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Erzbistum Konnte Opfer-daten an Tater Gegeben Haben The Zeit June 7, 2011 http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2011-06/kirche-missbrauchsopfer-datenschutz/seite-1 Ein Opfer sexuellen Missbrauchs durch einen Pfarrer wendet sich nach Jahren vertrauensvoll an das Erzbistum Freiburg. Und bekommt plotzlich Post – vom Tater.
"Mein Anliegen ist die Bitte um Versohnung und um Vergebung", so beginnt der Brief, den Karl W. *) im Mai an Jan Beguk *) schreibt. "Mir geht es gesundheitlich sehr schlecht. Ihr Wort der Vergebung ware fur mich das heilsamste Mittel." Karl W. ist hochbetagt und lebt in einem Altersheim. In seinem Brief an Beguk bittet er immer wieder um Verzeihung. "Ich bin mir meiner Schuld an Ihnen sehr wohl bewusst und in manch schlaflosen Nachten muss ich meine Schuld immer wieder erleiden und durchleiden", schreibt er. Die Schuld scheint ihn zu plagen. Denn einst war er katholischer Pfarrer – und missbrauchte seine minderjahrigen Schutzlinge. Eines seiner Opfer: Jan Beguk, der Empfanger des Briefes. Von 1965 an war Karl W. als Pfarrer erst in Vimbuch und spater in Weitenung in Baden-Wurttemberg tatig. 1990 versetzte ihn das Erzbistum Freiburg nach Loffingen. Die Begrundung: Karl W. hatte ein Kind sexuell belastigt. Sechs Jahre spater kam es erneut zu Vorwurfen. Wegen sexuellen Missbrauchs von acht Minderjahrigen, davon funf Falle minderschwer, wurde Karl W. schlie?lich zu einer Gefangnisstrafe auf Bewahrung verurteilt. Das Erzbistum handelte und versetzte den Pfarrer in den vorzeitigen Ruhestand. Es empfahl ihm, sich einer psychotherapeutischen Therapie zu unterziehen. Fast zwei Jahrzehnte bleibt es ruhig um ihn. Doch im Dezember 2010 gesteht Karl W. im Altersheim: In seiner Zeit als Pfarrer habe er Jugendliche sexuell missbraucht. Die betroffenen Pfarr-Gemeinderate, Vertreter des Ordinariats des Erzbistums Freiburg und Domkapitular reagieren. Sie beschlie?en, das Gestandnis des Karl W. zu veroffentlichen. In den Badischen Neuesten Nachrichten erscheint im Januar ein Artikel uber den Fall Karl W.. Ein Infokasten erganzt den Artikel: Das Erzbistum gibt Kontaktadressen fur Opfer an. Hier sollen sie sich vertrauensvoll beim Bistum melden konnen. Jan Beguk meldet sich. Bis heute leidet er unter den Folgen des sexuellen Missbrauchs durch Karl W. und benotigt psychotherapeutische Hilfe. Lange zahlte er die Kosten fur die Therapie aus eigener Tasche. Nicht immer konnte er sich alle benotigten Therapiesitzungen leisten. Gemeinsam mit seiner Therapeutin Anke Lufner *) sucht er nun erstmals finanzielle Hilfe beim Erzbistum – in der Hoffnung, seine Therapie durch hoherfrequente und langer dauernde Sitzungen intensivieren zu konnen. Er erhalt die Nachricht, dass das Erzbistum die Therapiekosten ubernehme. Beguk reicht eine auf ihn ausgestellte Rechnung uber die Behandlungskosten beim Erzbischoflichen Ordinariat ein. Doch sie wird erst einmal nicht beglichen. Beguks Therapeutin erkundigt sich telefonisch bei der Sekretarin des Erzbistums. Dort erklart man ihr, sie solle ihre Rechnungen uber die monatlichen Therapiekosten fortan direkt an das Bistum senden. Schlie?lich begleicht das Bistum die Rechnungen, und alles scheint zufriedenstellend. Doch kurze Zeit spater bekommt Beguk plotzlich einen Brief. Nicht vom Bistum. Sondern vom Tater Karl W.. Das Erzbistum Freiburg hielt die personlichen Daten von Opfer Beguk scheinbar nicht vertraulich. Und so nahm Karl W. Kontakt auf – erst mit Beguks Therapeutin, dann mit Beguk selbst. Therapeutin Anke Lufner erhalt am 27. April den ersten Brief von Karl W.. Darin bittet er sie, seinen Ersuch um Vergebung an Beguk weiterzuleiten. Drei Tage spater erreicht sie ein zweiter Brief. Darin bittet Karl W. darum, die finanziellen Zahlungen fur Beguks Therapie mit einer letzten Zahlung abschlie?en zu konnen. Eigentlich musste Karl W. sich mit dieser Bitte direkt an das Bistum wenden. Denn dieses holt sich die Therapiekosten fur Beguk vom Tater wieder. Stattdessen schreibt Karl W. an Lufner. Die Therapeutin ist emport. Woher hat Karl W. ihre Adresse? "Nach Erhalt des zweiten Briefes von Karl W. habe ich in Freiburg angerufen und mit der Sekretarin des Bistums gesprochen", erinnert sie sich. "Ich sprach die Datenschutzverletzung und die Gefahr einer Re-Traumatisierung meines Patienten an. Aber die Sekretarin wiegelte nur ab." Dann erhalt auch Beguk selbst einen Brief von Karl W. – direkt an ihn adressiert. "Mein Patient hat Angst geau?ert, der Tater konne nun als nachstes leibhaftig vor der Tur stehen", sagt Lufner. In einem Schreiben antwortet sie Karl W., mit der Bitte, ihren Patienten zukunftig nicht mehr zu kontaktieren. "In der Vergangenheit haben Sie Herrn Beguk zur Befriedigung Ihrer sexuellen Begierden benutzt", schreibt sie. "Jetzt wollen Sie ihn zu Befried(ig)ung Ihrer Gewissensnot benutzen. So wird Herr Beguk, das Opfer Ihrer sexuellen Ubergriffe, quasi erneut missbraucht, erneut fur Ihre Bedurfnisse funktionalisiert, indem er jetzt noch die Verantwortung dafur ubernehmen soll, sie zu entlasten um Ihnen damit Ihr Leben leichter zu machen." Lufner benachrichtigt auch das Erzbistum Freiburg. Sie weist auf das Schutzbedurfnis ihres Patienten hin – und beanstandet den Versto? des Bistums gegen den Datenschutz. Am 27. Mai erhalt sie eine Antwort des Domkapitulars. "Ich bitte Sie um Verstandnis fur unsere Situation", hei?t es in dem knappen Schreiben. Dass Beguks Adresse an den Tater weitergegeben worden sei, dass seine Daten nicht genugend durch das Bistum geschutzt worden seien, darauf geht der Domkapitular in dem Schreiben nicht ein. Therapeutin Lufner und Opfer Beguk suchen daraufhin Rat beim netzwerkB fur Betroffene von sexualisierter Gewalt. Norbert Denef, der Sprecher des Netzwerkes B, vermutet: Die Kirche gebe Opfer-Daten an Tater weiter. "Wir vom Netzwerk B haben Sorge, dass es bereits eine Vielzahl weiterer Falle dieser Art gibt", sagt er. "Wir halten diesen Umgang mit den Opfern fur gefahrlich. Hier besteht das Risiko eines erneuten Traumas. Die Mehrzahl der Opfer verfugt nicht uber eine therapeutische Unterstutzung und ware einer solchen Situation hilflos ausgesetzt." Daten von Opfern und behandelnden Therapeuten durften von der katholischen Kirche nur mit ausdrucklicher Zustimmung der Opfer an die Tater weitergegeben werden. Denef fordert au?erdem personelle Konsequenzen im Bistum Freiburg. Dabei hat er besonders Erzbischof Robert Zollitsch im Visier. Zollitsch war von 1983 bis 2002 Personalreferent der Erzdiozese Freiburg, 2002 wurde er Erzbischof. Der Fall Karl W. fallt also in seine Dienstzeit. "Wir glauben nicht, dass eine grundliche Abkehr und Aufklarung unter einer Fuhrung moglich ist, die schon seit den siebziger Jahren fur Personalpolitik und auch Verdrangungsstrategien uber den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen verantwortlich war", sagt Denef. Das Erzbistum Freiburg will den Fall erst prufen. Dort hei?t es: "Die Weitergabe von Daten eines Opfers ist ausnahmslos nur dann rechtma?ig, wenn der Betroffene dies ausdrucklich gewunscht oder hierin eingewilligt hat." Sollte tatsachlich ein Datenschutzversto? vorgekommen sein, werde man Konsequenzen ziehen. |
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