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"Kirche 2011: Ein Notwendiger Aufbruch" Sueddeutsche Zeitung February 4, 2011 http://www.sueddeutsche.de/politik/memorandum-der-theologen-kirche-ein-notwendiger-aufbruch-1.1055197 143 Theologen haben den Reformkatalog unterzeichnet - bisher. Darin fordern die Theologen tiefgreifende Reformen der katholischen Kirche. Lesen Sie hier das Memorandum in voller Lange. Gut ein Jahr ist vergangen, seit am Berliner Canisius-Kolleg Falle von sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen durch Priester und Ordensleute offentlich gemacht wurden. Es folgte ein Jahr, das die katholische Kirche in Deutschland in eine beispiellose Krise gesturzt hat. Das Bild, das sich heute zeigt, ist zwiespaltig: Vieles ist begonnen worden, um den Opfern gerecht zu werden, Unrecht aufzuarbeiten und den Ursachen von Missbrauch, Verschweigen und Doppelmoral in den eigenen Reihen auf die Spur zu kommen. Bei vielen verantwortlichen Christinnen und Christen mit und ohne Amt ist nach anfanglichem Entsetzen die Einsicht gewachsen, dass tief greifende Reformen notwendig sind. Der Aufruf zu einem offenen Dialog uber Macht- und Kommunikationsstrukturen, uber die Gestalt des kirchlichen Amtes und die Beteiligung der Glaubigen an der Verantwortung, uber Moral und Sexualitat hat Erwartungen, aber auch Befurchtungen geweckt: Wird die vielleicht letzte Chance zu einem Aufbruch aus Lahmung und Resignation durch Aussitzen oder Kleinreden der Krise verspielt? Die Unruhe eines offenen Dialogs ohne Tabus ist nicht allen geheuer, schon gar nicht wenn ein Papstbesuch bevorsteht. Aber die Alternative: Grabesruhe, weil die letzten Hoffnungen zunichte gemacht wurden, kann es erst recht nicht sein. Die tiefe Krise unserer Kirche fordert, auch jene Probleme anzusprechen, die auf den ersten Blick nicht unmittelbar etwas mit dem Missbrauchsskandal und seiner jahrzehntelangen Vertuschung zu tun haben. Als Theologieprofessorinnen und -professoren durfen wir nicht langer schweigen. Wir sehen uns in der Verantwortung, zu einem echten Neuanfang beizutragen: 2011 muss ein Jahr des Aufbruchs fur die Kirche werden. Im vergangenen Jahr sind so viele Christen wie nie zuvor aus der katholischen Kirche ausgezogen; sie haben der Kirchenleitung ihre Gefolgschaft gekundigt oder haben ihr Glaubensleben privatisiert, um es vor der Institution zu schutzen. Die Kirche muss diese Zeichen verstehen und selbst aus verknocherten Strukturen ausziehen, um neue Lebenskraft und Glaubwurdigkeit zuruck zu gewinnen. Die Erneuerung kirchlicher Strukturen wird nicht in angstlicher Abschottung von der Gesellschaft gelingen, sondern nur mit dem Mut zur Selbstkritik und zur Annahme kritischer Impulse - auch von au?en. Das gehort zu den Lektionen des letzten Jahres: Die Missbrauchskrise ware nicht so entschieden bearbeitet worden ohne die kritische Begleitung durch die Offentlichkeit. Nur durch offene Kommunikation kann die Kirche Vertrauen zuruckgewinnen. Nur wenn Selbst- und Fremdbild der Kirche nicht auseinanderklaffen, wird sie glaubwurdig sein. Wir wenden uns an alle, die es noch nicht aufgegeben haben, auf einen Neuanfang in der Kirche zu hoffen und sich dafur einzusetzen. Signale zu Aufbruch und Dialog, die einige Bischofe wahrend der letzten Monate in Reden, Predigten und Interviews gesetzt haben, greifen wir auf. Die Kirche ist kein Selbstzweck. Sie hat den Auftrag, den befreienden und liebenden Gott Jesu Christi allen Menschen zu verkunden. Das kann sie nur, wenn sie selbst ein Ort und eine glaubwurdige Zeugin der Freiheitsbotschaft des Evangeliums ist. Ihr Reden und Handeln, ihre Regeln und Strukturen - ihr ganzer Umgang mit den Menschen innerhalb und au?erhalb der Kirche - stehen unter dem Anspruch, die Freiheit der Menschen als Geschopfe Gottes anzuerkennen und zu fordern. Unbedingter Respekt vor jeder menschlichen Person, Achtung vor der Freiheit des Gewissens, Einsatz fur Recht und Gerechtigkeit, Solidaritat mit den Armen und Bedrangten: Das sind theologisch grundlegende Ma?stabe, die sich aus der Verpflichtung der Kirche auf das Evangelium ergeben. Darin wird die Liebe zu Gott und zum Nachsten konkret. Die Orientierung an der biblischen Freiheitsbotschaft schlie?t ein differenziertes Verhaltnis zur modernen Gesellschaft ein: In mancher Hinsicht ist sie der Kirche voraus, wenn es um die Anerkennung von Freiheit, Mundigkeit und Verantwortung der Einzelnen geht; davon kann die Kirche lernen, wie schon das Zweite Vatikanische Konzil betont hat. In anderer Hinsicht ist Kritik aus dem Geist des Evangeliums an dieser Gesellschaft unabdingbar, etwa wo Menschen nur nach ihrer Leistung beurteilt werden, wo wechselseitige Solidaritat unter die Rader kommt oder die Wurde des Menschen missachtet wird. In jedem Fall aber gilt: Die Freiheitsbotschaft des Evangeliums bildet den Ma?stab fur eine glaubwurdige Kirche, fur ihr Handeln und ihre Sozialgestalt. Die konkreten Herausforderungen, denen sich die Kirche stellen muss, sind keineswegs neu. Zukunftsweisende Reformen lassen sich trotzdem kaum erkennen. Der offene Dialog daruber muss in folgenden Handlungsfeldern gefuhrt werden. 1. Strukturen der Beteiligung: In allen Feldern des kirchlichen Lebens ist die Beteiligung der Glaubigen ein Prufstein fur die Glaubwurdigkeit der Freiheitsbotschaft des Evangeliums. Gema? dem alten Rechtsprinzip "Was alle angeht, soll von allen entschieden werden" braucht es mehr synodale Strukturen auf allen Ebenen der Kirche. Die Glaubigen sind an der Bestellung wichtiger Amtstrager (Bischof, Pfarrer) zu beteiligen. Was vor Ort entschieden werden kann, soll dort entschieden werden. Entscheidungen mussen transparent sein. 2. Gemeinde: Christliche Gemeinden sollen Orte sein, an denen Menschen geistliche und materielle Guter miteinander teilen. Aber gegenwartig erodiert das gemeindliche Leben. Unter dem Druck des Priestermangels werden immer gro?ere Verwaltungseinheiten - "XXL-Pfarren" - konstruiert, in denen Nahe und Zugehorigkeit kaum mehr erfahren werden konnen. Historische Identitaten und gewachsene soziale Netze werden aufgegeben. Priester werden "verheizt" und brennen aus. Glaubige bleiben fern, wenn ihnen nicht zugetraut wird, Mitverantwortung zu ubernehmen und sich in demokratischeren Strukturen an der Leitung ihrer Gemeinde zu beteiligen. Das kirchliche Amt muss dem Leben der Gemeinden dienen - nicht umgekehrt. Die Kirche braucht auch verheiratete Priester und Frauen im kirchlichen Amt. 3. Rechtskultur: Die Anerkennung von Wurde und Freiheit jedes Menschen zeigt sich gerade dann, wenn Konflikte fair und mit gegenseitigem Respekt ausgetragen werden. Kirchliches Recht verdient diesen Namen nur, wenn die Glaubigen ihre Rechte tatsachlich geltend machen konnen. Rechtsschutz und Rechtskultur in der Kirche mussen dringend verbessert werden; ein erster Schritt dazu ist der Aufbau einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit. 4. Gewissensfreiheit: Der Respekt vor dem individuellen Gewissen bedeutet, Vertrauen in die Entscheidungs- und Verantwortungsfahigkeit der Menschen zu setzen. Diese Fahigkeit zu unterstutzen, ist auch Aufgabe der Kirche; sie darf aber nicht in Bevormundung umschlagen. Damit ernst zu machen, betrifft besonders den Bereich personlicher Lebensentscheidungen und individueller Lebensformen. Die kirchliche Hochschatzung der Ehe und der ehelosen Lebensform steht au?er Frage. Aber sie gebietet nicht, Menschen auszuschlie?en, die Liebe, Treue und gegenseitige Sorge in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft oder als wiederverheiratete Geschiedene verantwortlich leben. 5. Versohnung: Solidaritat mit den "Sundern" setzt voraus, die Sunde in den eigenen Reihen ernst zu nehmen. Selbstgerechter moralischer Rigorismus steht der Kirche nicht gut an. Die Kirche kann nicht Versohnung mit Gott predigen, ohne selbst in ihrem eigenen Handeln die Voraussetzung zur Versohnung mit denen zu schaffen, an denen sie schuldig geworden ist: durch Gewalt, durch die Vorenthaltung von Recht, durch die Verkehrung der biblischen Freiheitsbotschaft in eine rigorose Moral ohne Barmherzigkeit. 6. Gottesdienst: Die Liturgie lebt von der aktiven Teilnahme aller Glaubigen. Erfahrungen und Ausdrucksformen der Gegenwart mussen in ihr einen Platz haben. Der Gottesdienst darf nicht in Traditionalismus erstarren. Kulturelle Vielfalt bereichert das gottesdienstliche Leben und vertragt sich nicht mit Tendenzen zur zentralistischen Vereinheitlichung. Nur wenn die Feier des Glaubens konkrete Lebenssituationen aufnimmt, wird die kirchliche Botschaft die Menschen erreichen. Der begonnene kirchliche Dialogprozess kann zu Befreiung und Aufbruch fuhren, wenn alle Beteiligten bereit sind, die drangenden Fragen anzugehen. Es gilt, im freien und fairen Austausch von Argumenten nach Losungen zu suchen, die die Kirche aus ihrer lahmenden Selbstbeschaftigung herausfuhren. Dem Sturm des letzten Jahres darf keine Ruhe folgen! In der gegenwartigen Lage konnte das nur Grabesruhe sein. Angst war noch nie ein guter Ratgeber in Zeiten der Krise. Christinnen und Christen sind vom Evangelium dazu aufgefordert, mit Mut in die Zukunft zu blicken und - auf Jesu Wort hin - wie Petrus ubers Wasser zu gehen: "Warum habt ihr solche Angst? Ist euer Glaube so klein?" Die Unterzeichner Albus, Michael, Universitat Freiburg Anzenbacher, Arno, Universitat Mainz Arens, Edmund, Universitat Luzern Autiero, Antonio; Universitat Munster Baumer, Franz Josef, Universitat Gie?en Baumgartner, Isidor, Universitat Passau Bechmann, Ulrike, Universitat Graz Belok, Manfred, Theologische Hochschule Chur Benk, Andreas, Padagogische Hochschule Schwabisch-Gmund Bieberstein, Klaus, Universitat Bamberg, Bieberstein, Sabine, Katholische Universitat Eichstatt Biesinger, Albert, Universitat Tubingen Bischof, Franz Xaver, LMU Munchen Blasberg-Kuhnke, Martina, Universitat Osnabruck Bohnke, Michael, Universitat Wuppertal Bopp, Karl SDB, Phil.-Theol. Hochschule Benediktbeuern Bremer, Thomas, Universitat Munster Brosseder, Johannes, Universitat zu Koln Broer, Ingo, Universitat Siegen Bucher, Anton A., Universitat Salzburg Collet, Giancarlo, Universitat Munster Dautzenberg, Gerhard, Universitat Gie?en Demel, Sabine, Universitat Regensburg Droesser, Gerhard, Universitat Wurzburg Eckholt, Margit, Universitat Osnabruck Emunds, Bernhard, Phil.-Theol. Hochschule St. Georgen Ernst, Stephan, Universitat Wurzburg Feiter, Reinhard, Universitat Munster Franz, Albert, Universitat Dresden Frevel, Christian, Universitat Bochum Frohling, Edward SAC, Phil.-Theol. Hochschule Vallendar Fuchs, Ottmar, Universitat Tubingen Furst, Alfons, Universitat Munster Gabriel, Karl, Universitat Munster Garhammer, Erich, Universitat Wurzburg Gollner, Reinhard, Universitat Bochum Gortz, Heinz-Jurgen, Universitat Hannover Goertz, Stephan, Universitat Mainz Grumme, Bernhard, Padagogische Hochschule Ludwigsburg Hafner, Gerd, LMU Munchen Haker, Hille, Universitat Frankfurt am Main, Chicago Hartmann, Richard, Theologische Fakultat Fulda Heimbach-Steins, Marianne, Universitat Munster Heinz, Hanspeter, Universitat Augsburg Hemel, Ulrich, Universitat Regensburg Hengsbach, Friedhelm SJ, Phil.-Theol. Hochschule St. Georgen Hilberath, Bernd-Jochen, Universitat Tubingen Hilpert, Konrad, LMU Munchen Hofer, Rudolf, Universitat Graz Hohn, Hans-Joachim, Universitat zu Koln Hoffmann, Johannes, Universitat Frankfurt am Main Hoffmann, Paul, Universitat Bamberg Holderegger, Adrian, Universitat Freiburg(Schweiz) Holzem, Andreas, Universitat Tubingen Hunermann, Peter, Universitat Tubingen Jaggle, Martin, Universitat Wien Jorissen, Hans, Universitat Bonn Kampling, Rainer, Universitat Berlin Karrer, Leo, Universitat Freiburg/Schweiz Kern, Walter, Padagogische Hochschule Ludwigsburg Kessler, Hans, Universitat Frankfurt am Main Kienzler, Klaus, Universitat Augsburg Kirchschlager, Walter, Universitat Luzern Knobloch, Stefan, OFMCap, Universitat Mainz Konemann, Judith, Universitat Munster Kohler-Spiegel, Helga, Padagogische Hochschule Feldkirch/Vorarlberg Kos, Elmar, Universitat Vechta Kraus, Georg, Universitat Bamberg Kruip, Gerhard, Universitat Mainz Kugler, Joachim, Universitat Bamberg Kuhnke, Ulrich, Hochschule Osnabruck Kuld, Lothar, Padagogische Hochschule Weingarten Ladenhauf, Karl-Heinz, Universitat Graz Lang, Bernhard, Universitat Paderborn Langer, Wolfgang, Perchtolsdorf Lesch, Karl Josef, Universitat Vechta Loretan, Adrian, Universitat Luzern Ludicke, Klaus, Universitat Munster Ludwig, Heiner, TU Darmstadt Lutterbach, Hubertus, Universitat Duisburg-Essen Maier, Joachim, Schriesheim Meier, Johannes, Universitat Mainz Mennekes, Friedhelm SJ, Koln Merks, Karl-Wilhelm, Bonn Mette, Norbert, Technische Universitat Dortmund Michel, Andreas, Universitat zu Koln Mieth, Dietmar, Universitaten Erfurt und Tubingen Missala, Heinrich, Universitat Duisburg-Essen Mohring-Hesse, Matthias, Universitat Vechta Mooney, Hilary, Padagogische Hochschule Weingarten Muller, Klaus, Universitat Munster Mullner, Ilse, Universitat Kassel Nauer, Doris, Phil.-Theol. 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