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"DA Mussen Wir Uns Schamen" By Peter Wensierski The Spiegel December 13, 2010 http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/0,1518,734388,00.html [Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren] [Pressekonferenz via YouTube]
Mit 120 Millionen Euro aus einem Hilfsfonds sollen Hunderttausende Menschen entschadigt werden, die als Kinder in Heimen misshandelt wurden. Die Opfer sind verbittert: Es konnte noch Jahre dauern, bis die Summen ausgezahlt werden - fur viele kommt das Geld bereits zu spat. "Man hat etwas erreicht, aber nicht das, was man will", so sei das ja oft in der Politik, sagte die SPD-Politikerin Ingrid Matthaus-Maier, Moderatorin der Pressekonferenz des Vereins ehemaliger Heimkinder, als sie nun - nach langjahrigem Ringen um Wiedergutmachung und Entschadigung - ihr Fazit zog. 120 Millionen Euro, so das Verhandlungsergebnis des Runden Tisches Heimerziehung, sollen in einen Finanztopf fur die Opfer von Misshandlung in Kinderheimen flie?en. Andere Staaten hatten ihren Opfern mehr gegeben, meinte Matthaus-Maier, "da mussen wir uns schamen". Der Weg hin zu diesem Dezembermontag 2010, an dem der Abschlussbericht nach zweijahriger Beratung vorgelegt wurde, war lang: Vor sieben Jahren hatte eine SPIEGEL-Reportage das Thema auf die Agenda gesetzt, 2006 erschien das SPIEGEL-Buch "Schlage im Namen des Herrn" mit Berichten von Betroffenen und machte ihr Schicksal weithin bekannt. Dann nahm sich erstmals in seiner Geschichte der Petitionsausschuss des Bundestags vor, in Form von Anhorungen dem vergessenen Problem nachzugehen. Er begann trotz erheblichen Unwillens der Kirchen, des Familienministeriums und der Unionsparteien mit einer ersten, offiziellen Bestandsaufnahme des Unrechts an Kindern und Jugendlichen in Deutschland. "Kollektive Verantwortung der ehemaligen Betreiber" Nach zwei Jahren empfahl er seine Arbeit an den Runden Tisch weiter, dieser empfiehlt nun seine Vorschlage dem Bundestag und den Landerparlamenten. Das wird mindestens noch zwei weitere Jahre dauern. Mit anderen Worten: Die Geduld der Heimkinder wird weiter arg strapaziert, die Chance, noch zu Lebzeiten in den Genuss einer Entschadigung zu kommen, verringert sich weiter. Es gibt aber Dinge, die erreicht worden sind, von denen die Heimkinder vor sieben Jahren nicht annahmen, dass sie sich jemals fur sie andern wurden. Die erste Frau, die dem SPIEGEL damals von ihren schlimmen Jahren bei den "Barmherzigen Schwestern" im Dortmunder Vincenzheim berichtete, war Gisela Nurthen. Sie hatte noch gesagt, sie wage nicht uber ihre Erlebnisse zu sprechen, weil ihr sowieso niemand Glauben schenke. Das ist vorbei. Der Runde Tisch mit all seinen Vertretern von Orden, Kirchen oder Landesjugendamtern erklart ausdrucklich, "den Schilderungen der Heimkinder wird geglaubt". Antje Vollmer, die das Gremium moderierte, bekannte: "Es gab sehr viele Orte des Bosen, in denen auf allen Stufen Unrecht geschehen ist." Und sie hielt fest: "Es gab ein System der Heimerziehung und heute muss es dafur eine kollektive Verantwortung der ehemaligen Betreiber geben." "In zwei Jahren haben wir wohl immer noch nichts" Im "System Heimerziehung" sei den Kindern Unrecht und Leid zugefugt worden. Dieses Unrecht, hei?t es nun als Empfehlung, "wird von hoher Stelle in Staat und Kirche offentlich als Unrecht anerkannt. Von denselben Stellen wird offentlich eine Bitte um Verzeihung ausgesprochen." Die in der damaligen Heimerziehung geschehenen Grundrechtsverletzungen "werden ausdrucklich als Menschenrechtsverletzungen anerkannt". Gedenktafeln sollen angebracht, eine zentrale Gedenkstatte geschaffen werden, Ausstellungen und Aufarbeitungen aller Art erfolgen. Heimerziehung war ein Ungluck, kein personlicher Makel. So weit so gut, sagen die "Ehemaligen"; sie durften die Prasentation des Berichts au?erhalb des Saals der Bundespressekonferenz verfolgen. Doch Zufriedenheit herrscht bei ihnen nicht. "Es sind doch alles nur Empfehlungen", sagt ein Betroffener. "Wir durfen weiter warten, denn ehe die versprochene Stiftung mit ihren Anlaufstellen in Bundeslandern arbeiten kann, bedarf es der Beschlusse samtlicher Landerparlamente. 2011 sind aber etliche Landtagswahlen, in zwei Jahren haben wir wohl immer noch nichts." Der Vertreter der Bundeslander auf der Pressekonferenz will es auch nicht beschonigen: "Das letzte beteiligte Landerparlament bestimmt, wann die Stiftung wirklich gegrundet wird." Viele Ehemalige haben die durchaus berechtigte Angst, all das nicht mehr zu erleben. Gisela Nurthen ist, wie viele andere Mitstreiter, inzwischen bereits verstorben. "Mit gar nichts wollte ich nicht zuruckfahren" Die seit Monaten von Betroffenen kritisierte Antje Vollmer hat versucht, die Gemuter zu beruhigen: Antrage auf finanzielle Leitungen konnen ab sofort vorlaufig bei der Anlaufstelle des Runden Tisches gestellt werden. Bis Februar gibt es sie noch, die Lander hatten "signalisiert", die Stelle noch bis in den Sommer weiter zu finanzieren. Die Lander mussten jetzt nur "zugig die Beratungen aufnehmen, zugig die Mittel bereitstellen". Wenn 120 Millionen Euro nicht reichen, musse nachgeschossen werden, "es gibt keine festgeschriebene Obergrenze fur den Fonds". Die Heimvertreter bemangeln zu Recht, dass die Firmen, fur die die Kinder zwangsweise arbeiten mussten, bisher nicht in den Fonds einzahlen. Vollmer verspricht immerhin, "keine burokratischen Nachweise" seien notig. Die Betroffenen mussten ihre Berechtigung nur "einigerma?en glaubhaft" machen. Was das einmal konkret bedeuten wird? Vieles ist im Vagen und Ungefahren geblieben. Die Gefuhlslage unter den Ex-Heimkindern, die beim dramatischen Ringen um die letzte Fassung des Abschlussberichts am Runden Tisch mit dabei waren, schwankte, wie ein Beteiligter sagt, "zwischen Notigung und Erpressung". Die Vereinsvorsitzende, Monika Tschapek-Guntner, sagte, sie habe das Gefuhl gehabt, bei den Verhandlungspartnern auf eine Haltung nach dem Motto "Wenn ihr das nicht wollt, gibt es gar nichts!" zu sto?en. Ihr Mistreiter Jurgen Beverforden erganzt: "Mit gar nichts wollte ich nicht zuruckfahren." Es klingt wie eine Entschuldigung. |
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