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Ehemalige Heimkinder Ziehen Vor Gericht

Frankfurter Rundschau
January 5, 2012

http://www.fr-online.de/panorama/sexueller-missbrauch-ehemalige-heimkinder-ziehen-vor-gericht,1472782,11392358.html

Viele Kinder wurden in ihrer Zeit im Kinderheim misshandelt.

Zwischen 1945 und 1975 lebten rund 800.000 Kinder und Jugendliche in westdeutschen Heimen. Viele wurden in den kirchlichen oder staatlichen Einrichtungen über Jahre misshandelt, zur Arbeit gezwungen und sexuell missbraucht. Deshalb wollen Hunderte ehemalige Heimkinder vor Gericht ziehen. Sie fordern Entschädigung in Millionenhöhe.

Hunderte ehemalige Heimkinder wollen für eine Entschädigung nun doch vor Gericht ziehen. Sie sind enttäuscht von den Beschlüssen der Jugend- und Familienministerkonferenz im Mai vergangenen Jahres. 120 Millionen Euro stehen aus Mitteln des Bundes, der Länder und der Kirchen zur Verfügung. Der Verein ehemaliger Heimkinder in Deutschland aber hält diesen Betrag für unangemessen und stellt Forderungen in Milliardenhöhe.

Beratungsstellen gibt es nicht überall

Ab sofort können ehemalige Heimkinder Leistungen aus dem Fonds Heimerziehung beantragen. Die Beratungsstellen allerdings, die die Verteilung der Mittel übernehmen sollten, sind längst nicht in allen Bundesländern in der Lage, sie auch wahrzunehmen. Mit der Einrichtung waren die Länder zum 1. Januar 2012 beauftragt. Der Zahl der eingerichteten Stellen fällt indes höchst unterschiedlich aus. So findet sich auf der Internetseite des Heimkinderfonds noch keine einzige Beratungsstelle in Baden-Württemberg, Niedersachsen dagegen bietet über 40 regionale Anlaufstellen.

Einige Bundesländer – so etwa Hamburg, Hessen und Bremen haben die Anlaufstellen ihren Versorgungsämtern zugeordnet, andere, wie Bayern und Nordrhein-Westfalen den Landesjugendämtern. In den ostdeutschen Bundesländern übernehmen – auch wegen der unterschiedlichen Rechtslage in Ost und West – die Beauftragten zur Aufarbeitung der Folgen der Kommunistischen Diktatur (Brandenburg) oder die Landesbeauftragten für die Stasiunterlagen (Mecklenburg-Vorpommern) diese Aufgabe. Berlin hat als einziges Bundesland durchgesetzt, die Beratungsstelle einem unabhängigen, freien Träger zu übertragen.

Antworten auf wichtige Fragen fehlen

Allen Anlaufstellen gemein ist allerdings, dass ihnen Antworten auf wichtige Fragen fehlen. So ist die Anrechnung von Leistungen aus dem Hilfsfonds auf Renten- oder Transferleistungen noch nicht abschließend geklärt. Die Träger des Fonds haben sich bislang lediglich darauf geeinigt, dass die Leistungen nicht angerechnet werden sollen. Eine entsprechende Gesetzesgrundlage fehlt allerdings noch.

Wieder andere Verfahrensfragen sind besonders unter den betroffenen ehemaligen Heimkindern umstritten. So sieht der Fonds keine Entschädigungen in Form von Barauszahlungen, sondern vielmehr Sachleistungen wie etwa Pflegeleistungen oder Trauma-Therapien bis zu einem Maximalwert von 10.000 Euro vor. Viele der zumeist älteren Betroffenen fragen sich allerdings, was sie nach Jahrzehnten noch mit einer Trauma-Therapie anfangen sollen, zumal eigens dafür ausgebildete Therapeuten in Deutschland rar sind.

Unterschrift: Auf weitere Ansprüche verzichten

Betroffene haben zudem nur drei Jahre Anspruch auf Leistungen aus dem Heimkinderfonds, erklärt Daniela Gerstner von der Berliner Anlauf- und Beratungsstelle im Nachbarschaftsheim Schöneberg. Anträge können bis 31.12.2014 gestellt werden. „Ob wer erst später pflegebedürftig wird, noch entsprechende Sachleistungen beantragen könnte, ist nicht geklärt", sagt Gerstner.

Für Irritation sorgt zudem eine Verzichtserklärung, die Betroffene unterschreiben müssen, wenn sie Leistungen aus dem Fonds beantragen. Sie erklären damit, künftig keine weitere Ansprüche gegen die Institutionen, in denen sie misshandelt wurden, geltend zu machen. Die meisten Betroffenen empfinden dies als die größte Zumutung, sagt das ehemalige Heimkind Wolfgang Focke. Immerhin sei der Fonds eingerichtet worden, weil ein Rechtsanspruch auf Entschädigung aufgrund von Verjährung nicht besteht, erklärt er. Warum er nun einen rechtsverbindlichen Verzicht auf juristische Mittel erklären soll, verstehe er nicht.




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