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Etwas Ist Faul Im Vatikanstaat

By Franz Haas
Neue Zurcher Zeitung
July 12, 2012

http://www.nzz.ch/aktuell/feuilleton/uebersicht/ein-bandenkrieg-der-kardin-1.17331556

Immer wusste sich die katholische Kirche effektvoll zu inszenieren, und nach wie vor tut sie es bei der traditionellen Via Crucis in Rom: Papst Benedikt XVI. vor dem Kolosseum im April 2007.

Papst Benedikt XVI. steht im Kreuzfeuer von Intrigen, bei denen es vermutlich schon um seine Nachfolge geht. Auch nach der Verhaftung eines päpstlichen Kammerdieners, der geheime Dokumente kopiert hatte, sickern anonyme Informationen durch. Spezialisten sprechen von einem «heiligen Krieg im Vatikan».

Zumindest am Namenstag von Peter und Paul, den Schutzheiligen der Stadt Rom, gab sich der 85-jährige Papst zuversichtlich in seiner Predigt: «Die Mächte des Bösen werden nicht vorherrschen», sagte Benedikt XVI. am 29. Juni im Petersdom. Er wiederholte mehrmals wie zur Beschwörung das lateinische «non praevalebunt», das auch als Motto auf der Vatikan-Zeitung «L'Osservatore Romano» prangt. Zwischen den Zeilen der päpstlichen Predigt stand die Sorge um jenen Skandal, der seit Wochen als «Vatileaks» durch die Medien geistert. Italienische Zeitungen bekommen regelmässig geheime Dokumente aus dem Vatikan von anonymen Informanten. Unter diesen ist der im Mai verhaftete Paolo Gabriele, Kammerdiener des Papstes, wohl nur ein kleiner Fisch oder Sündenbock, denn auch nach seiner Verhaftung sickern noch Informationen durch. Die «Mächte des Bösen» werkeln also weiter, und sie sitzen auch innerhalb der Mauern des kleinen apostolischen Staates.

Trübe Geschäfte

Die Experten der Interpretation solcher Machtspiele heissen im italienischen Pressejargon «Vatikanisten». Sie nennen den Heiligen Vater meist sehr profan «papa Ratzinger». Einige von ihnen sind überzeugt, dass die neuesten Ränke eine Art Bandenkrieg unter Kardinälen sind, bei dem es um nicht weniger geht als um die Nachfolge von Papst Benedikt XVI. Doch die komplizierten Intrigen drehen sich manchmal auch um ganz weltliche Dinge: Nur einen Tag nach der Verhaftung des treulosen Kammerdieners erfolgte die plötzliche Entlassung von Ettore Gotti Tedeschi, dem Präsidenten der Vatikanbank IOR (Istituto per le Opere di Religione), der mehr Klarheit in die trüben Geschäfte dieses Geldinstituts bringen wollte.

Beim IOR geht es seit Jahrzehnten nicht nur um «die Werke der Religion». Immer wieder tauchte der Name des Instituts bei Skandalen auf, bis hin zu Waffengeschäften und mysteriösen Morden. Wie der Journalist Gianluigi Nuzzi in seinem Buch «Vatikan AG» 2009 anhand von vielen Dokumenten bewies, wurden dort auch exorbitante Schmiergelder in grossem Stil reingewaschen. Ein Schiedsspruch des Europarats hat in der vergangenen Woche nicht alle Zweifel ausgeräumt, ob die Bank sich ganz an die internationalen Richtlinien gegen Geldwäscherei hält – oder ob dort das Geschäft vor der Moral kommt, wie Nuzzi nahezulegen scheint, und ob der Vatikan in dieser Hinsicht gar als Schurkenstaat zu gelten habe.

Jetzt hat der detektivische Gianluigi Nuzzi ein neues Buch geschrieben, das seit Mitte Mai in dem winzigen Staat für Aufregung sorgt und im September auch auf Deutsch erscheinen wird unter dem Titel: «Seine Heiligkeit. Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Benedikt XVI.» Wiederum beruft sich der Autor auf Dokumente, diesmal auf solche, die er persönlich von Informanten aus dem Vatikan erhalten hat, deren Identität er aber nicht enthüllt. Diese «Raben», wie sie im italienischen Jargon heissen, müssen zahlreich und hochgestellt sein; das wird auch in einer Rezension in «La Repubblica» vermutet, denn derartige Informationen können nicht allein von einem bescheidenen Kammerdiener kommen.

Unter den von den vatikanischen «Raben» entwendeten Papieren sind auch viele Briefe an den Papst, in denen es um mehr oder weniger bekannte Skandale der letzten Jahre geht. Beunruhigender sind jedoch Dokumente, aus denen klar hervorgeht, dass italienische Politiker immer wieder versuchen, die Kirchenfürsten vor ihren Karren zu spannen, und dass sich anderseits der Vatikan massiv in die Politik Italiens einmischt. Zum Beispiel in Fragen der Abtreibung, der künstlichen Befruchtung und Stammzellenforschung, aber auch durch einen aufdringlichen katholischen Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen. Das alles ist nicht neu, die Machtverhältnisse waren stets wellenförmig. 1929 hat der faschistische Staat mit den Lateranverträgen versucht, durch finanzielle Zugeständnisse den politischen Einfluss der Kirche einzudämmen. Die Verträge gelten noch immer, doch in den letzten Jahren ist die List des Klerus gewachsen, der sich politisch breitmacht, ohne auf die klingende Münze zu verzichten.

Die Rolle des Kardinalstaatssekretärs

In Italien bezahlt die katholische Kirche keine Steuern für ihre enormen Aktivitäten und Immobilien, auch nicht für solche wie Hotels und Restaurants, die nicht zur Ausübung der Religion dienen. Das führt nicht nur zu einem gigantischen finanziellen Verlust, sondern es drohen dem Staat deshalb auch saftige Sanktionen der EU. Zu diesem Thema fanden die «Raben» ein interessantes Dokument, das Schreiben des (später entlassenen) Präsidenten des IOR Ettore Gotti Tedeschi an den Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone. Darin werden die Möglichkeiten aufgelistet, wie man die lästige EU-Norm austricksen könnte – und die entsprechenden Ratschläge hatte der Vatikan-Banker direkt von Giulio Tremonti bekommen, dem damaligen Finanzminister der Regierung Berlusconi.

So wäscht eine weltliche Hand die andere, eine geistliche, die auf beiden Seiten des Tibers immer mit im Spiel ist – in der italienischen Politik und in den vatikanischen Winkelzügen. Ein Name, der in vielen Informationen der «Vatileaks» immer wieder auftaucht, ist der des ehrgeizigen Tarcisio Bertone. Dieser bekleidet in dem absolutistisch regierten Staat gleichzeitig viele klerikale und säkulare Ämter, auf politischer Ebene ist er so etwas wie ein Premier- und Aussenminister in einem. Jedenfalls ist er der zweite Mann nach dem Papst, also der Stellvertreter des Stellvertreters Gottes auf Erden.

Gerade irdische Geschäfte liegen dem Kardinalstaatssekretär besonders. Er wollte mit Vatikangeldern die pleitegegangene hochmoderne Mailänder Klinik San Raffaele kaufen. Als dies misslang, bemühte er sich um den Ankauf der Römer Grossklinik Agostino Gemelli. Er betrieb auch ziemlich allmächtig den Rauswurf des Bankpräsidenten Gotti Tedeschi, der es mit den Normen der Geldwäscherei zu genau nehmen wollte. Und er rührte keinen Finger, als vor drei Jahren die Berlusconi-Presse eine Schmutzkampagne wegen angeblicher Homosexualität gegen Dino Boffo führte, bis dieser zurücktrat von seiner Stelle als Chefredaktor von «L'Avvenire», der Zeitung der Italienischen Bischofskonferenz. Dort nämlich sassen und sitzen die Erzfeinde des umtriebigen Bertone, auch sie Kardinäle grossen Kalibers: der ehemalige Präsident der Italienischen Bischofskonferenz Camillo Ruini und dessen Nachfolger Angelo Bagnasco. Zwischen diesen beiden Fraktionen, dem harten inneren Kern des Vatikans und der Italienischen Bischofskonferenz, herrsche ein offener Kampf, schreibt Sandro Magister, die Koryphäe unter den Vatikanisten, in der Wochenzeitschrift «L'Espresso»: ein «heiliger Krieg im Vatikan».

Die enorme Macht von Kardinal Bertone missfällt vielen, und es ist kein Wunder, dass sich mehrere ranghohe «Raben» fanden, die mit brisantem Material an die Öffentlichkeit gingen. Die italienische Presse jagt seit Monaten im Vatikan nach Sensationen: «Der Rabe ist ein Kardinal», vermutete der «Corriere della Sera». Natürlich fiel der Verdacht auch auf die ärgsten Feinde von Bertone, auf Ruini und vor allem auf dessen Nachfolger Bagnasco – die sich jedoch über derartigen Verdacht erhaben zeigen. Beide Kardinäle sind nicht nur Gegner von Bertone und seinen profanen Geschäften, sie äusserten sich gelegentlich auch besorgt über den Verfall der politischen Sitten Italiens unter Berlusconi. Kardinal Bagnasco forderte 2009 in einer donnernden Predigt sogar den Rücktritt des ältlichen Playboy-Politikers.

In der Mannschaft Gottes

Und auf welcher Seite steht der Papst in diesem «heiligen Krieg»? Benedikt XVI. ringt die Hände, will mit Diplomatie die wilde Bande zusammenhalten, zeigt Gottvertrauen und sagt in seinem markanten Italienisch: «Wir sind ein alter Papst.» Aber auch: «Wir sind in der Mannschaft Gottes, also in der siegreichen Mannschaft.» Die Vatikanisten schreiben: «Ratzinger ist alt und müde, die Zügel entgleiten ihm zusehends.» Benedikt XVI. verteidigt seine Schäfchen, so gut er kann. Auch seinen persönlichen Sekretär Georg Gänswein, der durch seine Position so nahe am apostolischen Machtpol zahlreiche Neider hat. Viele der Briefe, die von den «Raben» entwendet wurden, sind direkt an ihn gerichtet, mit der Bitte um persönliche Einflussnahme bei Seiner Heiligkeit.

Kurz nach der Skandalwelle im Mai hielt der Papst seinem Kardinalstaatssekretär Bertone noch kräftig die Stange: «Der Mann bleibt, wo er ist, und damit basta», beschied er den drängelnden Rivalen. Der mächtige Kardinal geht auch zu Gegenangriffen über, leugnet jegliches dunkle Geschäft des IOR, droht mit seinem Rücktritt, den der Papst stets erschreckt zurückweist (nur kein Aufsehen erregen!). Sehr lange wird sich der streitbare Bertone aber kaum halten, denn auch ausserhalb des Vatikans ist er nicht überall beliebt. Keinen Zweifel hat André Vingt-Trois, Erzbischof von Paris, der in einem Interview sagte: «Kardinal Bertone ist 78 Jahre alt. Da braucht man keine geheimen Enthüllungen, um seinen Rücktritt als Staatssekretär vorauszusehen.» Auch diese Worte könnten schon ein Schachzug für die nächste Papstwahl sein.

Der «deutsche Papst» fühlt sich zusehends unwohl auf dem Heiligen Stuhl inmitten von italienischen Intrigen, deshalb umgibt er sich gern mit Vertrauenspersonen aus seiner Heimat. Der neuste Schachzug in diesem Sinn war soeben die Ernennung des Bischofs von Regensburg, Gerhard Ludwig Müller, zum Präfekten der Glaubenskongregation an der Römer Kurie. In der letzten Pfingstpredigt hat Benedikt XVI. seine «Mannschaft Gottes» wieder einmal gewarnt vor der Lasterhöhle des Herzens, vor «Egoismus, Feindschaft, Zerwürfnis, Eifersucht», vermutlich wieder umsonst; und selbst seine Altersweisheit hilft ihm da wenig. Anderseits braucht es auch keine geheimen Enthüllungen, um vorauszusehen, dass das komplizierte Strippenziehen um die Nachfolge des 85-jährigen Papstes bald ganz offen und fiebrig beginnen wird.

Franz Haas, seit 1985 in Rom ansässig, ist derzeit professore associato für Deutsche Literatur an der Universität Mailand und schreibt regelmässig für das Feuilleton der NZZ.




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