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  Heimkinder in Ost Und West Wurden Misshandelt

Berlin Online
August 8, 2011

http://www.berlinonline.de/aktuelles/berlin/1937264-1210653-heimkinder-in-ost-und-west-wurden-missha.html

Ein Journalist nimmt sich am Freitag (05.08.11) nach einer Pressekonferenz zur Vorstellung der Studie "Heimerziehung in Berlin - West 1954-1975, Ost 1945-1989" fuer eine Fotoillustration ein Exemplar der Studie. Die Studie ist eine Zusammenstellung verschiedener wissenschaftlicher Arbeiten und biografischer Berichte ehemaliger Heimkinder aus beiden Teilen der Stadt. (zu dapd-Text).Foto: Berthold Stadler/dapd © dapd

Berlin (dapd-bln). Nach dem Zweiten Weltkrieg sind in beiden Teilen Berlins uber Jahrzehnte hinweg Heimkinder psychisch und physisch misshandelt worden. Das geht aus einer Studie hervor, die von der Bildungsverwaltung am Freitag vorgestellt wurde. Der untersuchte Zeitraum umfasst die Jahre 1945 bis 1975 fur West-Berlin und 1945 bis 1990 fur Ost-Berlin. Im Westteil der Stadt hatte 1975 eine "Heimkampagne" Reformen ausgelost.

Die Studie geht auf einen Beschluss des Abgeordnetenhauses von November 2010 zuruck. Parallel zu den Untersuchungen wurde eine Anlaufstelle fur Betroffene geschaffen.

"Die Studie versteht sich als Teil einer offentlichen Diskussion und dient der Bewusstseinsbildung in der Gesellschaft", sagte Bildungssenator Jurgen Zollner (SPD). Er kundigte an, dass - ahnlich wie bereits fur die westlichen Bundeslander geschehen - "relativ zeitnah" ein Entschadigungsfonds aufgelegt wird. Derzeit fuhrten die Ostlander Gesprache dazu.

"Die schrecklichen Ereignisse waren allen Beteiligten zu jeder Zeit bekannt", sagte Manfred Kappeler, Mitautor der Studie. Fur West-Berlin sei diese Aussage klar nachweisbar. "Es fehlte aber bis weit in die 1970er der politische Wille, diese Dinge zu andern." Erst die Heimkampagne habe einen "langen, schwierigen Reformprozess" gestartet, der letztlich im liberalen Jugendhilfegesetz mundete.

Kappeler warnte zugleich vor einer "Hierarchisierung der Opfer" nach Ost und West. Fur die Kinder hatten die politischen Vorzeichen keine Rolle gespielt. "Sie haben alle die selben Erfahrungen gemacht", sagte der fruhere Padagoge. Ein Unterschied zu West-Berlin musse allerdings gemacht werden: Im Osten habe zum Teil die Stasi mitgewirkt, wenn Kinder in Heime eingewiesen wurden. Dabei habe es sich um Kinder von Dissidenten gehandelt.

Von einer "relativ sparlichen Datenlage" sprach Soziologieprofessor Jurgen Gries, der den Untersuchungsabschnitt fur West-Berlin leitete. Seinen Recherchen zufolge wurde das fur die Heimunterbringung zugrunde liegende Reichsjugendwohlfahrtgesetz von 1921/22 erst 1961 novelliert. Beispielsweise sei mit dem Rechtsbegriff Verwahrlosung "sehr viel Unheil" angerichtet worden. Rund 50 Prozent der Heim-Mitarbeiter sei ohne Ausbildung gewesen.

In Ost-Berlin war der Studie zufolge die Heimerziehung seit 1953 Teil des Ministeriums fur Volksbildung. "Man ging von einem Bildungsproblem aus, nicht von einem Erziehungsproblem", sagte Karsten Laudien, Professor fur theologische Ethik an der Evangelischen Fachhochschule Berlin. "Soziale Probleme wurden als Uberbleibsel aus der burgerlichen Gesellschaft angesehen." Der Erziehungsansatz sei gewesen, dass mit Zwang und Disziplinierung eine "allseits entwickelte sozialistische Personlichkeit" geformt werden konne.

Keine Erkenntnisse gebe es zu Misshandlungen und Drangsal in konfessionell gefuhrten Heimen, sagte Laudien. Dem widersprach Zeitzeugin Liane Mueller-Knuth. Die heutige 63-Jahrige war als Kind in einer katholischen Einrichtung in Ost-Berlin untergebracht. Sie habe "Schlage und andere Gewalt" sowie "erzwungenes Schweigen und Beten" erlebt. Die Verantwortlichen seien heute nicht bereit, Unterlagen herauszugeben.

 
 

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