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  Prugel Im Haus Zum Guten Hirten

By Matthias Drobinski
Sueddeutsche
December 10, 2010

http://www.sueddeutsche.de/politik/kinderheime-misshandlungen-pruegel-im-haus-zum-guten-hirten-1.1033863

Ohrfeigen gaben die Nonnen selber, fur die Prugel war der Hausmeister zustandig: In Heimen wurden bis zu 50.000 Kinder und Jugendliche missbraucht und gedemutigt. Heute kampfen sie um Anerkennung.

Jurgen Beverfordens Albtraum beginnt, da ist er sechs. Im Bahnhof Osnabruck steht er; ich komme gleich wieder, hat die Mutter gesagt. Doch sie kommt nicht wieder. Erst kommt die Angst, dann die Verzweiflung, schlie?lich die Frau vom Jugendamt. Einen strengen Haarknoten hat sie, es ist das Jahr 1950. Bist so hilflos, sagt heute der Junge von damals. "Gehst die Treppe hinauf zur Wohnung, die deine Heimat war. Fremde Leute tragen die letzten Mobel herunter, hastig packst du einen Waschpulverkarton voller Kleider - das ist jetzt alles, was dir gehort."



Nach Irland ist die Mutter abgereist. Am Morgen hat sie einen Offizier der britischen Armee geheiratet, sie will nichts mehr wissen vom alten Leben, wo sie einer Industriellen-Familie diente und leichte Beute war fur die Wehrmachtsoffiziere und Nazigro?en, die dort verkehrten. Zwei Kinder hat sie bekommen von zwei Mannern. Jetzt ist die neue Zeit da, und die Manner von damals haben ihr viel Geld gezahlt: 30.000 Mark, genug, um ein neues Leben anzufangen, ohne die Kinder, die sie nicht lieben kann.

Fur Jurgen und die Schwester geht es quer durch Osnabruck zum katholischen Renthe-Fink-Haus. "Lasset die Kindlein zu mir kommen", steht auf dem Sockel der Jesusfigur im Eingang. Die Ohrfeigen geben die Nonnen selber; fur die Prugel haben sie den Hausmeister. Einen Jungen, der eine Tomate eingesteckt hat, schlagt er mit einem Gummikabel, wimmernd liegt der Bub auf dem Strohsack, die Striemen bluten. Willkommen im Haus zum Guten Hirten.

700 Kilometer sudlich und vier Jahre spater endet auch fur Helmut Klotzbucher die Jugend. 1954 ist das, 15 Jahre ist er alt, er lebt beim Vater. Das ist dem Jugendamt suspekt. Auf einmal steht ein Auto da, er soll mit. Es geht zum Sankt-Konradihaus in Schelklingen in der Nahe von Ulm. Um sechs Uhr aufstehen hei?t es von nun an, beten, antreten, die Bauern warten auf billige Arbeitskrafte.

Wer aufmuckt, auf den warten Schlage und Arrest im Besinnungszimmer; die Holzpritsche wird dort morgens nach oben geklappt, dass der Zogling nur stehen oder auf dem Boden sitzen kann. Und immer ist Schwester Joachim da. "Tut freundlich, und dann klebt sie dir eine, wei?t nie, woran du bist," sagt Klotzbucher. Nachts sind 30 Kinder in einem Saal. Wer auf die Toilette muss, soll klingeln. Wer klingelt, wird bestraft.

Am Donnerstag und Freitag dieser Woche tagt zum letzten Mal der "Runde Tisch Heimerziehung", kommenden Montag wird Antje Vollmer, die Moderatorin des Gremiums, vor der Bundespressekonferenz die Ergebnisse von zwei Jahren Beratung vorstellen. Sie werden viele enttauschen, die in den funfziger und sechziger Jahren in einem Kinder- oder Erziehungsheim lebten: Das Unrecht, das in den Einrichtungen geschah, wird anerkannt, Entschadigungen fur erlittene Gewalt oder entgangenen Lohn aber soll es nur im Einzelfall geben. Das ist ein Fortschritt, immerhin. Wer aber die Bitterkeit der Kinder von damals verstehen will, muss sie besuchen; es sind schwer ertragliche Geschichten vom Unrecht in einem Staat, der ein Rechtsstaat sein wollte.

Zwei Heimkinder also: Jurgen Beverforden und Helmut Klotzbucher, 66 Jahre alt der eine, 71 der andere. Beverforden kommt mit schnoddriger Selbstsicherheit daher, er war Gewerkschaftssekretar und SPD-Politiker, tragt Schnauzbart und ein Wollsakko. Er hat bei der niedersachsischen Stadt Bramsche einen Kotten aus dem 18. Jahrhundert renoviert; die Glasfront des Hauses gibt den Blick auf Wiesen frei, das hohe Bucherregal von Jurgen Beverforden ist voll.

 
 

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