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  Geheimprotokoll Belastet Wichtigsten Mitarbeiter Des Papstes

Zeit
April 5, 2010

http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2010-04/missbrauch-vatikan-bertone

[documents]

Kardinalstaatssekretar Tarcisio Bertone, der wichtigste Mitarbeiter von Papst Benedikt XVI.

Bis zu 200 Kinder soll Pater Murphy in den USA missbraucht haben. ZEIT ONLINE liegt ein Geheimdokument vor, das zeigt: Kardinalstaatssekretar Bertone wollte den Fall klein halten.

Im Konflikt zwischen dem Vatikan und der New York Times um die Verwicklung des Papstes in die Vertuschung eines Missbrauchsfalles aus den USA in den spaten Neunziger Jahren wachst der Druck auf den wichtigsten Mitarbeiter des Papstes, Kardinalstaatssekretar Tarcisio Bertone. ZEIT ONLINE liegt ein geheimes Sitzungsprotokoll des Vatikans vor, das Bertone belastet. Das Protokoll ist Teil eines Briefwechsels zwischen dem Vatikan und dem damals fur die Ermittlungen zustandigen Erzbischof von Milwaukee, Rembert Weakland, im sogenannten Fall Murphy. Der Briefwechsel ist der ZEIT von Anwalten fruherer Opfer des Direktors einer katholischen Gehorlosenschule, Pater Lawrence Murphy, zur Verfugung gestellt worden, der zwischen 1950 und 1974 bis zu 200 gehorlose Kinder sexuell missbraucht haben soll, unter anderem auch wahrend der Beichte.

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Der Fall Murphy ist Gegenstand einer Kontroverse zwischen dem Heiligen Stuhl und der New York Times, die vorvergangene Woche berichtet hatte, Papst Benedikt sei in seiner fruheren Tatigkeit als Prafekt der Glaubenskongregation in Versuche verstrickt, die Bemuhungen des ortlichen Erzbischofs zu unterlaufen, Pater Murphy mit Hilfe eines kirchenrechtlichen Verfahrens aus dem Priesterstand zu entfernen. Benedikts Nachfolger als Prafekt der Glaubenskongregation und oberster US-Amerikaner im Vatikan, der Kurienkardinal William J. Levada, hatte in der Osterwoche die entsprechende Berichterstattung der New York Times als "unfair" und "albern" bezeichnet.

Die Dokumente, die ZEIT ONLINE an Ostern als Faksimile zuganglich gemacht hat, zeigen, dass das Hilfeersuchen des ermittelnden US-Erzbischofs im Fall Murphy zwar in der Tat – wie von der New York Times behauptet – an den damaligen deutschen Kurienkardinal Joseph Ratzinger gerichtet war. Allerdings wurde der Fall im weiteren vom damaligen Sekretar der Kongregation, Ratzingers Stellvertreter Tarcisio Bertone gehandhabt. Bertone, der inzwischen zum Kardinal ernannt wurde, bekleidet heute unter Papst Benedikt XVI. das wichtigste administrative Amt im Vatikan, die Leitung des sogenannten Kardinalstaatssekretariats, das in seiner Funktion der Rolle eines Ministerprasidenten des Kirchenstaates entspricht.

Levada hatte den Papst vergangene Woche in einer ungewohnlich konfrontativ gehaltenen Attacke gegen die New York Times verteidigt. "Entschuldigen Sie, Redakteure!", schrieb Levada und griff mehrere Mitarbeiter der Zeitung namentlich an, darunter die Korrespondentin Laurie Goodstein, die den Fall Murphy aufgebracht hatte, sowie die renommierte Kolumnistin Maureen Dowd, der er "albernes Nachplappern" von Goodsteins Bericht vorwarf. Als Amerikaner "muss ich sagen, ich bin nicht stolz auf Amerikas fuhrende Zeitung." Der Dekan des Kardinalskollegiums Angelo Sodano wiederum hatte Kritikern des Papstes am Ostersonntag "Geschwatz" vorgeworfen und Benedikt als "unfehlbaren Felsen der Heiligen christlichen Kirche" geruhmt.

Kardinal Levada hatte seine Kritik an der New York Times mit Hinweis auf mehrere Textstellen begrundet: "Ich sehe mich bestarkt in meinem Vorwurf, dass es der Times in ihrer Berichterstattung uber Papst Benedikt an Fairness mangelt." Der Prafekt der Kongregation erklarte: "Als vollbestalltes Mitglied der romischen Kurie habe ich nicht die Zeit, mich mit den weiteren, fast taglichen Berichten der Times auseinanderzusetzen." Das schriftlich verbreitete Statement schlie?t mit dem Appell: "Ich fordere die Times auf, Ihren Angriffsmodus auf Papst Benedikt XVI zu uberdenken und der Welt einen balancierteren Blick auf einen Mann zu bieten, auf den sie bauen kann und sollte."

Uber Ostern musste Levada allerdings einraumen, er habe 1994 in seiner damaligen Eigenschaft als Erzbischof von Portland im US-Bundesstaat Oregon einen des Kindesmissbrauchs beschuldigten Priester nach einer Auszeit wieder in der Gemeindearbeit eingesetzt. Dem Pfarrer sei jedoch jeder Kontakt mit Kindern und Jugendlichen untersagt worden, verteidigte sich Levada. Er reagierte damit auf Vorwurfe von Anwaltinnen mutma?licher Missbrauchsopfer im US-Staat Oregon.

Die Dokumente, die ZEIT ONLINE nun online gestellt hat, erlauben einen Einblick in das Vorgehen des Vatikans bei Missbrauchsfallen vor 2001, als der heutige Papst eine deutliche Verscharfung des Vorgehens gegen Priester anordnete, die sich des Missbrauchs schuldig gemacht haben.

Im Fall Murphy, uber den die New York Times vor zwei Wochen erstmals berichtet hatte, fuhrte ausweichlich der ZEIT ONLINE vorliegenden Akten nicht der spatere Papst, sondern sein Stellvertreter Bertone das Verfahren. Bereits in einem Brief vom 6. April 1998 an den zustandigen Erzbischof der Diozese von Milwaukee im US-Bundesstaat Wisconsin machte Bertone unter der Uberschrift "Vertraulich" deutlich, dass der Vatikan von einem sogenannten kanonischen Verfahren gegen den gestandigen Tater abrate. Vorausgegangen war eine Eingabe des beschuldigten Priesters beim Vatikan, ihn aufgrund seines angegriffenen Gesundheitszustandes, seines hohen Alters sowie seiner "friedlichen" Lebensfuhrung im Priesterstand zu belassen. Diese Argumente machte Bertone sich in seinem Schreiben zueigen.

Als der amerikanische Erzbischof auf der Entlassung Murphys aus dem Priesterstand beharrte – auch unter Hinweis auf anhaltende Emporung bei den Vertretern katholischer Gehorloser – kam es am 30. Mai 1998 zu einem Krisengipfel in Rom. In dem von der Glaubenskongregation verfertigten Protokolls des Treffens, bei dem der Sekretar der Kongregation Bertone den Vorsitz fuhrte, hei?t es wortlich: "Bezuglich der Moglichkeit eines kanonischen Prozesses wegen des Verbrechens der Belastigung in der Beichte lenkt der Sekretar die Aufmerksamkeit auf einige Probleme, die ein Verfahren aufwerfe". Ausweislich des Protokolls warnte Bertone sodann seine nach Rom gereisten Bischofskollegen aus den Vereinigten Staaten vor der "immanenten Schwierigkeit, ein solches Verbrechen in einem Verfahren zu ahnden, dessen Durchfuhrung in strengster Geheimhaltung erfolgen muss." Der spatere Kardinal betonte uberdies "die Schwierigkeit, Beweise und Zeugen beizubringen, ohne den Skandal zu vergro?ern." Zusammenfassend verweist Bertone auf das "gro?zugige Recht der Verteidigung, das in den USA existiert und die Schwierigkeiten, die durch eine Verfolgung dieses Falles entstehen wurden." Das Protokoll schlie?t mit einer Notiz zur Reaktion des federfuhrenden US-Erzbischofs Rembert Weakland: "Vor Abschluss des Treffens bekraftigt Monsignore Weakland die Schwierigkeit, die er haben werde, diesen Vorgang der Gemeinschaft der Gehorlosen zu erklaren."

In einem internen Vermerk der Erzdiozese Milwaukee nach dem Krisengipfel hei?t es: "Es wurde deutlich, dass die Kongregation uns nicht ermutigte mit irgendeiner formlichen Entlassung (Murphys, die Red.) fortzufahren." Weiter hei?t es: "Wir wurden daruber hinaus gewarnt vor der Schwierigkeit", einen Versto? gegen die Unverletzlichkeit der Beichte zu ahnden. Unter dem Druck aus Rom teilt US-Erzbischof Weakland seinem Kollegen im Vatikan, Tarcisio Bertone, in einem Schreiben am 19. August 1998 mit: "Ich habe meinen Justiziarvikar angewiesen, das Verfahren formlich zu beenden, das gegen Pater Murphy begonnen worden war." Die Akte endet mit einem Brief Weaklands an Bertone vom 2. September 1998: "Ich schreibe, um Sie zu informieren, dass Sie nun Ihre Akten zu diesem traurigen Fall schlie?en konnen." Der 72jahrige Pater Murphy sei am 21. August "eines naturlichen Todes" gestorben. Das Schreiben schlie?t mit den Worten "Trotz all dieser Schwierigkeiten hoffen wir weiterhin, dass wir unangemessene Publicity vermeiden konnen, die negativ gegen die Kirche ware. Danke Ihnen fur Ihre Hilfe in dieser Angelegenheit."

 
 

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