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  Kirche Vertuschte Missbrauch Systematisch

The Sueddeutsche
December 3, 2010

http://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen/vermischtes/untersuchungsbericht-kirche-vertuschte-missbrauch-systematisch-1.1031896

Schwere Vorwurfe auf 250 Seiten: Im Erzbistum Munchen sollen laut einem Gutachten Missbrauchsfalle systematisch vertuscht worden sein. Sogar Akten seien vernichtet worden.

Joseph Ratzinger, der heutige Papst Benedikt XVI., kommt nur einmal vor in dieser Mittagsstunde im Sitzungssaal des Ordinariats. Ein Priester habe an den damaligen Erzbischof von Munchen und Freising geschrieben, einer, der im Verdacht stand, Kinder sexuell belastigt zu haben. Er sollte suspendiert werden, sein Brief triefte vor Selbstmitleid. Ratzinger blieb hart: Der Mann durfte nicht langer Pfarrer sein.

Kardinal Reinhard Marx pladiert fur schonungslose Aufklarung. Links neben ihm: Rechtsanwaltin Marion Westpfahl, die Autorin des Gutachtens. (© dpa)

Die Journalisten fragen nach: Was ist mit dem Fall des ubergriffigen Pfarrers Peter H., der im Fruhjahr solche Wellen schlug? Zu ihm, der zu Ratzingers Zeit aus Essen kam und alsbald in Munchen eingesetzt wurde, kann Rechtsanwaltin Marion Westpfahl nichts sagen. H. kommt nicht vor in den 13.200 Personalakten, die ihre Kanzlei gesichtet hat. Es bleibt nur die gute Geschichte vom heutigen Papst.

Es ist die einzige gute Geschichte, von der Westpfahl berichtet, die da zwischen Kardinal Reinhard Marx und Peter Beer, dem Generalvikar des Erzbistums, sitzt - und dass sie der heutigen Fuhrungsriege "unbedingten Aufklarungswillen" attestiert. Mehr als ein halbes Jahr lang hat sie untersucht, wie das Erzbistum von 1945 bis 2009 mit Fallen von sexueller und korperlicher Gewalt umgegangen ist, 250 Seiten umfasst ihr Bericht, der "aus Datenschutzgrunden" nur in "Kernaussagen" veroffentlicht wird.

Demnach wurde im Ordinariat systematisch vertuscht, es hatten "Aktenvernichtungen in erheblichem Umfang" stattgefunden, sagt Westpfahl. Nach Informationen der Suddeutschen Zeitung bewahrte Personalreferent Friedrich Fahr Aktenbestande bis zum Tod in seiner Wohnung auf; Fahr war es, der Anfang 1980 den auffallig gewordenen Priester H. von Essen nach Munchen holte. Uberhaupt wiesen viele Akten, so Westpfahl, "teilweise offenkundige Lucken" auf.

Wurden Priester in andere Bistumer versetzt, fehlen die Grunde dafur. Ging es um Sexualdelikte, findet sich ein "euphemistischer und verharmlosender Sprachgebrauch", der es oft unmoglich macht zu erahnen, was geschah, wie schwerwiegend der Ubergriff war, welche Folgen er fur die Opfer hatte. Die Tater wurden fast nie bestraft, sofern sie Priester waren; ein "fehlinterpretiertes klerikales Selbstverstandnis" habe den "rucksichtslosen Schutz des eigenen Standes im Auge gehabt. Zudem, sagt Westpfahl, hatten "homosexuell veranlagte Kleriker" einem "besonderen Erpressungspotential" unterlegen.

Vertreter der Missbrauchsopfer abgewiesen

Auch deshalb geht die Anwaltin von einer "erheblichen Dunkelziffer" aus, was die Zahl der Falle und Tater angeht - zu Opferzahlen kann sie uberhaupt nicht sagen. 159 Priester wurden - der Aktenlage zufolge - auffallig, 26 von ihnen verurteilt, keiner von ihnen lebt mehr. Bei 17 weiteren ist davon auszugehen, dass sie strafbare Sexualdelikte verubten; zwei wurden wegen korperlicher Gewalt verurteilt, bei 36 weiteren finden sich Nachrichten uber Gewalttaten in den Akten.

Auffallig wurden zudem 15 Diakone, sechs Laien-Mitarbeiter, 96 Religionslehrer im Kirchendienst. "In den meisten Fallen begegnet den Gutachtern eine psychisch und physisch gering belastbare Personlichkeit", erklart die Anwaltin, Manner zwischen 45 und 65 Jahren, die uberwiegend auf dem Land eingesetzt sind, haufig mit dem Alltag nicht zurechtkommen und oft alkoholabhangig sind.

Egal, ob die Munchner Kardinale Dopfner, Ratzinger oder Wetter hie?en - die Opfer sexueller Gewalt fanden in dieser Zeit kein Gehor, die Tater dagegen Schutz bis an den Rand der Strafvereitelung. Das soll anders werden, das versprechen sie, der neue Generalvikar, der frischgekurte Kardinal. Die Aktenfuhrung soll besser werden, ein umfassendes Praventionskonzept ist in Arbeit, berichtet Beer.

Am Anfang der Pressekonferenz hatte Marx gesagt: "Das Jahr 2010 ist fur die Kirche zu einem Jahr der Bu?e geworden". Die schonungslosen Aufklarung sei "ohne Alternative." Da war ein Vertreter der Missbrauchsopfer des Klosters Ettal schon wieder auf dem Heimweg: Er war an der Pforte des Ordinariats abgewiesen worden; die Pressekonferenz sei nur fur Journalisten.

 
 

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