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  Revolutionares Trio

The Sueddeutche
February 2, 2011

http://www.sueddeutsche.de/politik/debatte-um-den-zoelibat-revolutionaeres-trio-1.1054165

Papst Benedikt XVI. sieht tatenlos zu, wie seine Kirche schrumpft. 1970 zweifelte Joseph Ratzinger noch am Pflichtzolibat. Zwei weitere deutsche Kardinale gaben sich damals nicht minder revolutionar.

Aus heutiger Sicht war der Theologe Joseph Ratzinger ein Revolutionar. Diese Zeitung veroffentlichte vergangenen Freitag ein an die deutschen Bischofe adressiertes Memorandum, das Ratzinger im Februar 1970 mit acht anderen namhaften Theologen unterzeichnete. Darin regte er eine Uberprufung der Frage an, "ob die bisherige Weise, in der die priesterliche Existenz realisiert wird, in der lateinischen Kirche die einzige Lebensform sein konne und bleiben musse".

Papst Benedikt XVI.: Werden Historiker ihm eine ahnliche Angstlichkeit wie Paul VI. attestieren?

Anders formuliert: Ratzinger zweifelte am Pflichtzolibat. In einem Radio-Interview, auf das der emeritierte Bamberger Dogmatik-Professor Georg Kraus in einem Aufsatz fur die Zeitschrift Stimmen der Zeit (Heft 9, 2010) verweist, wagte Ratzinger sogar eine handfeste Prognose: Die Kirche werde "gewiss neue Formen des Amtes kennen und bewahrte Christen, die im Beruf stehen, zu Priestern weihen".

Ahnlich deutlich au?erten sich noch in den Jahren 1978 und 1979 Karl Lehmann und Walter Kasper, die spater zu Kardinalen ernannt wurden. Kasper fragte sich in einem Essay, weshalb man "Laien, die sich bewahrt haben, die also viri probati sind, nicht auch de iure zu Priestern macht". Und Lehmann stellte fur den "Ernstfall das geistliche Wohl der Gemeinden vor bestimmte geschichtliche Ausformungen des kirchlichen Amtes". Genau das fordern heute viele katholische Laien. Kleriker hingegen wagen aus Angst vor Ma?regelung solche Gedanken allenfalls anzudeuten.

Wie kamen derlei - aus heutiger Sicht - revolutionare Vorsto?e wie die Joseph Ratzingers und Karl Lehmanns zustande? Die katholische Kirche befand sich tatsachlich in einer Phase des Wandels. Mit Paul VI. agierte ein vorsichtiger, manchmal zogerlicher Papst, der liberale Stromungen zulie?. Zudem schopften progressive Theologen Mut und Kraft aus dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das der Kirche einen Offenheitsschub verpasst hatte.

Davon einmal abgesehen, befand sich nach 1968 auch die Gesellschaften der meisten Lander in Aufbruchstimmung. Gestandene Kleriker wie der Munchner Kardinal Julius Dopfner lie?en sich auf ernsthafte Diskussionen mit Zolibatskritikern ein, es herrschte ein Klima gegenseitiger Wertschatzung.

Im Pontifikat Johannes Pauls II. verstummten die Erneuerer. Ratzinger, Lehmann und Kasper fugten sich ihrem polnischen Papst, dem der Zolibat heilig war. Dafur fuhrte er unter Verweis auf seine Abstammung aus einem totalitar regierten osteuropaischen Staat ein starkes Argument ins Feld: Waren nicht in einem totalitaren System ehelose Priester in der Tat weniger bestechlich als Manner, die sich um das Wohl von Ehefrauen und Kindern zu sorgen hatten?

Spatestens der Fall der Mauer machte diese Frage hinfallig. Und wenn von viri probati die Rede ist, denkt ohnehin niemand an 25-Jahrige, die noch den Sinn des Lebens suchen, sondern an reifere Personlichkeiten. Der Geist aus dem Pontifikat des Polen Karol Wojtyla aber lebt fort in der Kirche, und zur Verteidigung seines Nachfolgers Benedikt XVI. lasst sich allenfalls anfuhren, dass er sich schwer uber die Entscheidungen fruherer Papste hinwegsetzen kann. Schlie?lich wurde er ihre auf ein Dogma basierende Unfehlbarkeit angreifen. Seiner eigenen Unfehlbarkeit sind also enge Grenzen gesetzt.

Das Heil der Seelen als oberstes Gesetz

Doch wenn er dem Schrumpfen seiner Priesterschaft in Europa tatenlos zusieht, werden ihm die Historiker spater eine ahnliche Angstlichkeit wie Paul VI. attestieren und ihn als Papst in Erinnerung behalten, der die Kirche eher in die graue Vergangenheit fuhrte als in eine chancenreiche Zukunft. Wenn man auf seinen Reformeifer von einst blickt, der sich in dem Brandbrief an die Bischofe im Jahr 1970 manifestierte, vermittelt Benedikt schon heute den Eindruck von Ratlosigkeit und Schwache.

Die pragmatische Notwendigkeit, auf die er sich damals bezog, als er das Zolibatgesetz kritisierte, ist heute zweifellos gravierender als 1970. Der Priestermangel nimmt eklatante Ausma?e an. Im Bistum Augsburg zum Beispiel werden in zehn Jahren mehr als die Halfte der Priester alter als 70 Jahre sein. Doch anstatt geistig gefestigte und geistlich kompetente Laien zu weihen, legen die Bischofe Pfarreien zusammen. Die deutschen Seelsorger sollen sonntags von Kirche zu Kirche, von Gottesdienst zu Gottesdienst hetzen. In Lateinamerika dulden es Bischofe, dass ihre Priester offen in eheahnlichen Beziehungen leben - hierzulande werden Geistliche geschasst, wenn sie ihre Liebe zu einer Frau nicht mehr verbergen wollen.

Der Bamberger Theologe Georg Kraus verweist in seinem Pladoyer fur die Abschaffung des Pflichtzolibats auf den Codex des Kirchenrechts. Dort hei?t es: "Das Heil der Seelen muss in der Kirche immer das oberste Gesetz sein." Daruber diskutieren die Bischofe jedoch allenfalls untereinander. Vergangene Woche trafen sich 27 von ihnen in Wurzburg. Als sich vor dem Tagungsort Vertreter der "Kirchenvolksbewegung" zu einer Mahnwache postierten, donnerten die Hirten in ihren Limousinen daran vorbei, und die getonten Scheiben wirkten wie Scheuklappen.

 
 

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