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Kardinal Marx – Krisenmanager Oder Intrigant? The Welt February 9, 2011 http://www.welt.de/politik/deutschland/article12492022/Kardinal-Marx-Krisenmanager-oder-Intrigant.html Marx hat einen moglichen Missbrauchsfall zuruckgehalten – und informierte das Kloster Ettal erst drei Monate spater daruber.
Am Ende durfte sich Reinhard Marx als Sieger fuhlen. Seine Strategie, mit harter Hand den Chefaufklarer im Missbrauchssumpf zu geben, ging auf. Wie der Munchner Erzbischof dabei vermeintliche Schuldige aus dem Weg raumte, stie? zwar viele Kirchenmanner vor den Kopf. Marx verargerte sogar den Heiligen Vater. In Rom munkelte man schon, das konne ihn den ersehnten Kardinalshut kosten. Aber alles klappte wunderbar: Heute ist Marx mit seinen 57 Jahren der jungste Kardinal der Welt. Und sein Image als einer der wenigen ehrlichen Aufklarer von Kirchenmissstanden strahlt heller denn je. Der „Focus“ kurte den beliebten Gottesmann zu einem der besten Krisenmanager des Jahres 2010. Heute steht Reinhard Marx auf dem Gipfel seiner Macht und seines Ansehens. Doch jetzt kommt ein Vorgang ans Licht, der das Bild vom hehren Wahrheitskampfer schwer beschadigt. In einem Fall aus dem Jahr 2010 hat der Erzbischof Hinweise auf sexuellen Missbrauch monatelang vertuscht. Das belegt ein Papier des Munchner Ordinariats, das der „Welt“ vorliegt. Durch Marx’ Verhalten konnte ein moglicherweise padophiler Mann unbehelligt als Erzieher weiterarbeiten, und Jugendliche gerieten womoglich in Gefahr. Verdacht auf mehrfachen Missbrauch Die Geschichte beginnt mit einem Hilferuf. Am 5. April 2010 geht beim damaligen Missbrauchsbeauftragten der Erzdiozese Munchen-Freising eine E-Mail ein. Der Verfasser behauptet, zu Kindeszeiten mehrfach von einem Erzieher missbraucht worden zu sein, der in Bayern an einem kirchlichen Gymnasium arbeitete. Zwar treffen in dieser Hochphase des Kirchenskandals standig solche Mails im Munchner Ordinariat ein, aber der Missbrauchsbeauftragte, Monsignore Siegfried Knei?l, wird sofort hellhorig. Denn der beschuldigte Erzieher, so steht es in der E-Mail, hat mittlerweile die Schule gewechselt. Er arbeitet jetzt im Internat der Benediktinerabtei Ettal. Ausgerechnet Ettal. Das Kloster, in dem es jahrzehntelang immer wieder zu sexuellen Ubergriffen und Misshandlungen kam, steht zu dieser Zeit im Zentrum der Kritik. Gibt es nun schon wieder einen neuen Fall, diesmal kein perverser Pater, sondern ein perverser Erzieher? Monsignore Knei?l beantwortet die brisante Mail, und es beginnt ein kleiner Briefwechsel. Man vereinbart, sich personlich zu treffen, und Knei?l sichert dem mutma?lichen Opfer Vertraulichkeit zu. Laut Missbrauchsleitlinien von 2002 muss auch der Diozesanbischof Reinhard Marx „unverzuglich“ ins Bild gesetzt werden. Wann genau das geschieht, teilte das Ordinariat auf Anfrage nicht mit. Klar ist jedoch: Das Kloster Ettal wird nicht informiert, obwohl der Beschuldigte dort noch im Dienst ist und moglicherweise eine Gefahr fur seine Schuler darstellt. Da der Hinweisgeber in Spanien lebt, dauert es einige Zeit, bis ein personliches Treffen mit dem Missbrauchsbeauftragten zustande kommt, bis zum 28. April. Die Geschichte, die das mutma?liche Opfer erzahlt, ist abscheulich: Als Scheidungskind sei er im Jahr 1984 in das Benediktinerinternat Scheyern (Oberbayern) gekommen. Nach etwas mehr als einem Jahr habe ihn ein Prafekt dort uber Monate hinweg immer wieder missbraucht: Fummeleien, anale Vergewaltigung, Oralsex. Einmal soll sein Peiniger ihm gedroht haben: „Bete zu Gott, dass ich heute noch zu meiner Schwester fahre, sonst komme ich heute Nacht.“ Monsignore Knei?l halt die Schilderungen fur plausibel, er wird den Beschuldigten spater bei der Staatsanwaltschaft Munchen II anzeigen. Und auch Erzbischof Marx tritt auf den Plan. Jedenfalls wird das mutma?liche Opfer spater aussagen, es habe kurz nach dem Treffen mit dem Missbrauchsbeauftragten auch eine personliche Begegnung mit Marx gegeben. Marx, der Kummerer. Ohnehin ist der Wurdentrager laut Missbrauchsleitlinien von 2002 uber den Inhalt des Gesprachs zu informieren. Wer immer noch nicht in Kenntnis gesetzt wird, ist Ettal. In Munchen lasst man sich Zeit. Es sind stressige Tage, und Marx gefallt sich immer mehr als Reformer, der das Kartell des Schweigens zerschlagen will. Im April gewahrt er der „Suddeutschen Zeitung“ ein gro?es Interview. Dort verkundet er: „Wir wollen alles tun, um aufzuklaren, wir werden nicht wegschauen, verharmlosen oder auf andere zeigen.“ Zu diesem Zeitpunkt ist die erste E-Mail uber den neuen Ettaler Verdacht bereits zwei Wochen alt. Warum halt Marx den Fall so lange unter der Decke? Als das Erzbistum Munchen den Vorgang schlie?lich an die Staatsanwaltschaft weiterleitet, ist es Sommer geworden. Am 5. Juli faxt Monsignore Knei?l die Angaben des mutma?lichen Opfers an den Leitenden Oberstaatsanwalt. Auf den Tag genau drei Monate nach dem ersten Hilferuf des Opfers. In dem Fax wird auch die Mail-Adresse genannt, unter der der Hinweisgeber erreichbar ist. Er mochte aussagen. Mittlerweile hat das Erzbistum Munchen sogar im Kloster Scheyern Bescheid gegeben, wo es zu den skandalosen Vorfallen gekommen sein soll – und wo der Beschuldigte seit mehr als 20 Jahren nicht mehr arbeitet. Nur Ettal wei? noch nichts. Warum halt Marx den Fall so lange unter der Decke? Weil es ausgerechnet um Ettal geht? Der Erzbischof liegt im Streit mit dem Benediktinerkloster. Anfang 2010 wurde bekannt, dass zwischen 1960 und 1990 mehr als 100 Schuler in Ettal misshandelt oder sogar sexuell missbraucht wurden. Der Abt und der Schulleiter von Ettal traten zuruck – auf Druck von Marx. Er war der Ansicht, die beiden hatten einen Verdachtsfall vertuscht. Seitdem streiten Ettal und Munchen, ob das Krisenmanagement von Marx richtig und entschlossen war – oder aber eigenmachtig und uberzogen. Deutlicher Wille zur Aufklarung Der von Marx eingesetzte Sonderermittler bescheinigte den zuruckgetretenen Patres einen deutlichen Willen zur Aufklarung. Au?erdem schaltete sich der Heilige Stuhl ein. Benedikt XVI. schickte im Marz zwei Emissare nach Ettal, die die Vorwurfe gegen Abt und Schulleiter klaren sollten. In Munchen musste man damit rechnen, dass die Gesandten – selbst Benediktiner – die zuruckgetretenen Patres entlasten wurden. Marx drohte eine Backpfeife vom Papst. Das ist die Situation, als im April 2010 der neue Ettaler Verdachtsfall im Munchner Ordinariat bekannt wird. Kommt Marx die Sache gelegen, weil der Verdacht wieder schlechte Presse fur Ettal bringen wird? Auffallig ist jedenfalls, dass der Erzbischof und sein Missbrauchsbeauftragter die Fu?e still halten, bis die papstlichen Emissare ihren Bericht fertig haben. Ihr Urteil: Entlastung fur Ettal. Der Abt und der Schulleiter hatten alles richtig gemacht und konnten erneut in ihre Amter gewahlt werden. Dieses Ergebnis wird am Freitag, dem 9. Juli, vom Kloster veroffentlicht und steht am Samstag, dem 10.?Juli, in den Zeitungen. Mit Uberschriften wie „Vatikan entlastet Abt des Skandal-Klosters Ettal“ oder „Klatsche fur Marx“. Erzieher beschuldigt Doch die Freude bei den Benediktinern wahrt nur kurz. Nur zwei Tage spater, am Montag, steht das Kloster wieder in den Zeitungen, aber diesmal mit Uberschriften wie: „Wieder Missbrauchsfall in Ettal“, „Wieder Verdacht auf Missbrauch“. Zwei Tage nach dem PR-Coup nun der PR-GAU. Zufall? Belegt ist jedenfalls, dass sich das Erzbistum Munchen nach langer Untatigkeit ausgerechnet Anfang Juli wieder auf den Fall des beschuldigten Ettaler Erziehers besinnt. Am 6. Juli, einen Tag nach der Anzeige bei der Staatsanwaltschaft und drei Tage vor der Veroffentlichung des Berichts der papstlichen Emissare, schickt der Missbrauchsbeauftragte des Erzbistums eine Mail an die Opferhilfe-Stelle des Klosters Ettal. Er berichtet den Benediktinern, dass einer ihrer Erzieher des wiederholten sexuellen Missbrauchs beschuldigt wird. Dass sich das mutma?liche Opfer bereits am 5. April an das Erzbistum gewandt hat, erwahnt er nicht. Die Klosterleitung liest die Mail nach eigenen Angaben erst am Donnerstag, dem 8. Juli – und reagiert dann unverzuglich: Der Beschuldigte wird am nachsten Tag einbestellt, mit den Vorwurfen konfrontiert und mit sofortiger Wirkung beurlaubt. Anschlie?end, am Samstag, informiert das Kloster die Offentlichkeit. Der Tenor in der Presse am nachsten Montag lautet: Das Skandalkloster Ettal kommt einfach nicht zur Ruhe. Punktsieg Marx. Prufung wegen Verjahrung beendet Ob die Missbrauchsvorwurfe zutreffen, wird wohl nie endgultig zu entscheiden sein. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Prufung bereits wegen Verjahrung beendet. Der beschuldigte Erzieher hat dem Kloster gegenuber angegeben, er konne sich an keine derartigen Vorfalle erinnern. Er ist immer noch beurlaubt, kampft aber vor dem Arbeitsgericht um seine Ruckkehr nach Ettal. Doch egal, wie der Streit ausgeht – schon jetzt ist klar, dass das Verhalten des Erzbistums den Oberhirten Marx nun in Erklarungsnot bringt. Das Ordinariat verwies gestern gegenuber dieser Zeitung in einer Stellungnahme auf einen Brief des Missbrauchsbeauftragten Monsignore Knei?l an Ettal vom Januar 2011, in dem er angibt, korrekt gehandelt zu haben. In einer Pressemitteilung wies das Ordinariat zusatzlich die aktuelle Berichterstattung der „Welt“ als „unwahr“ zuruck. Die Rechtsanwaltin Marion Westphal, die im Auftrag des Erzbistums Munchen die Arbeit Knei?ls pruft, sagte: „Das Opfer hat dringend um Vertraulichkeit gebeten.“ Deshalb sei der Verdacht so spat weitergeleitet worden. Allerdings hei?t es in der Erklarung der Freisinger Bischofskonferenz vom Marz 2010: „Deshalb empfehlen die bayerischen Bischofe einstimmig, bei der Uberarbeitung der Leitlinien die Meldepflicht bei Verdacht von sexuellem Missbrauch und korperlichen Misshandlungen an die Staatsanwaltschaft festzuschreiben und sie unabhangig davon sofort zu praktizieren.“ Kardinal Marx muss nun dem Eindruck entgegenwirken, er habe ein Hilfegesuch fur eigene Machtspiele instrumentalisiert. |
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