| Missbrauch „entlastung Und Heilung" Im Priesteramt Gesucht
The Nachrichten
July 12, 2012
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Alles gut also in der römisch-katholischen Kirche? Pädophilie in den eigenen Reihen nur ein Problem, das man mit anderen gesellschaftlichen Einrichtungen teilt? Der Sexualmediziner Klaus Beier von der Berliner Charité glaubt das nicht. Er sagt: „Sexuelle Neigungen prägen sich in der Jugend aus. Doch was mache ich, wenn ich mich als junger Mann nicht zu Mädchen hingezogen fühle, sondern zu Kindern? Ich ahne dann, dass ich in dieser Gesellschaft nur Ablehnung erfahren werde. Im Leben geht es aber immer um Akzeptanz, um das Gefühl, angenommen zu werden. Das alles erhöht die Motivation, sich in ein System zu begeben, das von einem Menschen verlangt, die Sexualität hinter sich zu lassen. Dann gibt es keine Fragen mehr wie: Warum hast du keine Freundin? Warum heiratest du nicht?" Im Gegenteil: Dass man sich nicht zu Frauen hingezogen fühlt, werde nicht mehr als Makel wahrgenommen, sondern als anerkennenswerte Eigenschaft: „Priester haben einen hohen gesellschaftlichen Stand", so Beier.
Die Zahl der Priesteramtskandidaten sinkt
Immerhin dringen die Kirchenoberen mittlerweile offiziell darauf, dass die emotionale Reife von angehenden Priestern bei der Ausbildung eine große Rolle spielen muss. Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) formulierte 2002: „Die Aus- und Fortbildung der Geistlichen thematisiert im Rahmen der allgemeinen Persönlichkeitsbildung die Auseinandersetzung mit Fragen und Problemen der Sexualität, vermittelt Kenntnisse über Anzeichen sexuellen Fehlverhaltens und gibt Hilfen für den Umgang mit der eigenen Sexualität." Der Trierer Bischof Stephan Ackermann, von der Bischofskonferenz erst kürzlich zum Beauftragten für Fälle sexuellen Missbrauchs in der Kirche ernannt, räumte in einem Interview ein, dass man sich die Frage stellen müsse, „ob die priesterliche Lebensform krankhaft veranlagte Männer oder auch Homosexuelle in besonderer Weise anzieht". Hier bedürfe es „einer besonderen Wachsamkeit bei der Eignungsprüfung".
Was Ackermann nicht sagt: Der Priestermangel in der katholischen Kirche in Deutschland ist dramatisch. Und die Bistümer vergleichen sich auch untereinander, wer die meisten Kandidaten in den Priesterseminaren vorzuweisen hat. Geht Quantität da manchmal vor Qualität, wenn es um ein auch in der Krise gut gefülltes Seminar gehen soll? Ackermann hält dagegen: „Wir dürfen uns nicht korrumpieren lassen von den sinkenden Zahlen." Und die Konsequenz: „Notfalls müssen Bewerber eben trotzdem abgewiesen werden."
Kein Generalverdacht
Eine sexuelle Neigung lasse sich nicht einfach „durch Willenskraft und den Geist des Evangeliums" in den Griff bekommen, warnt Sexualmediziner Beier, der das bundesweit einzige Präventionsprojekt gegen Kindesmissbrauch leitet. Dennoch: Der Zölibat alleine fördere noch keine Übergriffe auf Kinder und Jugendliche. Das meint auch die Wiener Psychoanalytikerin Rotraud A. Perner, die ein Buch über sexuellen Missbrauch durch Priester veröffentlicht hat. „Manche Männer, die mit ihrer Sexualität nicht zurechtkommen, suchen im Priestertum Entlastung und Heilung." Forensiker Kröber stimmt zu: „Der Zölibat macht natürlich nicht pädophil; gleichwohl gibt es neben den zahlreichen Priestern, die sich ein Leben ohne partnerschaftliche Sexualität zu Recht zutrauen, einige Kandidaten, die glauben, von ihren sexuellen Problemen durch die klaren Vorgaben des Zölibats befreit zu werden." Priester und Ordensleute dürfen deshalb nicht unter Generalverdacht gestellt werden. Es gibt Priester, die die Ehelosigkeit und die sexuelle Enthaltsamkeit als Lebensform für sich akzeptiert haben. Es gibt Priester, die heimlich eine Freundin haben und Kinder zeugen. Es gibt Priester, die sind homosexuell. Verlässliche Zahlen dazu gibt es aber nicht, vieles spielt sich im Verborgenen ab. Und die katholische Kirche hält verbissen am Bild des ehelosen, nur für seinen Glauben und seine Kirche lebenden Diener Gottes fest.
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