordnen lassen und nur in wenigen Fallen Folge einer spezifischen Psychopathologie waren“, so Professor Leygraf. Zur Ruckfalligkeit erklarte er: „Betrachtet man internationale Befunde zur Ruckfalligkeit sexuell ubergriffiger katholischer Geistlicher, die an ambulanten Behandlungsma?nahmen teilnahmen, so trat ein relativ kleiner Anteil von etwa funf Prozent erneut mit sexuellen Ubergriffen in Erscheinung. Inwiefern unbehandelte sexuell ubergriffige Geistliche eine geringere oder hohere Ruckfallrate aufweisen, ist bis heute unbekannt. Verbleiben sexuell ubergriffige katholische Geistliche innerhalb ihrer Kirche, dann verfugen sie uber ein soziales Kontroll- und Unterstutzungsnetzwerk, welches unter ruckfallpraventiven Gesichtspunkten als protektiver Faktor angesehen werden kann.“
Die Ergebnisse der Studie, die Anfang nachsten Jahres in einer eigenen Fachpublikation veroffentlicht werden, finden auch bei der in Kurze anstehenden Uberprufung der Rahmenordnung Pravention Berucksichtigung.
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