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  Papst Traf Opfer Sexuellen Missbrauchs in Erfurt

Hamburger Abendblatt
September 23, 2011

http://www.abendblatt.de/politik/deutschland/article2037897/Papst-traf-Opfer-sexuellen-Missbrauchs-in-Erfurt.html

Nonnen winken dem Papst zum Abschied

Erfurt/Eichsfeld/Freiburg. Stille. Als das Papamobil an 90.000 Menschen uber das Etzelsbacher Pilgerfeld rollt, herrscht zuerst ehrfurchtiges Schweigen. Dann Jubel, laute „Benedetto“-Rufe. Bei seinem Besuch im katholisch gepragten Eichsfeld – einer der wenigen katholischen Hochburgen des Ostens – ist der Papst den Glaubigen am Freitag ganz nah. Nach dem mit Spannung erwarteten okumenischen Gesprach am Nachmittag ist es fur Benedikt XVI. ein Heimspiel. Fur viele Menschen hier ist er ein Held, die Kirche ihre Heimat. Und auch der Papst erfullt sich mit seinem Besuch im Norden Thuringens einen Wunsch: „Ich habe seit meiner Jugend so viel vom Eichsfeld gehort, dass ich dachte, ich muss es einmal sehen und mit Euch beten“, sagt er – und weicht damit deutlich von seinem Redemanuskript ab.

Vor allem mit einem Moment aber sorgt das Kirchenoberhaupt fur Gansehautstimmung: Als Jugendliche dem Papst ihr Weltjugendtag- T-Shirt mit der Aufschrift „Benedikt, wir sehen uns zweimal“ uberreichen, schenkt er ihnen ein herzliches Lachen. Die Menge halt inne, jubelt. Im Eichsfeld muss der Papst kaum Kritik furchten. Die dem Missbrauchsskandal folgende Austrittswelle ist hier weit weg. Mehr als zwei Drittel der Eichsfelder sind katholisch – wahrend der DDR-Zeit, als sie es nicht leicht hatten, sind die Gemeinden zusammengewachsen wie sonst selten. Jetzt schenken sie dem Papst ein Kreuz, gefertigt aus dem ehemaligen Grenzzaun.

Am Freitagabend traf der Papst zuvor in Erfurt mit Opfern sexuellen Missbrauchs durch Priester und kirchliche Mitarbeiter zusammen. Das teilten der Vatikan und die Deutsche Bischofskonferenz mit. Das Treffen habe im Priesterseminar stattgefunden. Anschlie?end habe der Papst Menschen getroffen, die sich um Missbrauchsopfer kummern und ihnen helfen. „Bewegt und erschuttert von der Not der Missbrauchsopfer hat der Heilige Vater sein tiefes Mitgefuhl und Bedauern bekundet fur alles, was ihnen und ihren Familien angetan wurde“, hie? es der Erklarung. „Er hat den Anwesenden versichert, dass den Verantwortlichen in der Kirche an der Aufarbeitung aller Missbrauchsdelikte gelegen ist und sie darum bemuht sind, wirksame Ma?nahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen zu fordern.“

Weiter hie? es: „Papst Benedikt XVI. ist den Opfern nahe und bringt seine Hoffnung zum Ausdruck, dass der barmherzige Gott, der Schopfer und Erloser aller Menschen, die Wunden der Missbrauchten heilen und ihnen inneren Frieden schenken moge.“ Ein solches Treffen gehorte nicht zum offiziellen Besuchsprogramm des Papstes in Deutschland. Es war aber als symbolische Geste erwartet worden. Vielfache Missbrauchsfalle hatten die katholische Kirche im Vorjahr tief erschuttert. Doch zuruck zum Etzelsbacher Pilgerfeld.

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„Fur mich war emotional das scharfste, dass unendlich viele Leute aus der Region zusammen das Eichsfeld-Lied singen und ihren Zusammenhalt zeigen“, sagt Schwester Katharina Hartleib nach der Vesper. Auch Jessica Hellmold aus Steinbach ist ergriffen. Sie wollte dem Papst ihre 9 Monate alte Tochter Lucy zum Segen reichen. Doch das Papamobil fuhr zu schnell. „Wir haben ihn gesehen, das ist doch der Hammer“, sagt sie spater. Und: „Wie hatte ich Lucy das mit dem Papstsegen auch erklaren sollen.“

Im rot-goldenen Chormantel, den ein Priester aus der Gegend fur den Papstbesuch gespendet hat, lobt Benedikt XVI. den unerschutterlichen Glauben der Eichsfelder. Seine Botschaft: Die Menschen sollen der Kirche treu bleiben, durch alle Veranderungen hindurch. Dann schenkt er der Wallfahrtskapelle einen Rosenkranz. Der soll spater unter der Pieta hangen, einer Statue der Gottesmutter mit dem toten Jesus, die der Papst in seiner wieder theologisch-wissenschaftlich gepragten Ansprache besonders wurdigt. Er warnt davor, das „Sich-selber-Haben- und -Machen-Wollen“ als Ziel des Lebens zu sehen.

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Seit vier Uhr in der Fruh stehen manche Pilger auf dem Feld vor der kleinen roten Wallfahrtskapelle. Alte Menschen mit Rollator genauso wie junge Madchen im kurzen Rock, um den Hals eine goldene Kette mit Kreuz. Sie alle haben einen muhsamen Weg auf sich genommen. Sie saugen die Bilder und Gerausche des Abends in sich auf: Den lauten Gesang von 90 000 Menschen, das herzliche Lachen „ihres Papstes“. Die Vesper endet im Abendrot.

Papst schlaft in Erfurt wie ein Priesterschuler

Papst Benedikt XVI. ubernachtet in Erfurt au?erst bescheiden. Der 84-Jahrige schlaft im Priesterseminar im Zimmer eines Priesterschulers: Ein einfaches Bett, ein Schreibtisch, ein Schrank mit eingebautem Sanitarbereich, Bucherschrank, kein Fernseher. Nur etwa zehn Quadratmeter gro? ist das Zimmer. Der Seminarist, der dort normalerweise wohnt, ist wie alle anderen auch fur die Zeit des Papstbesuches ausgezogen. Auch das Fruhstuck wird das Oberhaupt der katholischen Kirche mit seinem Gefolge in einem schmucklosen Speisesaal einnehmen. Nach Bistumsangaben steht nichts Au?ergewohnliches auf dem Buffet.

Das schmucklose Gebaude neben dem Bischofssitz wurde in den 1950er Jahren erbaut. Auch die Kapelle, in der der Papst beten kann, strahlt Schlichtheit aus. Sie ist jedoch modern ausgestaltet. Fur den hinter einer hohen Mauer gelegenen Garten mit Blumen und Ruhebanken wird der Papst bei seinem straffen Terminplan wohl keine Zeit haben. Am Samstag feiert er zum Abschluss seiner Thuringen-Visite eine Heilige Messe auf dem Domplatz.

Das Priesterseminar wurde 1952 aus einer Not heraus gegrundet. Die DDR-Regierung verhinderte, dass Priester aus Westdeutschland in den Osten durften. Auch nach den politischen Veranderungen 1989 bildet das Seminar Priester fur die Diaspora in Mittel- und Ostdeutschland aus. Die derzeit 28 Kandidaten kommen aus den Bistumern Berlin, Dresden-Mei?en, Erfurt, Gorlitz und Magdeburg, dazu weitere aus der Erzdiozese Paderborn und dem Bistum Fulda.

Rund 400 Papstgegner demonstrieren in Freiburg

Mehrere hundert Menschen haben am Freitag in Freiburg gegen den Besuch von Papst Benedikt XVI. demonstriert. Nach Angaben der Polizei zogen am Abend rund 400 Papstgegner friedlich durch die Innenstadt. Die Veranstalter machten keine Angaben. Organisiert wurde der Protest von links-alternativen Gruppen. Sie richteten sich gegen den Papst und vor allem gegen die Sexualmoral der Kirche. Kritisiert wurden sowohl die hohen Kosten des Besuchs als auch die strikten Sicherheitsvorkehrungen. Papst Benedikt XVI. wird am Samstag und Sonntag Freiburg besuchen. Unter anderem will er zwei Gottesdienste feiern. Erwartet werden mehr als 100 00 Glaubige.

 
 

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