| Machtspiele Hinter Den Mauern Des Vatikans
The Zeit
June 4, 2012
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Tarcisio Bertone, Kardinalstaatssekretär des Vatikans
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Tarcisio Bertone kommt im Vatikan gleich nach dem Papst. Sein gewaltiger Einfluss bringt die Kurie gegen ihn auf. Noch stützt der Papst den Staatssekretär.
Gestohlene Briefe, Ächtungen, Machtspiele und sogar Mordkomplotte – die Berichterstattung über die Vatikan-Krise übertrifft fast schon die Fantasien reißerischer Thriller-Autoren. Ein Name taucht in jeder neuen Geschichte auf: Tarcisio Bertone.
Auch der jüngste "Vatikanleaks"-Skandal um das Buch Sua Eminenza des Journalisten Gianluigi Nuzzi ist aus Sicht von Beobachtern nur eine Offensive im langjährigen Kampf zwischen dem vatikanischen Kardinalstaatssekretär und seinen Gegnern. Die Veröffentlichung der privaten Korrespondenz des Papstes – sagen Vatikan-Insider – soll das Ziel haben, die Machtspiele in der Kurie publik zu machen, um Bertone zum Rücktritt zu zwingen. Sicher ist, dass der 78-Jährige immer weniger Freunde in Rom hat.
Auf den ersten Blick ist der Kardinal, um den sich so viele Verschwörungstheorien ranken, alles andere als eine düstere Figur. In Interviews gibt er sich entspannt und geschwätzig. Am liebsten spricht er über seine größte Leidenschaft: Fußball. Jede Woche, sagt er, lasse er sich die Spielergebnisse der Serie A per SMS zuschicken.
Die Leidenschaft für den Fußball geht auf Bertones Zeit im Salesianerkolleg in Turin zurück. Damals spielte er als Außenverteidiger in einer lokalen Mannschaft. Die Zeit bei den Salesianern habe ihn stark geprägt, sagt er oft.
Wie der Gründer der Ordensgemeinschaft, Don Giovanni Bosco, ist Bertone ein Tatmensch. Und wie Don Bosco neigt er dazu, hart gegen die "Feinde des Glaubens" vorzugehen. Auch deshalb mischt er sich gern in politische Angelegenheiten ein.
Vorwürfe wegen des Umgangs mit einem Missbrauchsfall
Nach einer Promotion im kanonischen Recht unterrichtete Bertone zwanzig Jahre lang theologische Ethik an der Università Salesiana in Rom. 1991 wurde er dann zum Erzbischof von Vercelli ernannt. Als Sekretär kam er vier Jahre später in die Kongregation für die Glaubenslehre. Dort arbeitete er Schulter an Schulter mit dem damaligen Präfekten der Kongregation, dem Erzbischof von München-Freising Joseph Ratzinger.
In dieser Zeit traf Bertone auch eine umstrittene Entscheidung, die für den künftigen Papst Benedikt XVI. schwerwiegende Konsequenzen haben sollte. 1998 riet er der Diözese von Milwaukee davon ab, ein kanonisches Verfahren gegen Lawrence Murphy einzuleiten – einen Priester der bis zu zweihundert behinderte Kinder missbraucht hatte. Zwölf Jahre später löste die Veröffentlichung der Murphy-Akten eine der dramatischsten Krisen der Kirchengeschichte aus.
Doch das war nicht die einzige Kontroverse, in die Bertone als Sekretär der Kongregation verwickelt war. Im Jahr 2000 etwa koordinierte er die Veröffentlichung des dritten Geheimnisses von Fatima und sah sich Vorwürfen ausgesetzt, er habe nur einen Teil der berühmten Maria-Weissagung freigegeben. 2001 vermittelte er zwischen Johannes Paul II. und dem abtrünnigen Bischof Emmanuel Milingo, der wegen einer Polemik über den Zölibat der Geistlichen aus der Kirche geschieden war. Der Annäherungsprozess erwies sich als erfolgreich, doch nicht von Dauer: 2006 trat Milingo erneut aus der Kirche.
Die Kongregation verließ Bertone 2002, er ging als Metropolit nach Genua und wurde ein Jahr später zum Kardinal ernannt.
In Rom spielte sich unterdessen der letzte Akt des Pontifikats von Johannes Paul II. ab. "Mit der vatikanischen Regierung hatte der 'reisende Papst' immer wenig am Hut", sagt der italienische Vatikan-Experte Sandro Magister. "Das führte dazu, dass sich in der Kurie mehrere verfeindete Gruppen bildeten. Als Johannes Paul krank wurde, verschlimmerte sich die Lage noch."
Harmonischer ging es hinter den Mauern des Vatikan auch mit der Wahl Ratzingers zum neuen Papst im April 2005 nicht zu: Innerhalb der Kurie entbrannte ein heftiger Streit darüber, wer Angelo Sodano als Staatssekretär nachfolgen sollte. Benedikt XVI. wollte diese Situation schnell beenden. "Der neue Staatssekretär sollte jemand sein, der nicht an den Machtspielen der Kurie beteiligt war", sagt Magister. Der Papst erinnerte sich an seinen einstigen Sekretär der Glaubenskongregation und ernannte Bertone im Juni 2006 für den Posten.
Ruhe war damit noch lange nicht eingekehrt: "Der Unmut in der Kurie war groß, noch bevor Bertone nach Rom kam", sagt Magister. "Er war ein Outsider, der nicht wie seine Vorgänger zur vatikanischen Diplomatie gehörte." Doch der neue Staatssekretär ließ sich nicht einschüchtern. Von Anfang an zeigte er eine starke Neigung zu einer zentralistischen Regierungsführung, die den anderen Kardinälen offensichtlich missfiel.
Schon zwei Jahre später allerdings musste der neue Staatssekretär in die Defensive gehen. Kurz nach der Ernennung von Stanislaw Wielgus zum Erzbischof von Warschau tauchten einige Dokumenten auf, die jenen als Kollaborateur der kommunistischen Regierung bezeichneten. Bertone, der Wielgus' Ernennung bewilligt hatte, soll dabei mehrere Vorwarnungen ignoriert haben.
Zur Not auch gegen den Willen des Papstes
Trotz des Fehlstarts baute der Staatssekretär seine Machtfülle aus – während der Papst mit den Polemiken um die Piusbrüder und den Pädophilie-Skandalen beschäftigt war. Sein Einfluss reichte inzwischen weit über die Grenzen des Vatikans hinaus. Nach Recherchen der Tageszeitung La Repubblica soll Bertone 2010 direkt an Verhandlungen beteiligt gewesen sein, um die Berlusconi-Regierung zu retten. Schon 2007 hatte er in einem Brief an den Präsidenten der italienischen Bischofskonferenz Angelo Bagnasco die Führungsrolle des vatikanischen Staatssekretärs in den Beziehungen mit der italienischen Politik verteidigt.
Auch im wirtschaftlichen Bereich soll Bertone immer häufiger eigenmächtig agiert haben. So wehrte er sich etwa ausdrücklich gegen die Transparenz-Kampagne, die Benedikt XVI. 2011 initiierte, um die Aufnahme des Vatikans in die "White List" der finanziell zuverlässigen Staaten zu ermöglichen. Im selben Jahr führte er außerdem – gegen den Willen des Papstes – eine eigene Kampagne, um das Mailänder Krankenhaus San Raffaele mit vatikanischem Geld aus der Insolvenz zu retten. Beides führte zu einer heftigen Auseinandersetzung mit dem Chef der Vatikanbank Ettore Gotti Tedeschi, der inzwischen zurücktreten musste.
"Der Mann bleibt da, wo er ist."
Bertones autokratischer Regierungsstil ließ die Gruppe seiner Gegner immer größer werden. Doch vorerst ohne Konsequenzen: Die Opposition begnügte sich meist damit, die Gerüchteküche des Vatikans mit Geheiminformationen zu füttern. Im August allerdings veröffentlichte eine italienische Zeitung einen Drohbrief, der dem Staatssekretär eine "Bestattung im Königshof" versprach. Treffenderweise handelte es sich um ein Zitat des Salesianer-Gründers Don Bosco.
Der Machtkampf in der Kurie jedenfalls wird immer härter. Und der einzige, der den Streit beenden könnte, schweigt. Dabei sollen den Papst schon 2009, kurz nach dem Ausbruch der Debatte um die Piusbrüder, einige Kardinäle direkt angesprochen haben, um Bertones Rücktritt zu fordern. Benedikts Antwort soll kurz und bündig gewesen sein: "Der Mann bleibt da, wo er ist."
Vatikan-Experte Magister ist sicher: "Der Papst kennt Bertone gut. Er weiß, dass seine Absichten gut sind." Doch weil der Eifer des Staatssekretärs immer größere Probleme bereite, müsse Bertone gehen. "Es ist meine feste Überzeugung, dass Benedikt XVI. schon eine Entscheidung getroffen hat. Bisher konnte er nur noch keinen passenden Nachfolger finden", sagt Magister. Nach seiner Einschätzung wird sich diese Frage in den kommenden Monaten klären. "Wahrscheinlich noch vor Ende des Jahres."
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