| Sexueller Missbrauch in Osterreich: Zur Medienarbeit Der Katholischen Kirche
Zeit zu beten
June 4, 2012
http://zeitzubeten.org/2012/06/04/sexueller-missbrauch-in-der-rkk-ein-trauriger-zwischenbericht/
Die Kirche befindet sich wieder einmal unter Zugzwang: Laut der Plattform “Betroffener kirchlicher Gewalt” sind rund 40 beschuldigte Kirchenmitarbeiter, denen sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche vorgeworfen wird, immer noch im Amt. Die Plattform hat au?erdem eine Liste der Beschuldigten an neun Bischofe geschickt und fordert nun Konsequenzen. (Kurier, 04.06.2012, 14:27)
Es folgt eine Pressrundschau, die den Umgang der katholischen Kirche mit des sexuellen Missbrauchs beschuldigten Priestern und Mitarbeitern wiedergeben soll. Fur viele der Opfer physischer und sexueller Gewalt wurde zweifelsohne einiges unternommen; ob von den zustandigen Organen im Sinne der Aufarbeitung und Entschadigung gut gehandelt wurde, ist nach wie vor schwer zu beurteilen. Heute geht es aber um eine anderes Thema: Wie verfahrt die osterreichische katholische Kirche mit den betreffenden Priestern und Mitarbeitern? Angesichts der gesammelten Presseberichte zeigt sich ein Bild, das in folgenden Punkten zusammengefasst werden kann:
Eine zweistellige Zahl von beschuldigten Priestern und Mitarbeitern befindet sich weiterhin im Amt
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Eine diesbezuglich professionelle Pressearbeit der Diozesen und der Bischofskonferenz ist nicht erkennbar
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Die fur ihre Mitarbeiter zustandigen Bischofe schweigen und geraten immer wieder unter Zugzwang
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Ma?gebliche katholische Plattformen nehmen nicht oder nicht ausreichend Stellung zu diesem Thema (so hat z.B. kath.net von 30. Janner 2012 bis heute 04.06.2012 keine Nachrichten zu den Veroffentlichungen der obengenannten Plattform getatigt).
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Wenn sich eine Beschuldigung nicht rechtlich nachweisen lasst, kann der mutma?liche Tater weiterhin in der Kinder und Jugendseelsorge eingesetzt werden, so der Medienreferent der osterreichischen Bischofskonferenz und Mitglied der Ad hoc-Kommission zur Weiterentwicklung und Evaluation der geltenden kirchlichen Rahmenordnung, Dr. Paul Wuthe.
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Vor uber vier Monaten, im Janner 2012, hie? es von der Wiener Erzdiozese zu den Vorwurfen, Kardinal Christoph Schonborn und Bischof Egon Kapellari seien uber Missbrauchstater informiert worden:
Pressesprecher der Erzdiozese Wien, Michael Pruller: „Die Bischofe haben sich zur Aufarbeitung alter, auch verjahrter Missbrauchsfalle verpflichtet und wollen den Opfern wirklich helfen. Dabei kann bei Betroffenen der Eindruck entstehen, dass zu wenig geschieht. Aber es ist unredlich, den Bischofen Mitwisserschaft und Untatigkeit sowie der Klasnic-Kommission Vertuschung vorzuwerfen, nur weil sie nicht den Forderungen diverser Plattformen und Initiativen nachkommen.“ (kath.net/PEW, 30. Januar 2012)
Diese Entgegnung der Erzdiozese enthalt Formulierungen wie „boswillig; untergriffig; haltlos; Verleumdung“ und ist ein Beispiel unprofessioneller Pressearbeit.
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Kritik, vor allem der Plattform “Betroffene kirchlicher Gewalt”, man befasse nicht nicht mit den Tatern, entgegnete Caroline List, Richterin und Kommissionsmitglied [der Klasnic-Kommission]: “Was wir tun ist eine Plausibilitatsprufung.” Entscheidungen der Opferschutzanwaltschaft seien keine Urteile, da die mutma?lichen Tater nicht angehort wurden. Dass, wie die Plattform behauptete, rund 40 verdachtigte Priester nach wie vor im Amt seien, konnte List nicht bestatigen. “Ich wurde ganz dringend darum bitten, dass diese Namen bekanntgegeben werden.” Nur dann konne “dementsprechend gehandelt” werden. (Kleine Zeitung, 17.04.2012 um 13:08 Uhr)
Nun, genau dies ist nun geschehen. Man mag der Plattform gegenuberstehen wie man will, aber eines kann man ihr nicht vorwerfen: leere Ankundigungen. Mit anderen Worten, man hat solange tatenlos zugewartet, bis der Brief mit den Namen schlie?lich ubermittelt wurde.
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Seit Anfang 2010 gibt es die obengenannte Plattform. Genug Zeit um zu wissen, dass Informationen und Daten dieser Organisation mit einem gewissen Vorbehalt zu betrachten sind, es sich aber um tatachliche Anliegen und Hilfestellungen fur Opfer kirchlicher Gewaltopfer handelt. Und zwei volle Jahre sollen nicht ausreichen, um der Plattform mit professioneller kirchlicher Medienarbeit zu begegnen?
Einschlagig Verurteilte dabei
Seit Anfang 2010 betreibt die Organisation eine Hotline, bei der sich rund 400 Menschen gemeldet haben. Die Opfer nannten dabei oft auch die Namen der Beschuldigten, sagte Psychologe Philipp Schwarzler von der Hotline auf O1. Darunter sollen sich auch einige einschlagig Verurteilte befinden. Schwarzler: “Zum Teil gibt es verurteilte Straftater, die nach Absitzen ihrer Haftstrafe wieder in Dienst gestellt wurden. Oder beispielsweise der Fall jenes burgenlandischen Pfarrers, der vor 10 Jahren eine 18 Monate bedingte Haftstrafe bekommen hat und auch wieder im Amt ist.”
Beschuldigte wurden “nur” versetzt
Der Umgang der Kirche mit den Beschuldigten wird massiv kritisiert. Viele seien einfach versetzt worden, so Schwarzler. “Es ist emporend, wenn Priester in neuen Pfarren eingesetzt werden bzw. als Aushilfspriester tatig sind, wenn ein vielfach schuldig gewordener Priester in den Kunst- und Kulturbeirat der Erzdiozese Wien berufen und zum Kirchenrektor einer oberosterreichischen Kirche ernannt wird”, so Psychologe Philipp Schwarzler in einer Aussendung.
Die Plattform will die Namen nicht der Klasnic-Kommission (kirchliche Opferschutzanwaltschaft unter der Leitung von Waltraud Klasnic) nennen, sagte Schwarzler auf O1. Die Kommission fuhle sich fur die Tater nicht zustandig. Auf der Liste stehen insgesamt 40 Personen, denen sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche vorgeworfen wurde. 35 davon sind Priester (davon 17 Ordenspriester), 2 nicht geweihte Ordensangehorige sowie 3 Laienmitarbeiter. (Kurier, 04.06.2012, 14:27)
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So ist es unweigerlich gekommen, wie es kommen musste: Wenn man den “Gegner” lange genug hinhalt und negiert, dann sieht dieser sich veranlasst, mit seinen Daten an die Offentlichkeit zu gehen. Heute veroffentlicht die Austria Presseagentur (APA) eine von der Plattform “Betroffene kirchlicher Gewalt” zusammengestellte Liste uber die Zahl an Priestern und Mitarbeitern der katholischen Kirche, die wegen sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche beschuldigt sind. Und selbst wenn von der Liste nur drei Namen ubrigbleiben, dann sind es drei kirchliche Amtstrager zuviel, die straf-, zivil- und kirchenrechtlich verschont wurden, und uber die nicht berichtet wurde.
Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche
Die Namen dieser und weiterer Manner wurden jetzt an die zustandigen Bischofe gesandt mit der Aufforderung, endlich Konsequenzen zu ziehen bzw. die in manchen Fallen noch notwendigen Abklarungen vorzunehmen und bis Ende Juli 2012 uber die Ergebnisse zu informieren. Es sind insgesamt 40 Personen, denen allesamt sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche vorgeworfen wurde. 35 Priester (davon 17 Ordenspriester), 2 nicht geweihte Ordensangehorige sowie 3 Laienmitarbeiter. In nahezu zwei Drittel dieser Falle liegen auch Angaben daruber vor, dass kirchliche Stellen (Ombudsstellen; Klasnic-Kommission; Vorgesetzte wie Bischofe, Abte usw.) uber die Vorwurfe informiert sind. Trotzdem durfen diese Manner immer noch ehrenvolle Amter bekleiden und priesterliche Funktionen ausuben.
Die Anzahl der beschuldigten Priester im Amt verteilt sich auf folgende Diozesen:
Erzdiozese Wien, Kardinal Schonborn: 11
Diozese Graz-Seckau, Bischof Kapellari: 7
Erzdiozese Salzburg, Erzbischof Kothgasser: 6
Diozese Innsbruck, Bischof Scheuer: 5
Diozese Linz, Bischof Schwarz: 4
Diozese St. Polten, Bischof Kung: 3
Militardiozese, Bischof Werner: 2
Diozese Eisenstadt, Bischof Zsifkovics: 1
Diozese Essen (D), Bischof Overbeck: 1
(APA/OTS, 04.06.2012)
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Wie sieht die erste Reaktion zustandiger kirchlicher Organe aus? Wenn die seit zwei Jahren geltende kirchliche Rahmenordnung den Umgang mit Tatern tatsachlich so klar regelt, warum gibt es dann keine entsprechende mediale Aufklarung uber getroffene Ma?nahmen, verhangte Disziplinarma?nahmen, Strafen und Ausschlusse?
Erste Reaktion der Osterreichischen Bischofskonferenz
Man werde die Vorwurfe “ernsthaft prufen”, reagierte die Osterreichische Bischofskonferenz via Kathpress. Uber Details der Beschuldigungen bzw. Einzelfalle konne man derzeit noch nichts sagen, so Paul Wuthe, Medienreferent der Bischofskonferenz, da die Briefe bei den Bischofen noch nicht eingelangt seien. Er verwies auf die seit zwei Jahren geltende kirchliche Rahmenordnung, wo der Umgang mit Tatern klar geregelt sei. (Kurier, 04.06.2012, 14:27)
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Wohl nicht zu Unrecht fragt sich die genannte Plattform, warum bis dato keine Disziplinarma?nahmen und kein Auschluss aus dem Priesteramt bekannt wurden:
Kirche soll Klagen zivilrechtlich prufen lassen
In keinem der uns bekannten Falle ist ein Beschuldigter, aber auch kein Verurteilter romisch-katholischer Geistlicher laisiert, also aus dem Priesterstand entfernt, worden. So etwas ware bei keinem Kindergartner, keinem Sozialarbeiter im Jugendamt, keinem Lehrer in normalen Schulen denkbar – wer einmal wegen sexuellen Kindesmissbrauchs oder Ausnutzung eines Autoritatsverhaltnisses rechtskraftig verurteilt ist, ist aus diesem Berufsfeld endgultig drau?en. Warum ist das in der Kirche anders?
Es gibt zivilrechtliche Verantwortungen. Die Kirche konnte auf die Einwendung der Verjahrung verzichten. Vereinfacht dargestellt, konnte sie sagen: „Ja, das ist zwar verjahrt. Aber wir wollen trotzdem, dass die Sachlage gepruft wird. Wir wollen wissen, was damals passiert ist. Wir lassen die eingebrachte Klage zu, stellen uns den Vorwurfen und lassen sie durch ein unabhangiges Gericht prufen.“ Das hat die romisch-katholische Kirche unseres Wissens bis heute in keinem einzigen Falle getan.
Wir gehen von mindestens 5000 Betroffenen in Osterreich aus und von einigen hundert Tatern. Von 40 beschuldigten Priestern wissen wir explizit, dass sie nach wie vor im Dienst sind und somit ein latentes Gefahrenpotential darstellen. (Plattform „Betroffene kirchlicher Gewalt“, 16.04.2012)
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Es ist sicher sehr, sehr schwierig, im konkreten Fall zu beschlie?en, wie mit einem Priester oder Mitarbeiter umzugehen ist, dem sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen vorgeworfen wird. Die kirchliche Rahmenordnung sieht Ma?nahmen vor, wenn der Missbrauch rechtlich nachgewiesen wird. Aber wie sieht es in den vielen Fallen aus, wo sehr konkrete Mutma?ungen, aber keine Beweise vorliegen?
Uberfuhrte und verurteilte Tater durften demnach nicht mehr in der Kinder- bzw. Jugendseelsorge eingesetzt werden. In der Rahmenordnung hei?t es wortlich: “Keinesfalls wird die Diozesanleitung padophile Missbrauchstater in der Pastoral einsetzen, wo der Kontakt zu Kindern und Jugendlichen gegeben ist. Uber mogliche Einsatze in anderen Bereichen wird – eventuell nach Einholung eines Gutachtens – eine Entscheidung im Einzelfall getroffen. Dabei sind die Art des Vergehens, die Schuldeinsicht und Wiedergutmachung des Taters, die Wiederholungsgefahr und die gro?tmogliche Sicherheit fur die Menschen im Wirkungsbereich zu berucksichtigen. Fur die diesbezugliche Entscheidung soll ein forensisch-psychiatrisches Gutachten als Grundlage dienen.”
Es sei eine wichtige und zugleich oft schwierig zu beantwortende Frage, wie mit verurteilten Tatern weiter umzugehen sei, so Wuthe; etwa wenn jemand seine Haftstrafe verbu?t und eine Therapie erfolgreich abgeschlossen habe, er sich weiterhin in Supervision befinde und das kirchenrechtliche Verfahren zu keinem Ausschluss aus dem Priesteramt gefuhrt habe. Dann konne eine solche Person zwar nicht mehr in der Kinder- oder Jugendpastoral tatig sein, es stelle sich aber die Frage nach der weiteren konkreten priesterlichen Verwendung.
Wenn sich eine Beschuldigung aber nicht rechtlich nachweisen lie?e, konne es zu der Situation kommen, dass einem Opfer von der Klasnic-Kommission und der Kirche zwar geholfen wird, ein Beschuldigter aber weiterhin im priesterlichen Dienst verbleiben konne. Das sei freilich eine Gratwanderung und musse immer im Einzefall sorgfaltig gepruft werden, raumte Wuthe ein. (kathpress, 04.06.2012)
Diese Gratwanderung darf als grenzwertig bezeichnet werden, aber das ist nur eine von den eingangs formulierten Fragen, die mich beschaftigen. Es wird wohl viel Geduld und noch mehr Gebet verlangen, bevor diese unruhmlichen kirchlichen Zustande von Meldungen uber eine gesunde, frohliche und wachsende Kirche abgelost werden.
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