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  "Gehorsam Statt Veranderung"

By Walter Hammerle
Wiener Zeitung
July 30, 2010

http://www.wienerzeitung.at/DesktopDefault.aspx?TabID=3941&alias=wzo&cob=509819

Von der Basis weht ein scharfer Wind gegen "die da oben": Kardinal Schonborn und Papst Benedikt XVI. Foto: apa

Aufzahlung Kohlmaier: Die Kirche ist von tiefem Misstrauen gegen die Welt gepragt.

Aufzahlung "Es geht nur noch um die Erhaltung von Strukturen."

Aufzahlung Mehr Autonomie nach Beispiel der unierten Ostkirchen?

"Wiener Zeitung": Bei der diesjahrigen Missionswoche wollte die katholische Kirche ihre Turen weit aufmachen und dorthin gehen, wo die Menschen sind. Gelingt das der Kirche?

Herbert Kohlmaier: Nur zu einem Teil. Es gibt, das zeigen alle Untersuchungen, das Bedurfnis der Menschen, einen Glauben zu leben. Nur die Doktrinen und Vorschriften der Kirche werden nicht mehr angenommen, das gilt vor allem fur die Jugend. Die Kirche wird so, wie sie sich heute darstellt, nicht bestehen bleiben konnen.

Veranderungen sind aber auch fur die Kirche nichts Ungewohnliches, das zeigt ihre 2000-jahrige Geschichte, nur eben weit langsamer, als wir das heute gewohnt sind.

Das ist keine Frage von Geschwindigkeit, es geht darum, dass auch in der Kirche geschieht, was uberall ganz normal ist, wenn Krisen diagnostiziert werden: Um energische Ma?nahmen zwecks Gegensteuerung. Die Kirche aber ist aus mehreren Grunden dazu nicht in der Lage.

Welche sind dies?

Zuallererst ist es ein Rekrutierungsproblem: Die Kirche ruft seit langem ausschlie?lich Personen in Fuhrungspositionen, die an die Stelle von Veranderungsbereitschaft den Willen zu Gehorsam setzen – das gilt fur Bischofe wie fur Priester. Jesus dagegen hat jede Form von Befehls- und Herrschaftsstrukturen abgelehnt.

Mit Papst Benedikt XVI. sitzt noch dazu ein ausgesprochen angstlicher Mensch an der Spitze. Er steht der heutigen Welt mit tiefem Misstrauen gegenuber. Diese Situation blockiert alles. Die Kirche macht den gro?en Fehler, dass sie die Frohe Botschaft ihres Glauben nicht mehr in einer Weise verkundet, die von der heutigen Welt auch angenommen wird. Stattdessen will sie bestimmte Strukturen und Regeln, die ausnahmslos Menschenwerk sind, unbedingt erhalten. Damit meine ich das Zolibat, die Frage der Weihe von Frauen und die Rolle von Viri probati. Die Kirche leidet heute daran, dass sie die Kopie eines irdischen Herrschaftssystems mit autoritarer Struktur ist.

Fur eine Religion ist die Anpassung an den Zeitgeist eine gefahrliche Gratwanderung zwischen behutsamer Reform und Verwasserung. Ist es nicht legitim zu sagen, ‚lieber schrumpfen wir uns gesund, als dass wir Prinzipien uber Bord werfen‘?

Es gibt viele Hinweise, dass weite Krise in der Hierarchie tatsachlich so denken. Darauf deuten auch die Bemuhungen um einen Ausgleich mit den Pius-Brudern oder der Lefebvre-Gemeinschaft: Man will die bewahrenden Krafte auf keinen Fall verlieren. Aber einen solchen resignierenden Weg lehnen wir als Laieninitiative vehement ab. Darin zeigt sich nur die Unfahigkeit der Kirchenleitung, das zu tun, was ihre Aufgabe ware: Den Glauben in ihrer Zeit zu verkunden. ‚Aggiornamento‘, also Anpassung an die heutigen Verhaltnisse, war das Motto von Johannes XXIII., der die Notwendigkeit einer Offnung der Kirche betonte. Doch seit dem Ende des II. Vatikanums ist ein steter Ruckzug von diesem Prinzip erkennbar. Nichtanpassung an neue Gegebenheiten ist aber ein Todesurteil, das gilt uberall: Leben hei?t Veranderung, das ist ein gottliches Gesetz.

Was will, was kann die Laieninitiative dagegen tun?

Unser erster Schritt war ein Appell an die Kirchenleitung zu Veranderungen mit den Forderungen nach Abschaffung des Zolibats, Wiedereinsetzung von Priestern, die wegen Ehe ihr Amt verloren haben, Heranziehung von Viri probati und – als ersten Schritt – Zulassung von Frauen fur die Diakon-Weihe. Diese Forderungen habe wir Kardinal Schonborn ubergeben, der sie an den Vatikan weiterleitete. Dort liegen sie wohl noch heute, wenn sie nicht weggeworfen wurden.

Als nachsten Schritt haben wir im November bei einer Veranstaltung den Beweis zu fuhren versucht, dass das Kirchenrecht wie die Verfassung der Kirche den Menschenrechten und dem Evangelium widersprechen. Auch darauf gab es keinerlei Reaktion.

Jetzt stehen wir vor dem dritten Schritt. Nach derzeitigem Stand werden wir die Ernennung von Bischofen zum Anlass nehmen, nach der Berechtigung fur diese Machtausubung zu fragen. Unserer Ansicht nach existiert diese nicht mehr. Deshalb werden wir am 27. November diskutieren, was heute ohnehin jeder gebildete Katholik wei?: Dass es keinen Auftrag Jesu zur Bildung einer Kirche mit Amtern und Herrschaftsstrukturen gab. Jesus wollte nie eine Kirche grunden, er war Jude und wollte den Glauben seines Volkes zur Vollendung fuhren. Deshalb ist es unzulassig, wenn sich die Kirche auf einen Auftrag Christi beruft. Der Papst ist nicht von Gott eingesetzt, sondern von Leuten, die er ernannt hat. Deshalb fehlt seiner Macht auch jede Legitimation.

Aber was wollen Sie tun? Eine Nationalkirche ausrufen, die nicht mehr die Autoritat des Papstes anerkennt?

Das ware zu schnell und zu weit gedacht. Zunachst werden wir die Ergebnisse unserer Frage "Woher nimmst du die Macht?" dem Papst und unseren Bischofen vorlegen und um Gegenargumente bitten .. .

Der Vatikan wird Sie kaum einer Antwort wurdigen.

Ja, das wird wohl mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit so sein.

Und dann?

Ich kann und will den Beschlussen nicht vorgreifen. Fest steht aber, dass wir uns nicht aus unserer Kirche vertreiben lassen. Wir wollen ihr helfen, dass sie wieder in ihrer Zeit landet. Diese Kirche ist unersetzlich. Es sind aber Modelle fur die Uberwindung des unertraglichen Zentralismus zu uberlegen. Es gibt ja etwa die mit Rom unierten Kirchen. Die Weltkirche halt schon heute aus, dass es unter ihrem Dach verschiedene Richtungen gibt, die sich der besonderen Situation in einem Land anpassen. In den unierten Kirchen gibt es weder den Pflichtzolibat noch ernennt dort der Papst die Bischofe. Warum sollten Ortskirchen, die das ihr von oben aufgestulpte Reglement nicht mehr mittragen wollen, nicht daruber nachdenken, sich eigene Spielregeln zu geben? Man muss ja von der Weltkirche das von ihr selbst in der Soziallehre eingemahnte Prinzip der Subsidiaritat einfordern.

Und die Regierung, die laut Konkordat ein Mitwirkungsrecht bei Bischofsernennungen hat, werden wir fragen, ob nicht die Republik ein Interesse hat, dass sich die Kirche an gewisse Mindestma?stabe heutiger demokratischer Gepflogenheiten halt.

Aufzahlung Zur Person

Herbert Kohlmaier, geboren 1934 in Wien, war langjahriger OVP-Politiker und Volksanwalt. Der studierte Jurist ist Vorsitzender der "Laieninitiative", einem katholischen Laienbundnis, die fur eine Reform der Kirche kampft. Foto: Fleck

Aufzahlung Wissen: Unierte Kirchen

Unierte Kirchen sind solche, die den romisch-katholischen Papst als Oberhaupt anerkennen, aber nach verschiedenen ostlichen Riten (byzantinischer, alexandrinischer, westsyrischer oder antiochenischer, ostsyrischer oder chaldaischer, armenischer Ritus) Gottesdienst feiern. Zu fast allen orthodoxen Landeskirchen und Ritusgemeinschaften gibt es unierte Zweige, die aber praktisch uberall gegenuber den orthodoxen Zweigen stark in der Minderheit sind. Die gro?te heute bestehende mit Rom unierte Kirche ist die ukrainische griechisch-katholische Kirche.

Historisch entstanden, vereinfacht gesagt, aus der gro?en Kirchenspaltung im Jahr 1054 ("Morgenlandisches Schisma") die westliche (romisch-katholische) und die ostliche (griechisch-orthodoxe) Kirche. Von den meisten ostlichen Kirchen haben sich im Lauf der Jahrhunderte Teilkirchen abgespalten und mit Rom "uniert", das hei?t unter Beibehaltung ihrer eigenen Liturgie, aber unter Anerkennung des papstlichen Primats und der papstlichen Jurisdiktion die volle Glaubens- Sakraments- und Jurisdiktionsgemeinschaft mit der romisch-katholischen Kirche aufgenommen. Die Zolibatsverpflichtung gilt (mit einigen Ausnahmen) in diesen Kirchen – wie in den anderen Ostkirchen – nur fur Bischofe, Monche und fur bei der Diakonenweihe noch ledige Priesteramtsanwarter.

 
 

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