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Verdachtig Still

Die Zeit
July 26, 2012

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Vor einem Jahr wurde eine Studie zum sexuellen Missbrauch angekundigt, nun stockt das Projekt des Kriminologen Christian Pfeiffer. Wie einflussreich sind die Kritiker?

Im Juli 2011 wurden Journalisten in den profanen Raumen des Bonner Universitatsclubs eines Mirakels teilhaftig: Die Bischofskonferenz kundigte ein Forschungsprojekt zum Thema Missbrauch an; Falle von 1945 bis in die Gegenwart sollten aufgeklart werden. „Der sexuelle Missbrauch an Minderjahrigen durch katholische Priester, Diakone und mannliche Ordensangehorige“, lautete der Titel. Gemeint war: mehr Glaubwurdigkeit, weniger Vertuschen. Als federfuhrender Experte wurde der bekannte Hannoveraner Kriminologe Christian Pfeiffer prasentiert.

Alle 27 Diozesen unterstutzten das Projekt des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen zur wissenschaftlichen Wahrheitssuche. Alle – das war das eigentlich Uberraschende, denn im Skandaljahr 2010 galt das Wort Recherche noch in einigen Diozesen als Synonym fur antikirchliche Ressentiments. Wie es gelungen sei, die Bischofe bei einem so heiklen Thema zu einer einheitlichen Reaktion zu bewegen, fragte eine Journalistin auf der bestens besuchten Pressekonferenz. Stephan Ackermann, der zustandige Bischof in Missbrauchsangelegenheiten, antwortete lachelnd. Er sprach von Wundern, die es sogar in Kirchenkreisen immer wieder gebe.

Nun scheinen tatsachlich uberirdische Krafte vonnoten, um die Abgrunde aufzuklaren. Das Gro?projekt ist zur Projektionsflache diverser kirchenpolitischer Anliegen geworden. Die Studienfreunde sind stiller, die Kritiker lauter als vor einem Jahr. „Wichtiger und ehrlicher als eine Studie ist eine Aufhebung der Verjahrungsfristen“, sagt zum Beispiel Norbert Denef. Der 63-Jahrige wurde als Kind von einem Pfarrer sexuell missbraucht, vor zwei Jahren grundete er das „Netzwerk B“, einen Verein fur die Betroffenen von sexualisierter Gewalt. Bis Dienstag war er wochenlang im Hungerstreik, um Politiker auf sein Anliegen aufmerksam zu machen. „Morgen beende ich den Streik, ihr konnt mich dabei fotografieren, wenn ich in der Strandbar von Scharbeutz den ersten Salat esse“, erzahlt er am Montag den vielen Journalisten, die ihn anrufen. Von der katholischen Kirche erwarte er nichts mehr, sagt Norbert Denef.

Das Netzwerk katholischer Priester, ein Zusammenschluss besonders romtreuer Geistlicher, erwartet dagegen viel von der Una Sancta. Uber das Nachrichtenportal Kath.net lancierte die Gruppe jungst, man habe sich an Rom gewandt, weil der Zugriff auf bischofliche Geheimakten ohne Zustimmung des Heiligen Stuhls unzulassig sei. Eine Reaktion auf die Beschwerde aus dem Vatikan gebe es bisher nicht, sagt Guido Rodheudt, der Sprecher des Netzwerks. „Professor Pfeiffer kam wie ein Retter daher“, moniert er. „Die Bischofe uberschatzen aus unserer Sicht den PR-Effekt der Studie. Eventuelle positive Ergebnisse werden sicherlich nicht so in der Breite wahrgenommen wie der anfangliche Generalverdacht.“

Rodheudt ist Pfarrer in Herzogenrath bei Aachen, er furchtet eine Diskreditierung seines Berufsstands. „Durch die Studie werden aus dem gro?en Kreis der betroffenen Personen- und Berufsgruppen ausschlie?lich die Kleriker herausgenommen und einem Generalverdacht ausgesetzt“, sagt er. „Sie werden erst mal ins Feuer geschoben, und nach ein paar Jahren kommt vielleicht heraus: Es sind nur wenige schuldig geworden. Das glaubt aber dann niemand mehr.“ Das sei eine Verzerrung der Wirklichkeit, die das Problem auch nicht losen werde.

Das Netzwerk wunscht sich eine interne Aufarbeitung der Missbrauchsfalle, ohne offentlichkeitswirksame Prasentation. „Kein Brieftrager wurde es sich gefallen lassen, wenn seine Daten ungefragt auf diese Weise so einsehbar waren, nur weil einige wenige seiner Kollegen das Postgeheimnis verletzt haben“, sagt Rodheudt.

Papst Benedikt XVI. hatte anno 2010 einen Brief an die irischen Bischofe geschrieben, mit dem auch die deutschen vorliebnehmen sollten. Darin forderte er, „die Wahrheit uber das ans Licht zu bringen, was in der Vergangenheit geschehen ist, alle notwendigen Ma?nahmen zu ergreifen, damit sich Derartiges nicht mehr wiederholt, zu gewahrleisten, dass die Prinzipien der Gerechtigkeit vollkommen geachtet werden, und, vor allem, den Opfern und all jenen Heilung zu bringen, die von diesen ungeheuerlichen Verbrechen betroffen sind“. Wer Licht will, darf das Feuer nicht scheuen, konnte man daraus lesen. Allerdings hat die Intervention konservativer Kreise in Rom schon manches Anliegen deutscher Bischofe zunichtegemacht. Ein Erfolg der Beschwerde ist nicht ausgeschlossen.

Am vergangenen Sonntag berichtete der WDR in seinem Religionsmagazin „Diesseits von Eden“, das ambitionierte Forschungsprojekt stehe vor dem Aus. Nicht nur das Priesternetzwerk sei dagegen, sondern gleich drei Diozesen – Regensburg, Munchen und Dresden – hatten sich aus der Studie verabschiedet, meldete der Sender. Stehen nicht mehr alle, sondern nur noch viele hinter der Studie? War das Wunder blo? eine Wunderkerze? Tatsachlich ware der Zeitpunkt fur ein diskretes Vergluhen gunstig, denn die deutsche Offentlichkeit interessiert sich zwischen Rettungsschirm und Vorhaut kaum noch fur das Thema Missbrauch.

Wer in den Diozesen nachfragt, wird an die Zentrale verwiesen. „Das Projekt stockt, wird aber unverandert von beiden Vertragspartnern gewollt“, hei?t es auf Anfrage bei der Bischofskonferenz. Es gebe kein Bistum, das seine Mitwirkung „grundsatzlich“ abgesagt habe. Christian Pfeiffer betont: „Alle sind, soweit mir bekannt ist, nach wie vor kooperationsbereit, niemand hat den Vertrag aufgekundigt.“ Details mussten noch abgestimmt werden.

Bisher fanden erste Tests in Hildesheim und Trier statt. Wenn der Optimismus des Kriminologen berechtigt bleiben soll, beginnt in wenigen Wochen die eigentliche Arbeit. Neun Diozesen sollen uber den gesamten Zeitraum untersucht werden, „Tiefenbohrung“ hei?t das in Pfeiffers Forschungskonzept; in den anderen Bistumern werden nur Akten seit dem Jahr 2000 in einer Querschnittsanalyse ausgewertet. Ausnahmslos alle Personalakten, hei?t es in dem Papier, sollen gesichtet und auf Tathinweise uberpruft werden. Daruber hinaus kundigten die Wissenschaftler an, sowohl Opfer als auch Tater detailliert zu befragen.

„Die Bischofe vergessen in dieser Studie ihre Fursorgepflicht fur die Priester. Mehr Sorge um den Klerus im Vorfeld hatte sicher manches verhindert“, sagt Guido Rodheudt.

Aber ware es besser, keine Studie zu haben, als diese? Wer das Pfeiffersche Expose liest, gewinnt nicht den Eindruck, hier gehe es um einen PR-Coup auf Kosten der Geistlichen. Wenn der wissenschaftliche Anspruch ernst genommen wird, ist ein Ergebnis zu erwarten, das sich einer Instrumentalisierung entzieht. Die Studie zielt darauf, das Ausma? zu erfassen und das spezifisch Kirchliche der Taten aufzuzeigen. Sie zielt nicht darauf, zu beurteilen, ob Priester noch anfalliger sind fur sexuellen Missbrauch, als es Titelstories wie „Die Scheinheiligen“ nahelegen, oder ob sie so wenig anfallig sind, wie routinierte Verteidiger des Klerus vermuten. Der Wert der auf drei Jahre angelegten Arbeit konnte gerade in der kirchenpolitischen Unverwertbarkeit liegen.

Bei aller Kritik mag Norbert Denef das kriminologische Forschungsprojekt doch nicht ganz aufgeben. Sein Netzwerk B will sich an der Studie beteiligen. Gerade hat er Christian Pfeiffer einen Vorschlag fur einen Beratervertrag zugeschickt. Noch eines dieser Details, die es zu regeln gilt.

 

 

 

 

 




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