| Sexueller Missbrauch in Der Katholischen Kirche
By Hans-Jurgen Schlamp
Spiegel
February 9, 2012
http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,813719,00.html
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Konferenz-Teilnehmer in Rom: Weltweit machten sich Geistliche schuldig
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Die Kirchenoberen sind, trotz allen gottlichen Beistands in sonstigen Fragen, bei diesem Thema ratlos. Seit Jahren brechen immer neue Enthullungen uber den sexuellen Missbrauch Jugendlicher und Kinder in der Sakristei, im katholischen Internat oder auch im Ferienheim uber sie herein. Und sie wissen nicht, was sie tun sollen.
Fruher wurde alles gnadenlos vertuscht. Das geht nicht mehr. Also wird alles weggeschoben - in die Zukunft, an die weltliche Justiz, an Wissenschaftler. Eigene Zustandigkeit? Fehlanzeige.
Ein typisches Beispiel dafur bot sich vor ein paar Tagen. Da wurde ein katholischer Pfarrer in Braunschweig zu sechs Jahren Gefangnis verurteilt, weil er sich uber viele Jahre hinweg an drei Jungen vergangen hatte. Als der erste Kindesmissbrauch aufgeflogen war, belegte der zustandige Bischof den Pfarrer mit einem "Kontaktverbot" zu seinem Opfer. Der Priester gehorchte - und nahm sich fortan zwei andere kleine Jungs vor, mal im Pfarrhaus, mal beim Skifahren im Salzburger Land. Insgesamt 250 sexuelle Ubergriffe wies die Staatsanwaltschaft dem "Seelsorger" nach.
"Was sollen wir mit ihm machen?"
Der gerade mit Haft bestrafte Pfarrer sei ja erst 46 Jahre alt, also noch "arbeitsfahig", wenn er entlassen wurde, klagte der Sprecher des zustandigen Bistums Hildesheim im Kreise von Journalisten, noch im Gerichtssaal. "Was sollen wir dann mit ihm machen? Sagen Sie es mir?" Altenpflege, Archiv, Bibliothek? Auch dort konnten ja Kinder vorbeikommen. Armer ratloser Kirchenmann!
Dabei hatte es durchaus Gelegenheit gegeben, Erfahrung mit dem padophilen Kirchenmilieu zu sammeln. Denn seit 1940 vergingen sich allein im Bistum Hildesheim 25 Priester an insgesamt 40 Kindern.
In ihrer Hilflosigkeit angesichts des ebenso skandalosen wie existentiellen Themas sucht "Mutter Kirche" nun Rat bei der Wissenschaft. Mediziner und Medienfachleute, Politikprofessoren und naturlich Theologen sollen den mehr als 100 aus aller Welt angereisten Bischofen und vielen anderen ranghohen Kirchenmanagern in einem mehrtatigen Seminar in der "Papstlichen Universitat Gregoriana" in Rom neue Wege weisen. Sogar ein Missbrauchsopfer ist geladen: Die Irin Marie Collins, die mit zwolf Jahren im katholischen Krankenhaus missbraucht wurde.
Regionale Konferenzen, Seminare und Diskussionen an Runden Tischen hat es zu Hauf gegeben. Herausgekommen ist dabei wenig.
Jetzt nimmt sich das Top-Management der globalen Organisation mit etwa einer Milliarde Mitgliedern der Sache an. Die Kirche musse sich ihrer Verantwortung stellen, so der Jesuitenpater und Psychologe Hans Zollner, einer der Organisatoren der Konferenz. Im Interview mit Radio Vatikan sagte er, der Missbrauch sei verdrangt worden, man habe Opfer und Tater falsch behandelt und Schuld auf sich geladen.
Als der Papst noch Bischof war
Das Eingestandnis gilt wohl auch fur allerhochste Kirchenkreise - bis hin zum Papst. Denn auch Joseph Ratzinger war, in seiner Zeit als Bischof in Munchen, an der stillen Erledigung zumindest eines Missbrauchsfalls beteiligt, dem des Messdieners Winfried Fesselmann. Der wurde bei einer Ferienfreizeit in Essen von einem jungen Kaplan missbraucht. Als das Verbrechen innerkirchlich ruchbar wurde, 1980, wurde der Tater schnell versetzt. Nach Munchen, zu Ratzinger. Und basta. Dort durfte er weiterarbeiten. Auch, so hei?t es, mit Kindern.
Erst drei?ig Jahre spater, 2010, anderte sich das. Als die Missbrauchsfalle am Berliner Canisius-Kolleg publik wurden und eine ganze Serie von Enthullungen aus dem sexuell-abartigen Teil des Kirchenlebens auslosten, wagte sich auch Winfried Fesselmann an die Offentlichkeit. Nun wurde der Tater vom Dienst suspendiert. Aber er wohne weiter in Munchen und beziehe auch sein Kirchengehalt weiter, schrieb die "Berliner Morgenpost" vor ein paar Monaten.
Dem Opfer geht es weniger gut. Arzte attestierten eine posttraumatische Storung, seit zwolf Jahren ist Fesselmann arbeitslos. "Die Opfer leben von Hartz IV", sagt er verbittert. Vermutlich viele jedenfalls.
"Unaufgeklart und ungesuhnt"
Erst Ratzingers Nach-Nachfolger im Munchner Amt, Erzbischof Reinhard Marx, nahm das heikle Thema ernster. Als erster deutscher Bischof lie? er den kirchlichen Umgang mit Tatern und Opfern wissenschaftlich unter die Lupe nehmen, zum Arger vieler seiner Kollegen. Und die renommierte Juristin Marion Westpfahl stellte bei dieser Untersuchung eine "ausgepragte Bereitschaft" fest, "selbst gravierende Vergehen unaufgeklart und ungesuhnt zu belassen".
Aber das gilt ja nicht nur fur Deutschland:
In den USA traten etwa zwei Millionen Katholiken aus ihrer Kirche aus, nachdem Tausende Falle sexuellen Missbrauchs durch Kirchenmanner offentlich wurden - und dazu viele Belege, dass die Bischofe die Vorfalle systematisch und jahrzehntelang vertuscht hatten.
Im streng katholischen Irland sind nach Untersuchungen Tausende Kinder an katholischen Schulen misshandelt worden; an der Vertuschung der Sexualdelikte an ihren Schafchen beteiligten sich selbst die obersten Hirten personlich, etwa Kardinal Sean Brady; der langjahrige hochste Wurdentrager der irischen Kirche war Protokollfuhrer, als zwei vom Pfarrer missbrauchten Kindern Schweigegelubde abgenommen wurden.
In Belgien war sogar ein Bischof, Roger Vangheluwe, der Kirchenchef von Brugge, unter den Vergewaltigern. Er missbrauchte seinen Neffen und musste, als der es offenbarte, im April 2010 gehen. Aber nicht etwa ins Gefangnis. Der Vatikan schickte ihn vielmehr zur "spirituellen und psychologischen Behandlung" in eine kirchliche Gemeinde in Frankreich. Vangheluwe gestand kurz darauf, er habe noch einen weiteren Neffen missbraucht. Doch, so sagte er im Fernsehen, er habe "uberhaupt nicht den Eindruck, ein Padophiler zu sein".
Immerhin glaubt die belgische Kirche, das Ubel demnachst an der Wurzel packen zu konnen. Katholische Priesteranwarter sollen sich dort fortan psychologischen Tests unterziehen, um so mogliche padophile Neigungen zu offenbaren. Test-Beauftragter Jozef Corveleyn will dabei vor allem das Thema "Zolibat" erkunden. Denn die Priesteranwarter seien kaum aus dem Jugendalter heraus, wenn sie sich fur lebenslange Keuschheit entscheiden mussen. Und manche, so furchtet der Psychologe Corveleyn, zoge es womoglich nur "aus Angst vor Sexualitat oder Intimitat" ins Priesteramt. Generell, so der belgische Priester-Screener, solle auch der Zolibat uberdacht werden.
Aber damit durfte er bei seinen Auftraggebern und deren Chefs in Rom ganz schlecht ankommen: Der Vatikan weist entschieden zuruck, dass das den Priestern verordnete lebenslange Sexualitatsverbot etwas mit den Missbrauchsfallen zu tun haben konnte. Am Zolibat darf nicht geruttelt werden.
Da sucht man lieber weiter nach anderen Ursachen - auf Kongressen wie jetzt in Rom.
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