| Diozese an Missbrauchsopfer: Wir Bedauern, Aber Sie Lugen!
Regensburg-Digital
February 16, 2012
http://www.regensburg-digital.de/diozese-an-missbrauchsopfer-wir-bedauern-aber-sie-lugen/15022012/
„Perfides Nachtreten.“ So nennt die Therapeutin eines Opfers von sexueller Gewalt ein Schreiben der Diozese Regensburg. In wohlgesetzten Worten wird der heute 63jahrige Mann darin zum Lugner abgestempelt. Wenn er die Grunde wissen wolle, konne er sich ja an den Anwalt des Bistums wenden, schreibt ihm Generalvikar Michael Fuchs. Wir veroffentlichen den Brief im Original.
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Die Missbrauchsbeauftragte Birgit Bohm: Fur Udo Kaiser eine einzige Enttauschung. Fotto: Archiv
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Die Therapeutin von Udo Kaiser war entsetzt. Als „perfides Nachtreten“ bezeichnet sie ein Schreiben des Bistums Regensburg an den 63jahrigen Tenor und Schauspieler. „Ich werde zum Lugner abgestempelt“, sagt uns Kaiser am Telefon uber das Schreiben, das er vier Tage vor Heiligabend bekommen hat und das ihn fur einige Wochen in eine tiefe Depression gesturzt hat. „Das hat mich vollig zuruckgeworfen. Ich habe mich wieder gefuhlt wie der kleine Junge von damals.“
Das „alltagliche Grauen“
Damals – das war 1956. Als Kind wurde Kaiser an der Vorschule und spater am Gymnasium der Regensburger Domspatzen verprugelt, sadistisch misshandelt und sexuell missbraucht. In vielen Gesprachen mit der Missbrauchsbeauftragten Birgit Bohm und Briefen an das Bistum hat er dieses „alltagliche Grauen“ detailliert geschildert. Er erzahlte, wie er mit Handen, Fausten und Fu?en grun und blau geschlagen wurde. Wie er sich vor einem Prafekten nackt ausziehen musste, der ihn dann mit den Rohrstock schlug und sich gleichzeitig an ihm befriedigte. Wie er das alles uber Jahre in Therapien aufgearbeitet hat.
Doch Kaiser ging nicht nur zum Bistum. Als die Verantwortlichen ihn dort immer wieder vertrosteten, sich nicht mehr meldeten und keinen Bericht zu den Gewalttaten vorlegten, wandte er sich Ende 2010 an die Offentlichkeit und erzahlte – ebenso wie einige wenige andere – seine Geschichte (unter anderem auch bei regensburg-digital).
Bischofskonferenz versprach unkomplizierte Losung
Als im Marz 2011 die deutsche Bischofskonferenz mit einem Entschadigungsangebot fur die Missbrauchsopfer auf den Plan trat und eine unkomplizierte Losung versprach, stellte auch Kaiser einen Antrag, fullte einen zwolfseitigen Fragebogen aus und gab eine eidesstattliche Versicherung zu seinen Schilderungen ab. Kaiser: „Es ging mir nicht um die 5.000 Euro. Das Geld hatte ich gespendet. Es ging mir darum, dass das Bistum anerkennt, was mit mir gemacht wurde.“
„Antrage auf Entschadigung bei der katholischen Kirche konnen Personen stellen, die geltend machen, als Minderjahrige Opfer sexuellen Missbrauchs durch Kleriker, Ordensangehorige und andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im kirchlichen Bereich geworden zu sein. Die Richtigkeit der Angaben ist schriftlich an Eides statt zu erklaren, weitergehende Belege oder Beweise werden nicht verlangt.“
Der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Stephan Ackermann zur Entschadigungsregelung (Marz 2011)
Am 20. Dezember hat ihm Generalvikar Michael Fuchs geantwortet. Die Hoffnung Kaisers hat sich nicht erfullt. Und das keine eineinhalb Seiten lange Schreiben ist vor dem Hintergrund der versprochenen unkomplizierten Entschadigungslosung ein Hohn.
Das Schreiben ist eine Verhohnung
„Perfides Nachtreten.“ Das Schreiben des Bistums an Udo Kaiser liest sich wie ein individualisierter Standardbrief.
Da stehen viele Satze, in denen viel von Betroffenheit, von Bedauern und von Leid die Rede ist. Ganz allgemein gesprochen, nicht mit Bezug auf Kaiser, bei dem man sich allerdings bedankt, dass er „so viel Geduld beim Warten auf unsere Antwort“ bewiesen habe.
Fur ihn personlich gibt es nur einige wenige Satze:
„Wir konnten (…) Ihre Aussagen zur Frage eines sexuellen Missbrauchs nicht nachvollziehen. Eine Leistung in Anerkennung von erlittenem Leid erscheint vor diesem Hintergrund nicht gerechtfertigt.“
Falls Kaiser etwas zu den Grunden fur diese Entscheidung erfahren wolle, konne er sich unter dem Stichwort „Anerkennung“ an den Rechtsanwalt der Diozese wenden, um einen Gesprachstermin zu vereinbaren, rat Fuchs.
„Die Quittung dafur, dass ich den Mund aufgemacht habe.“
Kaiser wird das nicht mehr tun. „Ich habe eben die Quittung dafur bekommen, dass ich es gewagt habe, offentlich den Mund aufzumachen.“ Als wir mit Kaiser telefonieren, kommt er gerade nachhause. „Ich habe mich endlich von dieser Steuergemeinschaft befreit und bin nach 63 Jahren aus der Kirche ausgetreten.“ Seinen Gang an die Offentlichkeit bereut er nicht. „Auch wenn mich dieser Brief erst einmal fertig gemacht hat – ich bin mit mir selbst im Reinen. Ob das die Verantwortlichen der Diozese Regensburg von sich behaupten konnen, wage ich zu bezweifeln.“
„Perfide fertig gemacht“
Wir veroffentlichen das Schreiben an Udo Kaiser mit seiner Zustimmung komplett. Er selbst will sich nun noch an den Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz wenden. „Nicht, weil ich mir davon noch irgendetwas erhoffe, aber weil ich will, dass alle erfahren, mit welcher Perfidie der Regensburger Bischof Missbrauchsopfer fertig machen will.“
Bis heute hat das Bistum Regensburg keinen Bericht zu Gewalt und Missbrauch in ihren Einrichtungen vorgelegt. Hier versucht man, die Sache auszusitzen. Auf Kosten der Opfer.
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