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  Zwischen Den Stuhlen Demutigungen Und Schlage

By Matthias Schlegel
PNN
December 8, 2011

http://www.pnn.de/politik/437216/

Opfer aus DDR-Heimen kamen bislang zu kurz – nun wird vehement ihre Gleichstellung verlangt Kritik an Kirchen wegen Umgangs mit Kindern

Berlin - Sie drohten zwischen die Stuhle zu geraten – zwischen die Stuhle der Runden Tische Heimerziehung und sexueller Missbrauch. Die Opfer von Willkur, Drill und sexuellen Ubergriffen in staatlichen DDR-Kinderheimen fanden keinen Platz an Antje Vollmers Tisch, der sich ausschlie?lich mit Verfehlungen der Heimerziehung in Westdeutschland in den 50er und 60er Jahren befasste. Und sie wurden sehr spat uberhaupt erst wahrgenommen vom Runden Tisch gegen sexuellen Missbrauch, der den Fokus ebenfalls auf den westlichen Teil der Republik richtete.

In ihrem am Dienstag vorgelegten Abschlussbericht geht die Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs, Christine Bergmann, zwar erst gegen Ende, aber umso nachdrucklicher auf diese bislang vernachlassigte Opfergruppe ein. Leid und Unrecht habe es in den Heimen hier wie dort gegeben, schreibt Bergmann. „Insoweit haben sich die Systeme nicht voneinander unterschieden. Es spricht sogar viel dafur, dass DDR-Heimkinder unter vergleichbaren Zustanden gelitten haben wie westdeutsche Heimkinder.“ Und sie zieht das einzig logische Resumee: „In Anbetracht des auch in DDR-Heimen erlittenen Unrechts ist es geboten, fur Heimkinder aus den alten wie den neuen Bundeslandern ein einheitliches Hilfemodell anzuwenden, moglicherweise auch unabhangig davon, ob sie misshandelt oder sexuell missbraucht worden sind.“

Fur Gabriele Beyler, Leiterin der Gedenkstatte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau, ist das eine gute Nachricht. „Die Gleichsetzung ware ein wichtiger Schritt“, sagt sie. Denn oft kursiere noch die Meinung, die damals ins Heim gekommen seien, hatten das schon verdient. Dabei wurden staatliche Willkur und politische Hintergrunde der Einweisungen von Kindern einfach ausgeblendet. Und es werde nicht bedacht, dass die Heime vor allem der Umerziehung und ideologischen Ausrichtung dienten.

Die Einrichtung in der sachsischen Stadt an der Elbe war uber Jahre hinweg zu einer Anlaufstelle fur misshandelte Heimkinder geworden. Seit den 90er Jahren hatte sie sich mit der Geschichte der 30 Jugendwerkhofe, 450 staatlichen Kinderheime und 35 Spezialkinderheime in der DDR befasst. Als dann in der Folge der Enthullungen in Westdeutschland die ersten Falle sexuellen Missbrauchs auch in DDR- Heimen bekannt wurden, widmeten sich Beyler und ihre Mitstreiter auch diesem dunklen Kapitel. Seither streitet sie in Politik und Offentlichkeit fur die Interessen derer, die sich ihr anvertrauen. Im November 2010 besuchten Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und Familienministerin Kristina Schroder (CDU) die Torgauer Gedenkstatte, im April war Beyler mit sieben Missbrauchsopfern zu Gesprachen bei Christine Bergmann in Berlin.

Auch in Thuringen hat sich schon einiges getan. Dort befasst sich unter Federfuhrung des Sozialministeriums seit einem Jahr ein Arbeitskreis mit Misshandlungen in DDR- Kinderheimen, eine Beratungsstelle wurde eingerichtet. Jetzt beginnt sich auch die Bundespolitik zu bewegen. Im Bundestag wird derzeit an einem Antrag gearbeitet. „Darin sprechen wir uns dafur aus, beiden Opfergruppen, also denen im Westen und denen im Osten, gleichzeitig gerecht zu werden und dieselben Ma?nahmen und Entschadigungen zukommen zu lassen“, sagt der CDU-Abgeordnete Manfred Kolbe. Zur Finanzierung soll, parallel zum West-Fonds in Hohe von 120 Millionen Euro, ein Ost-Fonds aufgelegt werden. Wahrend in den einen zu je einem Drittel Bund, West-Lander und Kirchen einzahlen, soll der andere zu je einem Drittel von Bund, Ost-Landern und aus dem ehemaligen Parteivermogen finanziert werden.

Weil den West-Heimkindern von den Kirchen eine Entschuldigung ausgesprochen wurde, fordert der Antrag nach Angaben Kolbes Ahnliches auch fur die Ost-Heimkinder: Die Linke als SED-Nachfolgepartei solle die Anspruche der Opfer anerkennen und sich bei ihnen entschuldigen. Eigentlich sollte es ein interfraktioneller Antrag werden – die Linkspartei allerdings wird nicht dabei sein. Und die SPD signalisierte jungst, dass sie erst einmal die Regelungen fur West-Heimkinder geklart haben wolle.

Bochum - Demutigungen und Schlage waren an der Tagesordnung, Misshandlungen und Missbrauch kamen immer wieder vor. In kirchlichen Kinderheimen der Nachkriegszeit gab es rigide Erziehungsmethoden, religiosen Zwang und eine „schwierige, zum Teil desolate Lebenssituation.“ Das ist das Ergebnis einer von den beiden gro?en Kirchen finanziell geforderten Studie zur konfessionellen Heimerziehung von 1949 bis 1972, die die Bochumer Theologieprofessoren Traugott Jahnichen und Wilhelm Damberg gestern an der Ruhr-Universitat der Offentlichkeit vorstellten. Sie bestatigt weitgehend die Erkenntnisse des 2009 und 2010 tagenden Runden Tisches Heimerziehung, der nach Petitionen ehemaliger Heimkinder vom Deutschen Bundestag eingerichtet worden war.

„Es war immer ein Stigma, ein Heimkind zu sein“, sagte Jahnichen. Zwar habe sich die Situation in den kirchlichen Heimen nicht wesentlich von den staatlichen Heimen der Nachkriegszeit unterschieden. „Aber der eigene Anspruch, eine bessere Erziehung zu leisten, konnte nicht realisiert werden.“ Gro?e Kindergruppen und uberfordertes und schlecht ausgebildetes Personal hatten ebenso dazu beigetragen, wie Betreuungssatze von teilweise nur 1,50 Mark pro Tag. Die Heime seien ein geschlossenes System gewesen, dass auch von staatlichen Vertretern nur unzureichend kontrolliert worden sei. „Mit den Vormundern gab es immer Personen, die au?erhalb des Heimes fur das Kind verantwortlich waren“, sagte der katholische Theologe Wilhelm Damberg. Doch auch sie hatten nichts unternommen, um die Situation der ihnen anvertrauten Kinder zu verbessern.

Kirchenvertreter wurdigten die Bochumer Studie vor Journalisten als „Pionierarbeit“. Gleichzeitig ubten sie jedoch scharfe Kritik an Bund und Landern, die die vom Runden Tisch Heimkinder empfohlene Einrichtung eines mit 120 Millionen Euro ausgestatteten Entschadigungsfonds weiter verzogerten. Davon sollten je 40 Millionen auf die beiden gro?en Kirchen, den Bund und die Lander entfallen. „Die Kirchen sind bereit, ihren Beitrag dazu zu leisten“, sagte der Vertreter der katholischen Bischofskonferenz am Runden Tisch, Johannes Stucker-Bruning. Benjamin Lassiwe

 
 

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