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  Er Mag Es, Wenn Man Um Hilfe Schreit

Berliner Zeitung
December 5, 2011

http://www.berliner-zeitung.de/gesellschaft/sexueller-missbrauch-er-mag-es--wenn-man-um-hilfe-schreit,10808022,11262264.html

Selbst mit Anfang 20 konnte sich Monika Gerlach ihrem Peiniger immer noch nicht entziehen. Sie dachte ja, sie selbst sei schuld.

SAARBRUCKEN –

Jahrelang wurde eine Ministrantin von ihrem Pfarrer sexuell missbraucht. Der Tater leugnet – und die katholische Kirche zeigt, was ihre vollmundigen Versprechen wert sind.

Der Anruf kam im April. Die Polizei war dran. In Saarbrucken, Stadtteil Burbach, sei ein Pfarrer uberfallen worden, es gebe da Ungereimtheiten, man musse mit ihr sprechen. „Da bin ich erstarrt“, sagt Monika Gerlach*. Fast zehn Jahre lang hatte sie Burbach, den Pfarrer und alles, was geschehen war, verdrangt. Bis in die Schweiz war sie vor ihrer Vergangenheit geflohen. Es war nicht weit genug. Es ist nie weit genug.

Sie sitzt in einem Cafe am Genfer See. Die Nacht hat den ersten Frost des Jahres gebracht, es ist kalt, aber noch immer ist in den Bergen kein Schnee gefallen, er wird hier sehnsuchtig erwartet. Monika Gerlach blickt hinaus auf die schunkelnden Jachten am Ufer. Sie zittert. Sie bekommt dieses Zittern nicht in den Griff. Seit Monaten nicht. Es ist ihr unangenehm. Sie ist eine schmale Frau mit madchenhaften Gesichtszugen, das kurze Haar perfekt frisiert, dezente Kleidung, dezenter Schmuck. Sie fallt nicht auf. Sie will nicht auffallen. Seit sie einmal dem Falschen auffiel.

Feine Narbe an der Nasenwurzel

Monika Gerlach, 35 Jahre alt, stammt aus Oberschlesien. Aus einer Gegend, wo der Katholizismus ein nachwachsender Rohstoff ist. Sie hat noch heute eine feine Narbe an der Nasenwurzel. Sie hat sie sich an einer Kirchenbank geholt, weil sie als Kind das Vaterunser noch nicht auswendig kannte. Sie tragt sie mit einem gewissen Stolz. Der Pfarrer, das war der Stellvertreter Christi, man begegnete ihm untertanig, schaute ihn am besten gar nicht an. Schon gar nicht als Madchen. Als Madchen durfte Monika Gerlach in Schlesien auch nicht Messdienerin werden, also spielte sie mit ihrem besten Freund heimlich Messen nach. Er war der Pfarrer, sie seine Dienerin. Das war fur sie „ein Traum“. Mit zwolf Jahren wurde er wahr.

Damals, 1989, siedelte Familie Gerlach aus Polen uber nach Deutschland. In Saarbrucken, Stadtteil Burbach, fand sie ein neues Zuhause. Und weil Madchen in Deutschland Messdienerinnen werden durfen, ging Monika Gerlach zu allererst geradewegs ins Pfarrhaus. Der Gottesmann aber, den sie dort und wochentlich im Religionsunterricht traf, war so gar nicht wie jene, die sie kannte. Klaus K., der Hirte von St. Eligius, trug – au?er in der Messe – kein Kreuz und kein Gewand. Er wirkte wie ein ganz normaler Mann mit kaltem Lacheln und durch eine Pfeife schief gerauchten Zahnen.

Eine seltsame Macht, sagt Monika Gerlach, habe dieser Pfarrer von Anfang an auf sie ausgeubt. Ein Blick nur habe genugt – sie macht ihn vor im Cafe am See, ein kurzes Zucken mit den Augen – und schon sei sie gesprungen. Was er wollte, war Gesetz. Er war der Pfarrer, sie seine Dienerin. Sie hatte gelernt zu gehorchen. Als er sie einmal nach der Messe am Oberarm packte und mit den Daumen uber ihre Bruste strich, dachte sie, er sei zufrieden mit ihr. „Ich hielt das fur eine spezielle Belobigungsform.“ Sie war damals dreizehn.

Dann aber war sie immer haufiger mit dem Herrn Pfarrer allein. Dann spurte sie seine Hande nicht mehr nur an der Brust, sondern auch an ihrem Po. Dann drangte er sie eines Tages, es war kurz nach Fronleichnam, an einen Schrank in der Sakristei und kusste sie. Dann wurde auch Monika Gerlach bewusst, dass das keine spezielle Belobigungsform mehr war. Entziehen aber konnte sie sich trotzdem nicht. Da war niemand, mit dem sie hatte reden konnen. Nicht mit der Mutter, die regelma?ig im Pfarrhaus putzte und Klaus K. verehrte. Nicht mit dem Vater, fur den es schon Pornografie war, wenn sich im Fernsehen zwei Menschen kussten. Mit niemandem.

Immer sonntags, am Tag des Herrn

Au?erdem: Was hatte sie sagen sollen? Sie dachte ja, sie selbst sei das Problem. „Ich habe, wie immer, bis zum heutigen Tag, die Schuld bei mir gesucht. Er war ja berufen worden von Gott.“ So sei es immer weiter- gegangen, sagt Monika Gerlach. Auf die Kusse folgte der Oralverkehr, auf den Oralverkehr der Beischlaf. Immer sonntags, am Tag des Herrn, immer vor einem Spiegel, in den sie noch heute nicht ohne Ekel blicken kann, immer so, dass sie am Ende mit Malen am Korper zuruckblieb.

Sie hat ein Buch mitgebracht, es ist etwa so gro? wie eine Bibel. Es ist ein Kalender aus dem Jahr 1997, sie hat ihn als Tagebuch benutzt. Es gibt einen Eintrag von Mitte Juni, sie schildert darin, wie der Kirchenmann ihr wieder einmal schmerzhaft in die Schenkel biss. Er endet mit den Worten: „Er mag es wirklich, wenn man um Hilfe schreit.“ Einmal, ein einziges Mal, hat Monika Gerlach versucht, sich zu wehren. Sie war bereits 21 Jahre alt, und noch immer hatte sie sich dem Pfarrer aus Burbach nicht entziehen konnen, da nahm sie ihren Mut zusammen und schrieb an den damaligen Bischof von Trier, Hermann Josef Spital. Aber es war keine wutende Anklage, die da aus der Studentin sprach. „Ich habe um Vergebung gebeten fur die Schuld, die ich begangen habe und den Bischof angefleht, auf der Basis von Nachstenliebe und Vergebung mit K. zu reden.“

Vom Bischof bekam Monika Gerlach nie eine Antwort. Stattdessen, so sagt sie, habe sich ein namensloser Sekretar bei ihr gemeldet. Sie erinnert sich genau daran, was er ihr mitzuteilen hatte: Man wisse um die Fehltritte von Pfarrer K., dieser aber leiste vorbildliche Gemeindearbeit in einem sozialen Brennpunkt. Sie moge sich daher genau uberlegen, was sie tue – „denn wir sind viele, und Sie sind alleine“.

„Da war dann wieder eine Seifenblase geplatzt“, sagt Monika Gerlach.

Im Bistum Trier hei?t es heute, der gesamte Vorgang sei „nicht bekannt“, entsprechende Akten habe man nicht gefunden.

Erst 2002, als sie heiratete, schwanger wurde und schlie?lich mit ihrem Mann in die Schweiz zog, konnte sich Monika Gerlach endlich aus den Fangen von Klaus K. befreien. Mit 26 Jahren begann sie ein selbstbestimmtes Leben, sie ergriff einen Beruf, zog ihren Sohn – „naturlich“ – im katholischen Glauben auf, begann zu vergessen. Dass sie nicht vergessen war, merkte sie, wenn sie gelegentlich ihre Eltern in Saarbrucken besuchte und mit ihnen zur Kirche ging. Anschlie?end fand sie provokante Zettel unter dem Scheibenwischer. „Parken verboten!“, „Auslander haben hier nichts zu suchen“. Sie ahnte, von wem sie stammten. Sie versuchte, auch das zu verdrangen. Dann kam der Anruf der Polizei.

An Heiligabend 2010 waren Unbekannte in das Pfarrhaus von St. Eligius eingebrochen, hatten Klaus K. schwer verletzt und 500 Euro gestohlen. Es war ein Uberfall, der den Ermittlern bis heute Ratsel aufgibt. Die Tater wussten offenbar, wie sie problemlos eindringen konnten, sie verprugelten K. in dessen Bett, sie schlugen nur auf sein Gesicht, die Tatwaffe war ein Messkrug, au?er den 500 Euro nahmen sie nichts mit. Vom Pfarrer selbst konnte man keine Hilfe erwarten, Klaus K., der einen Teil seines Augenlichts verlor, kann sich an nichts erinnern.

Plotzlich stand der Verdacht im Raum

Die Emporung war gro? in Saarbrucken und Umgebung. Der Fall schaffte es sogar bis in die Fernsehsendung „Aktenzeichen XY…ungelost“. Die Polizei war unter Druck. Also ermittelte sie akribisch – und stie? dabei vollig unerwartet auf eine ganz neue Spur. Plotzlich stand der Verdacht im Raum, der Herr Pfarrer habe intime Verhaltnisse zu ehemaligen Messdienerinnen gepflegt. So glaubhaft erschienen der Polizei die Hinweise, dass sie ein zweites Ermittlungsverfahren erwirkte – wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch von Kindern und Schutzbefohlenen.

Als Monika Gerlach eine Vorladung von der Polizei erhielt, rief sie zuerst den Pfarrer an, dem sie uber Jahre hinweg gedient hatte. „Als glaubige Christin glaubst du an die Vergebung“, sagt sie. Mehrmals habe sie K. in dem Telefongesprach gefragt, ob er ihr etwas zu sagen habe. Mehrmals habe er verneint und stattdessen uber seine Verletzungen geklagt. Nach zwei Minuten und zehn Sekunden legte Monika Gerlach auf. Dann beschloss sie, nicht langer zu schweigen.

Ihre Aussage bei der Kripo Saarbrucken dauerte sechseinhalb Stunden. Danach waren die Ermittler davon uberzeugt, dass Monika Gerlach die Wahrheit sagt. Das aber nutzte der 35-Jahrigen nichts. Klaus K. namlich hatte da – auf Drangen seines Bistums – schon langst Selbstanzeige bei der Polizei erstattet. Nur las sich seine Einlassung vollig anders als die von Monika Gerlach. Einmal, in den 90er-Jahren, so K., sei es zu „einer Umarmung mit Kuss“ gekommen. Mehr nicht. Nachfragen sind heute nicht moglich. Er gebe, sagt K. am Telefon, zu der ganzen Angelegenheit „keine Auskunft“. Sein Anwalt glaubt, es sei „im Interesse aller Beteiligten, die Vergangenheit ruhen zu lassen“.

Ein weiterer Hinweis fuhrte die Polizei im Laufe ihrer Ermittlungen zur ehemaligen Messdienerin Sabine Korn*. Auch sie raumte in der Befragung ein, sie habe vor Erreichen ihrer Volljahrigkeit sexuelle Kontakte zu Gottesmann K. gehabt. Zur Verbluffung der Beamten jedoch verneinte sie jeglichen Missbrauch und ruhmte den Pfarrer gar als ihren „Ersatzvater“. Da die moglichen Straftaten in ihrem wie auch im Fall von Monika Gerlach ohnehin verjahrt waren und andere Spuren nicht weiter fuhrten, blieb den Beamten nichts anderes ubrig, als das Verfahren gegen K. einzustellen.

Monika Gerlachs Welt ist inzwischen aus den Fugen geraten. Die Erkenntnis, dass Menschen in Saarbrucken etwas gewusst haben mussen, aber nie etwas sagten, die unfreiwillige Selbstentblo?ung vor der Polizei, das selbstbewusste Leugnen von Pfarrer K.: „Das sind Schlage ins Gesicht“, sagt die ehemalige Messdienerin. Sie hat viele Kilo abgenommen in den vergangenen Monaten, Essen und Schlafen habe sie sich abgewohnt. Aber muhsam und mit therapeutischer Hilfe habe sie auch gelernt, dass es keinen Sinn ergebe, sich wieder in sich selbst zu verkriechen. „Ich sehe nicht ein, warum ich alleine leiden soll.“ In der verzweifelten Hoffnung, endlich Frieden zu finden, hat sie sich daher im Sommer noch einmal an das Bistum Trier gewandt.

Am 27. Juli 2011 schreibt Monika Gerlachs Anwaltin einen vierseitigen Brief an den Bischof von Trier, Stephan Ackermann. Ackermann ist nicht nur der oberste Dienstherr von Pfarrer Klaus K. Er wurde au?erdem im Krisenjahr 2010 von der Deutschen Bischofskonferenz zum obersten Aufklarer sexueller Missbrauchsfalle in der katholischen Kirche ernannt. Ackermann kennt sich bestens aus in dem Thema, er hat etliche Interviews gegeben und ungewohnt offen auch Selbstkritik geubt. Einer seiner Glaubenssatze lautet: „Wir haben falsche Rucksichten genommen. Falsche Rucksichten auf den Ruf der Kirche, auf bestimmte Institutionen, auf den Ansehensverlust.“ Als Ackermann Ende Juli den Brief der Anwaltin Claudia Burgsmuller erhalt, ist sein Bistum uber den Fall Klaus K. langst im Bilde. Nach eigenen Angaben wissen die Hirten in Trier seit Januar von den Vorwurfen. Burgsmuller macht sich dennoch die Muhe, dem Bischof die wichtigsten Eckpunkte des Falles noch einmal zu skizzieren. Dann bittet sie um Auskunft, ob kirchenintern gegen K. vorgegangen werde und ob Monika Gerlach mit einer Wiedergutmachung durch die Kirche rechnen kann. Als Antwort erhalt sie – nichts.

Erst nach weiteren funf Wochen und einem Mahnschreiben bequemt sich der Sekretar des Bischofs, den Eingang der Briefe zu bestatigen. Am 28. September schlie?lich meldet sich eine Justiziarin aus Trier bei Burgsmuller und erwahnt knapp, dass das Bistum die Kosten fur externe Anwalte von Betroffenen nicht trage. Fur Opfer sexuellen Missbrauchs habe der Bischof selbst „Ansprechpersonen“ ernannt. Weitere Nachrichten vom Bischof erhalten zunachst weder Burgsmuller noch ihre Mandantin. Erst auf Nachfrage dieser Zeitung teilt die Bischofliche Pressestelle am 21. November mit: „Das Bistum Trier halt die Vorwurfe, die gegen den Pfarrer erhoben werden, fur glaubhaft.“ Eine kirchenrechtliche Untersuchung sei noch im Gange. Klaus K. sei untersagt worden, die Heilige Messe offentlich zu feiern und andere Sakramente zu spenden. Das aber erst am 13. Oktober – rund zehn Monate, nachdem das Bistum und der Missbrauchsbeauftragte von den Vorwurfen gegen den Pfarrer erfahren hatten.

Als sei nie etwas gewesen

Fur Monika Gerlach waren diese Monate die Holle. Sie hat aus der Ferne verfolgt, wie Klaus K. nach dem Uberfall wieder in die Offentlichkeit zuruckkehrte, als sei nie etwas gewesen. Im Juni hat der Pfarrer personlich den neuen Kindergarten von St. Eligius eingeweiht, das Motto der Einrichtung lautet: „Mittendrin Kind sein“. Kurz vor seiner Verabschiedung in den Ruhestand hat K. auch der Lokalpresse noch einige Interviews gegeben. Er hat dort seine 30-jahrige Tatigkeit in Burbach mit gemessenen Worten gewurdigt und versprochen, der Gemeinde auch weiterhin zur Verfugung zu stehen. Im September dann, nach Vollendung seines 70. Lebensjahres, schied Klaus K. offentlich gefeiert aus dem Amt. Ein Vertreter des Dekanats lobte ihn fur die vorbildliche Gemeindearbeit, die er in einem sozialen Brennpunkt geleistet habe. Seinen Abschiedsgottesdienst durfte Klaus K. selbst zelebrieren. In der vergangenen Woche gab das Bistum immerhin seine Suspendierung in der Gemeinde bekannt.

Monika Gerlach hat das alles zur Kenntnis genommen. Sie hatte genug Zeit dafur. Sie war in all diesen Monaten krankgeschrieben. Sie sagt: „Entweder krepiere ich daran oder es geschieht noch ein Wunder.“ Ausschlie?en will sie das nicht. Sie ist ja noch immer Katholikin.

* Namen geandert

 
 

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