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  Klarungsversuch

Sueddeutsche
November 28, 2011

http://www.sueddeutsche.de/y5w381/338741/Klaerungsversuch.html

Der beruhmte Reformpadagoge Hartmut von Hentig, 86, hatte vieles zu klaren. Er geriet im vergangenen Jahr in den Strudel des Missbrauchsskandals an der Odenwaldschule. Hentig hatte seinen Lebensgefahrten Gerold Becker, der lange Zeit Direktor der Schule war und als Haupttater gilt, nicht nur in Schutz genommen. Hentig hat den Skandal 'aussitzen' wollen, auf die Opfer ist er nicht zugegangen, im Gegenteil. Scheinheilig fragte er, der doch angeblich stets die Rechte der Kinder starken wollte, was er uberhaupt damit zu tun habe. Hentig vertauschte Tater- und Opferrolle, indem er den Gedanken in den Raum stellte, ob nicht sein Freund Becker verfuhrt worden sei? Die Betroffenen fuhlten sich verhohnt, viele Weggefahrten und Anhanger von Hentigs Padagogik vor den Kopf gesto?en.

Nun hat das 'Forum Kritische Padagogik' einen kurzen Text Hentigs veroffentlicht (forum-kritische-paedagogik.de). Darin schreibt er: 'Die Berichte von Betroffenen sind Zeugnisse/Dokumente schwerer Verletzungen und nicht entschuldbarer Ubergriffe von Seiten Erwachsener. Sexueller Missbrauch von Kindern ist ein Verbrechen. Dass solche Ubergriffe Gerold Becker anzulasten sind, trifft niemanden harter als seinen engsten Freund.'

Der Text ist nach Angaben von Ulrich Herrmann, der das Forum betreibt, bereits im Juli 2011 verfasst worden und zunachst an Freunde und Bekannte Hentigs gegangen. Nun habe Hentig einer Veroffentlichung zugestimmt. Herrmann bescheinigt Hentig, mit der klaren Verurteilung der Taten 'einen ziemlich gro?en Schritt' getan zu haben. Hentig bittet die Opfer, sie mogen dem Toten (Becker starb 2010) Verzeihung gewahren. Er bitte darum 'im Mitgefuhl fur die Krankung, dass man ihnen als Erwachsenen nicht geglaubt hat. Was das bedeutet, habe ich im letzten Jahr grundlich gelernt'. Wieder einmal kann es Hentig nicht lassen, sein eigenes Leiden hervorzuheben und sich selbst als Opfer darzustellen. So hatte er es bereits in einem Zeitschriftenaufsatz getan.

In dem jetzt veroffentlichten Text raumt Hentig aber immerhin ein, dass Becker die Verbrechen tatsachlich anzulasten sind. Hentig erganzt, eine Abkehr von dem toten Freund wurde niemandem nutzen und sei nicht von ihm zu erwarten. Das hat auch niemand verlangt. Hat man aber nicht erwarten durfen, dass Hentig den Opfern mit jener Menschlichkeit begegnet, die er in der Theorie zum Ma?stab der Padagogik erhoben hatte?

Adrian Koerfer vom Betroffenenverein 'Glasbrechen' sagt, Hentigs Zeilen seien ihm zu wenig. Hentig musse 'vom hohen Ross' absteigen. Auf die Opfer sei er noch immer nicht zugegangen. Hentig war wohl selbst skeptisch, ob ihm eine Aussohnung gelingt. Er hatte seinen Text 'Eine Klarung' nennen konnen. Der Titel hei?t aber: 'Ein Klarungsversuch'.Tanjev Schultz

 
 

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