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"Die Europaischen Katholiken Sind Zu Oft Nur Blokende Schafe"

Der Tagesspiegel
October 8, 2012

http://www.tagesspiegel.de/politik/hans-kueng-die-europaeischen-katholiken-sind-zu-oft-nur-bloekende-schafe/7225396.html

Der Theologe Hans Kung beklagt Fortschrittsfeindlichkeit in der katholischen Kirche. - Foto: dpa

Am 11. Oktober feiert die katholische Kirche den Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils vor 50 Jahren. Feiern Sie mit?

Zum Feiern besteht meiner Ansicht nach kein Anlass, eher zu einem Bu?gottesdienst oder einer Trauerandacht. Uberall auf der Welt empfinden viele Katholiken eine tiefe Trauer uber die Entwicklung unserer Kirche und nicht wenige haben deshalb der Kirche den Rucken gekehrt. Die Restaurationspapste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. haben das Konzil ruckwarts interpretiert.

Das Konzil hat beschlossen, die Kirche habe die Pflicht, „nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Licht des Evangeliums neu zu deuten“. Tut sie das?

Das hat die Kirche weithin vergessen, sie schaut weder auf das Evangelium noch auf die Sorgen und Hoffnungen der Menschen. In Rom sind sie wieder viel mehr an der Tradition interessiert, beleben die alte Messe und den papstlichen Absolutismus. Man nutzt die Informationen uber die Welt nur, um sich selbst bestatigen zu lassen, oder kehrt zur alten Moderne- und Fortschrittsfeindlichkeit zuruck. Ich glaube, dass sich der Papst kaum eine Vorstellung macht, wie es jenseits der Fassaden des Vatikan aussieht, dass zum Beispiel die Seelsorge in vielen Weltgegenden zusammenbricht, weil man keine Priester mehr hat. Man verdrangt die Frage nach dem Zolibat und der Frauen-Ordination und ob die Sexualmoral zeitgema? ist und die Haltung zur Geburtenregelung.

Braucht es ein drittes Konzil?

Es ware schon, man wurde ein solches Konzil einberufen. Aber die Erneuerung ist ohnehin im Gang. Es gibt immer mehr Initiativen von rebellischen Pfarrern in Osterreich, Deutschland und der Schweiz. Sie machen, was sie fur richtig halten, auch wenn es nicht der Lehre der Kirche entspricht. Sie spenden zum Beispiel allen Menschen die Kommunion, die sie haben mochten, zum Beispiel auch Geschiedenen, die neu geheiratet haben.

Haben Sie die Hoffnung, dass daraus eine breite Bewegung werden konnte?

Die europaischen Katholiken sind zu oft nur blokende Schafe und nicht wirklich verantwortungsvolle, protestierende und agierende Christenmenschen. Aber die Initiativen wirken als Signal. Der Unmut uber die gegenwartige Kirchenleitung ist weit verbreitet in der Welt.

Nicht nur in Europa?

Die romische Propaganda redet uns ein, dass sich nur die Europaer beschweren. Aber auch in Afrika und Lateinamerika gibt es zu wenig Priester. Und die Priester leben auch dort den Zolibat nicht mehr so, wie es sich die Kirche wunscht.

Der nachste Papst kommt vermutlich aus Afrika oder Lateinamerika. Glauben Sie, dass ein Papst von dort eher bereit ist zu Reformen?

Die Nationalitat ist nicht entscheidend, sondern die Mentalitat. Ich kenne Kardinale aus diesen Landern, die sind noch konservativer als die Romer. Aber es gibt auch andere. Man hatte ja auch Sorge, was aus den Vereinten Nationen wird, wenn der Generalsekretar nicht mehr aus Europa kommt. Doch gerade der Afrikaner Kofi Annan hat in hohem Ma?e uberzeugend gewirkt.

Wer braucht heute uberhaupt noch Religion? Nur die Schwachen?

Man kann die Fragen nach dem Sinn des Lebens und nach Werten fur das Zusammenleben auch ohne Bezug zu Gott beantworten. Aber eine aufgeklarte Religiositat kann viel zur Humanisierung der Gesellschaft beitragen: Sie motiviert durch Leitgestalten, Geschichten und Parabeln Menschen zum Engagement fur die Gemeinschaft. Religion vermag das Woher und Wohin des Daseins zu deuten und hilft, mit Krankheit, Ungerechtigkeit und Schuld fertigzuwerden. Religion kann durch uberlieferte Erfahrungen und Rituale eine geistige Heimat stiften, woraus sich auch Starke zum Protest formieren kann, wie sich in der DDR gezeigt hat.

Religion ist nicht per se gut …

Religion kann zu Hass und Krieg instrumentalisiert werden. Aber viele Friedensstiftungen gingen auf religiose Menschen zuruck. Wir Religiose brauchen uns nicht zu verstecken. Denken Sie auch an die Ressourcenverschwendung und das Bevolkerungswachstum. Da konnte die Kirche viel verandern. Wenn Papst Wojtyla in den Slums von Nairobi gepredigt hatte, dass man nicht einfach Kinder in die Welt setzen darf, die man nicht ernahren kann, sondern eine vernunftige Geburtenregelung praktizieren muss, hatte das gewaltige Auswirkungen gehabt.

 

 

 

 

 




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