| Und Ewig Lockt Der Ministrant
Die Weltwoche
November 6, 2012
http://www.weltwoche.ch/ausgaben/2006-28/artikel-2006-28-und-ewig-lockt-d.html
Dass Priester sich um den Nachwuchs kummern mussen, ist so sicher wie nur irgendwas, aber: Solange die Kirche am Zolibat festhalt, wird aus Nachstenliebe immer wieder Padophilie.
Von Mathias Binswanger
Als typische Schwulenberufe gelten Flight-Attendant, Balletttanzer, Coiffeur, Modedesigner und – katholischer Priester. Gemass Schatzungen sind heute rund 20 Prozent aller Priester schwul. Eine Prozentzahl, die sowohl die Kirche selbst als auch die Bevolkerung immer wieder in Erstaunen versetzt. Man kann sich ja als Heterosexueller noch zusammenreimen, warum Berufe wie Modedesigner oder Balletttanzer unter Schwulen so gefragt sind. Aber was reizt Schwule am katholischen Priestertum, obwohl die katholische Kirche ja im Allgemeinen alles andere als schwulenfreundlich ist?
Diese Frage wurde die Offentlichkeit kaum so stark interessieren, wenn nicht ein Teil der schwulen Priester auch noch dazu tendieren wurde, sich mit Kindern oder Jugendlichen einzulassen. So geht man nicht nur davon aus, dass jeder funfte Priester schwul ist, sondern jeder funfzigste ist gemass Schatzungen obendrein noch padophil. Die genausten Zahlen dazu stammen aus den USA. Gemass einem Bericht der Amerikanischen Bischofskonferenz aus dem Jahr 2004 beschuldigten Kinder zwischen 1950 und 2002 insgesamt 4450 katholische Priester (das entspricht 4 Prozent aller in dieser Zeit tatigen Priester) des sexuellen Missbrauchs. Eine Zahl, die man sicher nicht vernachlassigen kann. Und wieder wundern sich Glaubige und Nicht-Glaubige: Wieso gerade Priester?
Die Erklarung ist letztlich ganz einfach und lasst sich in einem Wort zusammenfassen: Zolibat. Das seit dem Jahr 1139 geltende Eheverbot fur Priester setzt einen klaren Anreiz fur Schwule, aber auch fur Padophile, den Beruf des Priesters zu ergreifen. Man muss sich ja nur mal uberlegen, fur wen denn Ehelosigkeit uberhaupt ein Problem ist. Und da wird man schnell zur Einsicht gelangen, dass dies die heterosexuellen Normalburger betrifft. Der Verzicht auf die Ehe und das damit verbundene Gebot der sexuellen Enthaltsamkeit sind fur einen Heterosexuellen kein Pappenstiel.
Fur Schwule andererseits war die Ehelosigkeit nie ein Problem. Im Gegenteil: Die von der Theologin Uta Ranke-Heinemann als Homo-Gesellschaft titulierte Berufsgemeinde von Priestern und anderen geistlichen Wurdentragern bildet fur viele Schwule eine zusatzliche Attraktion des Priesterberufs. Mann ist dort unter seinesgleichen und trifft potenziell interessante Partner, besonders in den Priesterseminaren. Zwar wurde das Keuschheitsgelubde eigentlich fur Sex mit Partnern jeden Geschlechts gelten, doch offiziell gab es ja bis vor kurzem gar keine schwulen Priester; demzufolge hatten diese per Definition auch kein Keuschheitsproblem.
Und fur Padophile ist der Eheverzicht meist auch kein Problem. Diese wollen ja Sex mit Kindern, wofur die Ehe nicht die geeignete Institution ist. Der Priesterberuf bietet dem Padophilen hingegen eine Palette an Moglichkeiten, mit Kindern zwanglos Kontakt aufzunehmen. Da waren etwa der Religionsunterricht zu nennen, die Durchfuhrung von Lagern, seelsorgerische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sowie besonders die Betreuung von Ministranten, wo in der Vergangenheit die meisten sexuellen Ubergriffe stattfanden. Und das Allerbeste kommt erst: Drohten solche Vorkommnisse an die Offentlichkeit zu gelangen, dann konnte ein Padophiler auf die Unterstutzung der Kirche bei der Vertuschung seiner Verfehlungen zahlen. Die katholische Kirche war so bis vor kurzem nicht nur ein Schwulen-, sondern auch ein Padophilenparadies.
Man sollte sich also nicht wundern, dass sich unter Priestern relativ viele Schwule und Padophile befinden. Die katholische Kirche hat mit dem Zolibat alles getan, um Heterosexuelle abzuschrecken. Der hohe Prozentsatz an schwulen und padophilen Priestern ist nur ein Beweis dafur, dass Menschen auf Anreize entsprechend reagieren. Auf Deutsch ubersetzt, lautet die mit dem Zolibat ausgesendete Botschaft namlich: «Schwule und Padophile, kommt zu uns, hier konnt ihr euren Neigungen ungestort nachgehen. Und ihr Heterosexuellen, lasst es besser sein mit dem Priesterberuf, denn ihr werdet mit der Ehelosigkeit nur Probleme haben.»
Im Schoss der Kirche
Inzwischen ist auch dem Vatikan klar geworden, dass Handlungsbedarf besteht. Allerdings will er nicht die Ursache, sondern nur die Symptome bekampfen. Statt die mit dem Zolibat gesetzte perverse Anreizstruktur zu beseitigen, mochte die Kirche jetzt Schwule vom Priesterberuf ausschliessen. Das im November 2005 veroffentlichte Dokument des Vatikans, «Priestertum und Homosexualitat», ist de facto ein Schwulen-Verbot, was weder intelligent noch wirksam ist. Das Verbot ist etwa so absurd, wie wenn man junge Menschen grosszugig mit Stipendien unterstutzt, damit sie an Universitaten studieren konnen, und gleichzeitig ein Berufsverbot fur Studierte verhangt.
Das Schwulen-Verbot wird in der Realitat indes dadurch abgemildert, dass es gar nicht umsetzbar ist. Wie, bitte schon, will die Kirche feststellen, ob ein Priester schwul ist oder nicht? Die Wissenschaft hat bis heute keine uberzeugenden Testverfahren zur Klarung dieser Frage geliefert. Hatte es ein solches gegeben, hatten sich die chinesischen Kaiser fruher die ganzen operativen Eingriffe zur Bereitstellung von Eunuchen sparen konnen, indem sie einfach Schwule zur Betreuung ihres Frauenpools angestellt hatten. Aber die chinesischen Kaiser waren kluger als die katholische Kirche heute und gingen auf Nummer Sicher; nur Eunuchen-Priester konnen die Einhaltung des Zolibats garantieren.
Das Zolibat ist ein besonders krasser Fall von Missachtung der mit einer Bestimmung (meistens Gebote oder Verbote) gesetzten Anreizstruktur. Eine solche Bestimmung wurde nur in einer Welt Sinn machen, in der es weder Homosexualitat noch Padophilie gibt und wo die Unterdruckung der Sexualitat wie das Ausknipsen eines Lichtschalters funktioniert. Von einer solchen Welt sind wir aber meilenweit entfernt, und in der Realitat setzt das Zolibat somit eine vollig falsche Anreizstruktur. Nur eine Ursachenbekampfung in Form von dessen Beseitigung kann dieses Problem wirklich losen. Aber die katholische Kirche hat Muhe, sich von ihrem liebgewonnenen Kind zu trennen, und nimmt dafur lieber etwas Padophilie in Kauf.
Das Zolibat ist symptomatisch fur eine Menge weiterer Bestimmungen, die ebenfalls perverse Anreizstrukturen setzen. Ein offensichtlicher Fall war die Prohibition in den USA der zwanziger und dreissiger Jahre. Die Absicht eines solchen Verbots des Alkoholkonsums war es, der Trunksucht vieler Burger ein Ende zu bereiten. Doch in liberalen Staaten erweist sich ein solches Verbot als untauglich, wie die Zeit der Prohibition deutlich bewies. Nie starben mehr Menschen an Alkoholvergiftungen, weil der in dieser Periode konsumierte, illegal gebrannte Schnaps der Gesundheit ausserst abtraglich war.
Die Todesfalle waren eine Folge der Missachtung der durch das Alkoholverbot unbewusst gesetzten Anreize. Das Verbot namlich machte die Herstellung und den Verkauf von alkoholischen Getranken erst so richtig profitabel, und die Mafia liess sich diese einmalige Chance nicht entgehen. Die Prohibition entwickelte sich zu einer Wirtschaftsforderung von kriminellen Organisationen, die mit illegal gebranntem Schnaps ein Vermogen verdienten. Zwar versuchte der Staat immer wieder, mit rigorosen Massnahmen gegen die Schnapsbrennereien vorzugehen, aber das war reine Symptombekampfung, genauso wie das jetzt ausgesprochene Schwulen-Verbot fur das Priesteramt. Erst das Aufheben der Prohibition brachte den Anreiz zur illegalen Schnapsbrennerei wieder zum Verschwinden.
Auch das geltende Schweizer Asylgesetz enthalt Anreize, deren negative Folgen wir seit einigen Jahren deutlich zu spuren kriegen. Darin gibt es ein Arbeitsverbot fur Asylbewerber mit der Absicht, die Schweiz als Asylland moglichst unattraktiv zu machen. Dieser Anreiz funktioniert durchaus, aber nur fur bestimmte Asylbewerber; das Arbeitsverbot schreckt namlich vor allem jene ab, die die Absicht haben, ihr Geld in der Schweiz mit legaler Arbeit zu verdienen. Asylbewerber, die diesen Status benutzen mochten, um hier kriminellen Aktivitaten nachzugehen, lassen sich nicht abschrecken. Da ist es kein Wunder, dass der Prozentsatz an kriminellen und arbeitsscheuen Asylbewerbern standig zunimmt. Das Arbeitsverbot beschert uns somit genau die Probleme, die es verhindern sollte.
Haften oder durchdrehen
Doch es sind nicht nur Verbote, bei denen die damit gesetzten Anreizstrukturen vernachlassigt werden. Ein anderes Beispiel ist die Produkthaftung, wie sie vor allem in den USA konsequent angewendet wird. Dass ein Hersteller fur fehlerhafte Produkte bzw. damit verbundene Gefahren haftet, ist zunachst mal sinnvoll, da solch eine Haftung die Firmen zu einer gewissen Sorgfalt in der Produktion zwingt. Doch gleichzeitig wird damit ein Anreiz gesetzt, die Haftung fur alle Unfalle und sonstigen Schaden auf den Hersteller abzuwalzen.
So hat ein Autofahrer in den USA eine Millionenklage gegen McDonald’s gewonnen, weil er sich den Pappbecher Kaffee beim Autofahren zwischen die Beine geklemmt und sich beim Bremsen Verbrennungen geholt hatte. Grund: McDonald’s hatte nicht darauf hingewiesen, dass so etwas passieren konnte. Unter solch absurden Fallen leidet letztlich die Allgemeinheit, indem sich die Produkte verteuern, weil sie mit kiloschweren Gebrauchsanweisungen verkauft werden. Diese weisen namlich auf alle nur erdenklichen Gefahren des Produktes hin, um eine mogliche Haftung auszuschliessen. Profiteure sind einzig die Anwalte, fur welche die Produkthaftung eine willkommene Wirtschaftsforderung ist.
Diese Ausfuhrungen sind nicht als generelles Pladoyer gegen Verbote zu verstehen. Allein das Beispiel des Totungsverbots zeigt, wie wichtig sie sein konnen. Der Artikel ist vielmehr ein Pladoyer dafur, den mit Geboten und Verboten tatsachlich gesetzten Anreizstrukturen Beachtung zu schenken. Fur sie gilt, was der amerikanische Dichter Robert Frost einst so formuliert hat: Before I built a wall, I’d ask to know what I was walling in or walling out (Bevor ich eine Mauer baue, wurde ich lieber fragen, was ich ein- und was ich ausmauere).
Nicht alle Menschen sind gleich, und bei jedem Gebot oder Verbot sollte man sich zuerst uberlegen, wen es anzieht und wen es abstosst. Das Zolibat musste dann wie zahlreiche weitere Bestimmungen aufgehoben werden, weil die damit unbewusst gesetzten Anreize mehr schaden als nutzen.
Mathias Binswanger ist Professor fur Volkswirtschaft an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten.
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