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  Klagen, Erkenntnisse, Empfehlungen

Eglise Catholique a Luxembourg
November 18, 2010

http://www.cathol.lu/Klagen-Erkenntnisse-Empfehlungen.html

Klare Worte bei der Pressekonferenz vom 18.11.2010

Sim und Mil Majerus, Koordinatoren der Hotline und Autoren des Abschlussberichts

Erzbischof Fernand Franck (r.) und Generalvikar Mathias Schiltz haben bereits erste Schritte zur Umsetzung der von den Hotline-Koordinatoren vorgeschlagenen Massnahmen eingeleitet.

Vom 6. April bis zum 16. Juli 2010 konnten Opfer sexueller und physischer Gewalt die Dienste einer vom Erzbistum Luxemburg eingerichteten Kontaktstelle in Anspruch nehmen. 138 Personen nutzten das Gesprächsangebot, 100 davon klagten über erlittene oder beobachtete Gewalt im Umfeld der Kirche.

Der Abschlussbericht, den die Koordinatoren der Kontaktstelle, Simone und Mill Majerus-Schmit, dem Erzbischof und dem Generalstaatsanwalt am 10. November zukommen ließen, gibt Aufschluss über die Arbeit der Kontaktstelle und liefert Antworten auf Fragen wie: Wer sind die Opfer der Gewalt im kirchlichen Umfeld? Wer hat ihnen Gewalt angetan? Was haben sie erlebt? Wie gehen Sie heute mit dem Erlebten um? Die Auswertung der Gespräche macht etwa die Hälfte des Abschlussberichts aus. Daneben liefert das 141-seitige Dokument u.a. psychologische und juristische Fachbeiträge zum Thema Missbrauch, Auszüge aus den Gesprächsprotokollen und Empfehlungen des Leitungsteams an Kirche und Gesellschaft.

„Dieser Bericht kann und darf nicht den Anspruch erheben, die ganze Wahrheit zu erfassen. Er bringt vor allem die Wahrheit der Opfer zum Ausdruck", schreiben Simone und Mill Majerus-Schmit in der Einleitung zu ihrem Bericht.

Wie diese Wahrheit aussieht, dokumentieren die Koordinatoren der Hotline mit zahlreichen Zitaten aus den Berichten der Gesprächspartner. 114 solcher Berichte wurden an die Staatsanwaltschaft und an das erzbischöfliche Ordinariat weitergeleitet. Sie zeugen von körperlichem und seelischem Leiden, von sozialer und spiritueller Not.

Die Verfasser des Hotline-Berichts haben sich auch mit den Ursachen des Missbrauchs und seiner späten Thematisierung auseinandergesetzt:

  • Viele Opfer empfinden so starke Scham- und Schuldgefühle, dass sie häufig selbst Jahrzehnte später keine Worte finden können oder finden wollen. Zudem war Sexualität ein Tabuthema.

  • Es lag im ureigensten Interesse der Täter, die Opfer mundtot zu machen oder mundtot zu halten.

  • Auch manche Vertreter der Institution Kirche meinten, das Prinzip des Selbstschutzes machte es nötig, die Übergriffe zu vertuschen.

  • Dazu kam in vielen Fällen eine regelrechte Kapitulation des familialen, erzieherischen und sozialen Umfeldes der betroffenen Kinder und Jugendlichen.

  • Man kann unterschiedliche Hypothesen entwickeln, warum Eltern damals nicht reagierten:

  • Tabuisierung der Sexualität,

  • inhaltliche und sprachliche Defizite im Umgang mit dem Thema,

  • Angst vor der Institution Kirche und ihrem Einfluss,

  • übertriebener Respekt vor der Kirche und ihren Vertretern,

  • mangelndes Vertrauen in die Kinder,

  • Unkenntnis der Konsequenzen des sexuellen Missbrauchs,

  • Vermutung, dass eventuelle Klagen ohne Ergebnisse blieben.

Ganz generell wurde Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen in einer heute kaum noch nachvollziehbaren Art banalisiert. Die sexuellen Übergriffe wurden hingenommen wie eine Plage, gegen die ohnehin kein Kraut gewachsen ist.

Das Allerwichtigste für die Opfer: Reden

Zu den Erwartungen der Opfer schreiben die Hotline-Mitarbeiter Jean-Paul Conrad und Yvonne Lanners:

Die früheren Opfer erwarten in erster Linie, dass ihnen zugehört und geglaubt wird. Die vorurteilsfreie Empathie der Psychotherapeuten wirkt heilend und befreiend. Sie sind nun nicht mehr alleine mit dem schrecklichen Geheimnis, das sie jahrzehntelang mit sich herumtrugen, und über das sie aus unterschiedlichen Gründen mit keinem Erwachsenen reden konnten . Für manche der Betroffenen war es das allererste Mal, dass sie einer Person von ihrem Missbrauch erzählen konnten."

Die meisten Betroffene haben in Beratungsgesprächen den Hotline-Mitarbeitern gegenüber keine finanziellen Erwartungen oder materielle Wiedergutmachung geäußert. Es geht ihnen vor allem darum, dass die kirchliche Hierarchie die Geschehnisse zur Kenntnis nimmt und bereit ist, die Täterschaft in den eigenen Reihen öffentlich anzuerkennen.

Was soll geschehen?

Die Koordinatoren der Hotline haben klare Vorstellungen von dem, was jetzt passieren soll. Sie zählen in ihrem Abschlussbericht 7 Bereiche auf, in denen die katholische Kirche aktiv werden soll.

  • Schuldeingeständnis und Entschuldigungsschritte

  • Verantwortungsübernahme und Wiedergutmachung

  • Einsetzen eines permanenten Gremiums zum Thema Missbrauch und Gewalt in der Kirche

  • Leitfaden für den Umgang in der Kirche mit Missbrauch und Gewalt

  • Sensibilisierungsinitiativen zum Thema Missbrauch und Gewalt

  • Vorbereitung auf den Priesterberuf

  • Glaubwürdigkeit der christlichen Botschaft Zu jedem dieser Bereiche gibt es im Abschlussbericht konkrete Umsetzungsvorschläge.

  • Den Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft empfehlen die Koordinatoren folgende Maßnahmen:

  • Aufarbeitung der Geschichte der Luxemburger Heime und Internate im Zeitraum zwischen 1950 und 1975 durch die Universität

  • Einrichtung einer nationalen Diagnostik- und Beratungsstelle für traumatisierte Kinder und Jugendliche

  • Wissenschaftlich abgesicherte Erfassung der Daten um Missbrauch und Gewalt an Kindern

  • Täterarbeit in Luxemburg (als Präventionsmaßnahme)

  • Verlängerung der Verjährungsfristen bei sexuellem Missbrauch

  • Einsetzen eines „Runden Tisches" zum Thema Missbrauch, der regelmäßig Berichte erstellt, der bestehende Maßnahmen evaluiert und gegebenenfalls neue Initiativen vorschlägt.

Eine letzte Empfehlung richtet sich an alle Bürgerinnen und Bürger, die mit Kindern zu tun haben. Da es in unserer Gesellschaft nach wie vor Gewalt und Missbrauch gäbe, seien wir alle gefordert, eine Kultur der Achtsamkeit zu entwickeln.

Zahlen

60 % der 109 Gesprächspartner, die Übergriffe meldeten, waren Männer, 40 % Frauen.

80 % der Gesprächspartner waren über 50 Jahre alt. Der älteste war 87, der Jüngste 20.

80 % der gemeldeten Übergriffe ereigneten sich zwischen 1950 und 1980.

63 Personen klagten über physische Gewalt , 39 über sexuelle Gewalt, 23 über Vernachlässigung und Misshandlung in Heimen und in Internaten. In 5 Gesprächen ging es um Verdacht auf sexuelle Gewalt, 4-mal um wirtschaftliche oder finanzielle Übervorteilung und 2-mal um Totschlag oder Verdacht auf Totschlag.

Bei den gemeldeten Sexualvergehen sind 79 % der genannten Opfer männlich, 21 % weiblich, was darauf zurückzuführen ist, dass potentielle Sexualtäter im Umfeld der Kirche vor 1980 weitaus mehr Kontakte mit Jungen als mit Mädchen hatten (Messdiener, Internate).

 
 

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