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  Ehelos

By Daniel Deckers
Frankfurter Allgemeine
February 5, 2011

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Der Priestermangel ist Ausdruck einer Krise des Glaubens - und nicht des Zolibatversprechens. Der Papst und das Bischofskollegium verschweigen die Krisenphanomene der priesterlichen Lebensform so beredt wie vor vierzig Jahren.

Papst Benedikt XVI. glaubte schon vor vielen Jahren, dass die romisch-katholische Kirche auch verheiratete Manner zu Priestern weihen musse

05. Februar 2011

Vor einem Jahr wurde er (wieder einmal) als Quelle sexueller Gewalt identifiziert, inzwischen ist er (wieder einmal) als Ursache des Priestermangels im Gerede: der Zolibat. Und wieder einmal scheint Befurwortern wie Gegnern der Verpflichtung der Priester der romisch-katholischen Kirche zur Ehelosigkeit kein Argument zu weit hergeholt, um es wahlweise zur Verteidigung oder zur Unterminierung des Status quo in Stellung zu bringen.

So war aus dem Mund eines deutschen Kirchenhistorikers, den Papst Benedikt XVI. im vergangenen Jahr mit der Kardinalswurde ausgezeichnet hat, die originelle Einschatzung zu horen, wer den Zolibat der Priester in Frage stelle, beleidige Jesus Christus, den Sohn Gottes, weil die Priester sich doch nur dessen Lebensform zu eigen machten. Sollte dieses Verdikt zutreffen, konnte man den gro?ten Teil des Klerus der orthodoxen Christenheit, aber auch der meisten Geistlichen der mit Rom unierten Kirchen des byzantinischen Ritus an den Pranger stellen - ganz abgesehen von den romisch-katholischen Geistlichen, die einst in der anglikanischen oder auch einer evangelischen Kirche ordiniert wurden und als Verheirate zur katholischen Kirche konvertierten.

Jammern auf hohem Niveau

Ganz abgesehen aber auch von einigen Theologieprofessoren aus dem in katholischen Dingen notorisch renitenten Germanien, darunter dem Dogmatiker Joseph Ratzinger. Wie viele andere nachdenkliche Zeitgenossen glaubte auch der heutige Papst schon vor annahernd vierzig Jahren, dass die romisch-katholische Kirche nicht umhinkomme, auch verheiratete, in Beruf und Familie bewahrte Manner („viri probati“) zu Priestern zu weihen. Die Begrundung: Der Priestermangel lasse keine andere Wahl.

Diese Argumentation regt eher zum Schmunzeln denn zum Schaudern an. Denn wie jeder Mangel, so ist auch die An- oder Abwesenheit von Priestern eher eine Frage des subjektiven Empfindens als der objektivierbaren Analyse. Zwar hatten nach dem II. Vatikanischen Konzil uberall auf der Welt Priester zu tausenden ihr Amt aufgegeben, als Joseph Ratzinger gemeinsam mit Theologen wie Karl Rahner, Walter Kasper und Karl Lehmann im Winter 1970 an die deutschen Bischofe appellierte, sich fur eine ergebnisoffene Uberprufung der Zolibatspflicht einzusetzen. Die Zahl der Seminaristen ging damals drastisch zuruck. Aber man konnte sich vorstellen, dass ein Pfarrer anstatt fur eine Gemeinde fur deren funf oder sechs die Verantwortung tragen musse.

Was aus heutiger Sicht als Jammern auf hohem Niveau erscheint, hat aber einen Hintergrund, der ernster ist, als es Vergleiche zwischen jetzt und damals nahelegen. Denn so richtig es ist, dass heute in Deutschland rein rechnerisch auf jeden Priester sogar weniger Glaubige als vor vierzig Jahre kommen, die regelma?ig den Gottesdienst besuchen oder gar zur Beichte gehen, so richtig ist es auch, dass der Zusammenbruch herkommlicher Formen der Seelsorge in den Pfarreien, aber auch in Institutionen wie der Bundeswehr oder den Schulen nicht mehr eine Frage von Jahrzehnten, sondern von Jahren ist.

Spirituelles und personelles Vakuum

Das hohe Durchschnittsalter des Diozesanklerus, die stetig sinkende Zahl von Mannern, die sich zum Priestertum berufen fuhlen und ein in der Geschichte des Christentums nie gekannter Ruckgang des Ordenslebens sind jedoch nicht die einzigen Grunde fur diese Entwicklung. Seit Jahren schon zeigen sich auch immer weniger Laien bereit, einen kirchlichen Beruf zu ergreifen. Beide Tendenzen sind nicht auf die katholische Kirche beschrankt. Auch in der evangelischen Kirche ist „Pfarrermangel“ langst kein Fremdwort mehr. So betrachtet liegt es nahe, eher von einer Krise des Glaubens und nicht nur von einer Krise der Kirche zu sprechen.

Und entgegen allem Anschein ist diese langst nicht auf das Abendland beschrankt. In den meisten Landern Lateinamerikas hat die Zahl der Priester in funfhundert Jahren nie das Niveau erreicht, das man bis zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts im alten Europa fur gewisserma?en gottgegeben hielt. Das spirituelle und personelle Vakuum, das sich im Zuge der rapiden Verstadterung noch vergro?ert hat, wird vielerorts von christlichen Gruppierungen anderen Typs gefullt.

Beredtes Verschweigen

In Brasilien etwa verliert die Kirche Jahr fur Jahr ein Prozent ihrer Mitglieder an pfingstkirchlich-evangelikale Gruppen, die oft volksnaher, aber auch unpolitischer sind als die katholischen Basisgemeinden. In Afrika wiederum ist das Zolibatsversprechen oft nicht das Papier wert, auf dem der Priesterkandidat sich gegenuber dem Bischof zur Ehelosigkeit verpflichtet. Frau und Kinder zu haben ist in den meisten afrikanischen Gesellschaften eine Voraussetzung fur soziale Anerkennung. Priester und Bischofe bilden keine Ausnahme.

Diese Krisenphanome der priesterlichen Lebensform wie deren Ursachen und Folgen werden freilich vom Papst und vom Bischofskollegium ebenso beredt beschwiegen wie vor vierzig Jahren. Muss erst das Thema Homosexualitat und Priestertum - nicht wieder einmal, sondern erstmals - in seiner ganzen Breite entfaltet werden, damit der vermeintlich fromme Schleier des Nichtwissens als fataler Selbstbetrug entlarvt wird?

 
 

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