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  Hintergrund: Zwischen Beichtgeheimnis, Diskretion Und Knebel

Badische Zeitung
February 25, 2010

http://www.badische-zeitung.de/nachrichten/deutschland/hintergrund-zwischen-beichtgeheimnis-diskretion-und-knebel--27459615.html

Kardinal Joseph Ratzinger (rechts) mit Papst Johannes Paul II.
Photo by Frank Leonhardt

Der Vatikan und seine Haltung zum sexuellen Missbrauch: 1962 und 2001 erlie? Rom zwei Texte, hinter deren unklarer Sprache Kritiker heute noch geltende Vertuschungsstrategien erblicken.

Im Rahmen der Diskussion uber den Umgang der Kirche mit sexuellem Missbrauch wird haufig auf zwei romische Dokumente verwiesen, deren Aussagen strittig sind: Im einen Fall handelt es sich um das Geheimdokument "Crimen sollicitationis" (Das Verbrechen der Verfuhrung), das die Vorlauferin der heutigen Glaubenskongregation 1962 unter Papst Johannes XXIII. veroffentlichte. Der zweite Fall betrifft das Motu Proprio "De delictis gravioribus" (Uber schwerere Verbrechen), mit dem Johannes Paul II. "Crimen sollicitationis" 2001 ersetzte.

Beiden Texten wird vorgeworfen, die Untersuchung und Ahndung von Missbrauch an Minderjahrigen zur alleinigen Sache des Vatikans zu erklaren. Daneben wird kritisiert, dass die Dokumente die an diesen Verfahren Beteiligten unter Androhung von Exkommunikation zum Schweigen verpflichten. Die romische Linie sei also bis heute, staatliche Strafverfolgung zu unterbinden und Opfer zum Schweigen zu bringen. Pikant wird dieser Vorwurf vor allem durch die Tatsache, dass der Autor von "De delictis gravioribus" der damalige Kardinal Joseph Ratzinger war, heute Papst Benedikt XVI.

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Tatsachlich ist in den beiden Dokumenten nicht von einem Gegensatz zwischen staatlicher und kirchlicher Strafverfolgung die Rede; sie klaren lediglich, dass innerkirchlich immer Rom zustandig ist. Auch das Schweigegebot bezieht sich zunachst nur auf den kirchlichen Prozess.

Das Dokument von 1962 ist von der Vorstellung gepragt, sexueller Missbrauch spiele sich vor allem im Umfeld der Beichte ab. Eine Verletzung des Beichtgeheimnisses durch den Priester zieht in der katholischen Kirche automatisch die Exkommunikation nach sich. Entsprechend wird mit dieser Sanktion des gesamte Gerichtspersonal bedroht. Anklagern und Opfern drohte keine Exkommunikation, sie mussten aber per Eid geloben, uber das Verfahren zu schweigen. Das Dokument sagt nicht, ob uber den Tathergang getrennt vom eigentlichen Verfahren gesprochen werden darf.

Auch das vom heutigen Papst 2001 verfasste "De delictis gravioribus" halt an der hochsten Geheimhaltungsstufe fest. Diesmal ist im Fall eines Versto?es allerdings nicht mehr von Exkommunikation, sondern von einer angemessenen Strafe die Rede. Womoglich hangt das auch damit zusammen, dass sexueller Missbrauch unter dem Eindruck des Massenskandals in den USA nicht mehr so sehr im Zusammenhang mit dem Beichtsakrament gesehen wurde. Die angefuhrten Grunde ahneln eher denen in staatlichen Verfahren, in denen zum Schutz der Privatsphare die Offentlichkeit ausgeschlossen wird.

Dennoch: Ist das Verfahren erst einmal in Rom, sehen sich auch Tater und Opfer zum Schweigen verpflichtet. Auch Kirchenrechtler tun sich schwer damit, das mit den Leitlinien der deutschen Bischofe in Einklang zu bringen, wo offen davon die Rede ist, Tater entweder zur Selbstanzeige zu bewegen oder sie selbst der staatlichen Gerichtsbarkeit zu uberantworten. "Bei den Bischofen scheint die Einschatzung zu sein, dass Schweigepflicht nicht bedeuten kann, Strafvereitelung zu betreiben, und wer ware ich, ihnen da zu widersprechen?", sagt der Freiburger Kirchenrechtler Georg Bier der Badischen Zeitung. Warum die Papiere des Vatikans allerdings in ihrer Grundintention so viel schwerer zu durchschauen sind als die deutschen Leitlinien – das kann auch er nicht erklaren.

 
 

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