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"Die Not Vieler Seelsorger Ist Gro?" The sueddeutsche April 18, 2011 http://www.sueddeutsche.de/bayern/therapie-fuer-priester-die-not-vieler-seelsorger-ist-gross-1.1086316 Seit 20 Jahren besteht das Recollectio-Haus der Abtei Munsterschwarzach in Unterfranken. Priester, Ordensleute und hauptamtliche Kirchenmitarbeiter, die ein Burn-out haben oder sich in einer personlichen Lebenskrise befinden, konnen dort eine Auszeit unter therapeutischer Begleitung nehmen. Am Wochenende wurde bei einem Symposium Ruckschau gehalten auf die Arbeit der Einrichtung. Wir sprachen daruber mit Wunibald Muller, dem Leiter des Hauses.
Vor allem an unsere Unsicherheit. Wir wussten nicht, ob die Bischofe, die Ordensoberen, unsere Arbeit akzeptieren wurden. Was wurde sein, wenn nach einem Kurs ein Priester sein Amt aufgibt, eine Nonne den Orden verlasst? SZ: Wunibald Muller hilft ihnen, ihre Lebenskrise zu bewaltigen.Weil Sie ihnen das geraten haben. Wir raten nicht zu diesem oder jenem Schritt, wir mochten, dass die Teilnehmer unserer Kurse nach drei Monaten eigene Entscheidungen treffen. Die meisten, die kommen, wollen auch gar nicht austreten, sondern sich etwas Gutes tun. Aber es gibt immer wieder Priester und Ordensleute, die in einer tiefen seelischen Krise sind und sich im Recollectio-Haus entscheiden, ob sie weiter ihren Dienst tun wollen oder den Orden, den Priesterberuf verlassen, in Verantwortung vor sich, vor Gott, der Kirche. SZ: Das akzeptieren die Personalchefs? Ja, weil sie ja wissen, dass es keinen Sinn hat, jemanden mit moralischem Druck zu halten, der eine bestimmte Lebensform nicht mehr leben kann. Da hat sich das Bewusstsein geandert. SZ: Einer Ihrer Teilnehmer hat gesagt: "Meine Seele hat Muskelkater." Seelsorger sollen aber nach landlaufiger Meinung keinen Seelen-Muskelkater haben. Muskelkater entsteht, wenn man seine Muskeln zu sehr belastet. Genau das tun viele Seelsorger: Sie uberlasten ihre Seele. Sie wollen, wie der Apostel Paulus sagt, "allen alles sein". Das ist ein hohes Ideal, das in den Kirchen, aber auch von den Seelsorgern selbst, oft ungut uberhoht wird: Du musst allen alles sein, bis du nicht mehr kannst. Dann hat die Seele Muskelkater und braucht Erholung. SZ: Dass so viele Mitarbeiter diesen Muskelkater haben, ist doch ein Zeichen gro?er Not. Ja, die Not vieler Seelsorger ist gro?. Sie hat ihre Ursachen in der zu hohen Idealisierung des Berufs, aber auch in der zunehmenden Arbeitsbelastung. Und naturlich hangt sie auch mit der Personlichkeit zusammen: Wer ein gutes Selbstwertgefuhl hat, kann auf sich achten, der kann auch einmal Nein sagen und sich abgrenzen, auch mal gegenuber dem Bischof. Wem das fehlt, der neigt dazu, zu allem Ja zu sagen, sich als unnutzer Knecht zu sehen, auf dessen Bedurfnisse es nicht ankommt. Das ist aber letztlich verantwortungslos. Das haben inzwischen auch viele Personalchefs und Ordensobere erkannt und empfehlen daher einen Aufenthalt im Recollectio-Haus.SZ: Wie haben sich die Menschen verandert, die zu Ihnen kommen? Am Anfang kamen vor allem die aggressiven Typen, die sich auspowerten, die alles machen und nichts loslassen wollten, die sich in Konflikten verheizten. Inzwischen uberwiegen die depressiven Typen, denen alles zu viel wird, die zum Ruckzug neigen, sich mit anderen Menschen schwertun. SZ: Das klingt nicht sehr positiv. Das hat gute und schlechte Seiten. Vor 20 Jahren konnten viele Priester nur schwer akzeptieren, dass sie Grenzen haben und Hilfe brauchen. Inzwischen trauen sie sich, zu ihren Schwachen zu stehen und Hilfe in Anspruch zu nehmen. SZ: Brauchen sie dringender Hilfe als fruher? Priester drohen haufiger als fruher auszubrennen. Ihre Arbeitsbelastung ist gestiegen; uberall werden Gemeinden zusammengelegt. Sie leiden unter der Kirchenkrise, weil sie sich zunehmend als Au?enseiter sehen oder weil sie selbst vieles nicht mehr vertreten konnen, was ihre Kirche lehrt. Viele leben nach dem Satz des Schriftstellers Odon von Horvath: Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme selten dazu. SZ: Die landlaufige Antwort auf die Krise der Priester ist: Der Zolibat ist schuld. Erleben Sie das so? Der Zolibat ist ein Thema, ich glaube aber, dass eine andere Frage wichtiger ist: Gelingt es Priestern, personlich tiefe und damit intime Beziehungen aufzubauen und zu unterhalten? Priester brauchen solche intimen Beziehungen zu Frauen und Mannern, in denen sie sich zu Hause fuhlen und sich vorbehaltlos offnen konnen. Dann konnen sie sehr wohl den Zolibat leben. SZ: Haben Sie den Eindruck, dass das Priestern gelingt? Ja. Aber es stimmt: Priester haben zunehmend Schwierigkeiten, solche intimen Beziehungen aufzubauen und den Zolibat erfullend zu leben. In unserer taglichen Arbeit erleben wir auch, dass Leute Priester werden, die eigentlich unfahig zu tieferen Beziehungen sind und die hoffen, mit der Priesterweihe das Thema zu erledigen. Das funktioniert naturlich nicht. SZ: Wie haben die Missbrauchsskandale die Priester verandert? Viele haben sich sehr selbstkritisch gefragt, wie es kommen konnte, dass doch mehr Mitbruder als gedacht Kindern und Jugendlichen sexuelle Gewalt angetan haben. Viele fuhlten sich aber auch ungerecht in die Ecke gedrangt und verdachtigt. Ein Priester hat mir erzahlt, wie er auf der Stra?e angespuckt wurde, einfach weil er als Priester erkennbar war. Wer das erlebt, ist nicht mehr der Gleiche wie vorher. Positiv fallt mir auf, dass viele Priester bewusster uberlegen: Wie wollen, wie konnen wir unsere Lebensform leben? Und klarer wahrnehmen, was in ihrer Kirche im Argen liegt. SZ: Da haben Sie vor einem Jahr auf dem Okumenischen Kirchentag in Munchen klar gesagt: Die katholische Kirche braucht dringend Reformen. Wir sehen, wie gut es ware, auch verheirateten Mannern und Frauen Wege zur Weihe zu ermoglichen; wie wichtig es ware, dass die katholische Kirche anders und offener uber Sexualitat redet. Das zu sagen gehort auch zu unserer Verantwortung im Recollectio-Haus. |
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