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  Missbrauchsfälle Auch an Bonner Jesuiten-Schule

Welt
February 4, 2010

http://www.welt.de/vermischtes/article6258772/Missbrauchsfaelle-auch-an-Bonner-Jesuiten-Schule.html

GERMANY -- Im Missbrauchsskandal an Schulen und Einrichtungen des katholischen Jesuiten-Ordens kommen weitere Taten ans Licht: Nach neuesten Erkenntnissen sollen mindestens 30 Schüler im gesamten Bundesgebiet Opfer von sexuellen übergriffen gewesen sein. Bischöfe fragen sich, ob das nur die Spitze des Eisbergs sei.

Im Missbrauchsskandal an Schulen und Einrichtungen des katholischen Jesuiten-Ordens gibt es mindestens 30 Opfer. Bei der „Süddeutschen Zeitung“ meldete sich nun ein weiteres: Der frühere Schüler des Bonner Jesuiten-Gymnasiums Aloisiuskolleg sagte, er sei Anfang der 60er Jahre von einem inzwischen gestorbenen Pater missbraucht worden.

Das Aloisiuskolleg des katholischen Jesuitenordens in Bonn: Auch hier hat es Fälle sexuellen Missbrauchs gegeben.

Zusammen mit den bereits bekanntgewordenen Fällen liegt die Zahl von Missbrauchsopfern damit bei mehr als 30. Die Deutsche Bischofskonferenz setzte das Thema auf die Tagesordnung ihrer nächsten Vollversammlung Ende Februar und kündigte eine Stellungnahme an. Ein Anwalt von Opfern am Berliner Canisius-Kolleg will eine Sammelklage gegen den Jesuiten-Orden in den USA prüfen.

Erste Missbrauchsfälle aus den 70er und 80er Jahren wurden vor einer Woche in Berlin bekannt. Dann kamen weitere Taten von drei Jesuiten-Patern in Hamburg, Hildesheim, Göttingen, Hannover und dem Schwarzwald ans Licht. Ein Pater hatte die Taten bereits 1991 eingeräumt, ein weiterer hatte übergriffe auf Jugendliche in Hannover gestanden. Auf einen Geistlichen, der zunächst im Canisius-Kolleg und später in Göttingen und Hildesheim eingesetzt war und dem ebenfalls sexueller Missbrauch vorgeworfen wird, hatte es in den 80er Jahren eine Messerattacke gegeben. Laut Medienberichten verübte ein ehemaliger Schüler die Tat, später beging dieser Selbstmord.

Neu sind nun weitere Fälle in Bonn: Das dortige Aloisiuskolleg ist neben dem Berliner Canisius-Kolleg und dem Kolleg St. Blasien im Schwarzwald das dritte Jesuiten-Gymnasium in Deutschland. In St. Blasien ging einst etwa der spätere CDU-Politiker Heiner Geißler zur Schule, in Bonn-Bad Godesberg waren unter den Schülern die heutigen Moderatoren Johannes B. Kerner und Stefan Raab sowie der jetzige Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU).

Fälle in Bonn – anonymes Opfer hatte Angst

Der frühere Schüler des Aloisiuskollegs sagte der „Süddeutschen Zeitung“, aus Angst habe er nie über den Vorfall gesprochen. Der Rektor des Kollegs, Pater Theo Schneider, sagte, er habe von dem Fall erst aus der Zeitung erfahren. Ihm seien andere Vorwürfe unter Zusicherung äußerster Diskretion jedoch bereits früher anvertraut worden.

In einer Erklärung betonte er, alle Verdächtigungen und Beschuldigungen „beziehen sich ausschließlich auf die Vergangenheit und nicht auf aktive Jesuiten und Mitarbeiter des Kollegs“. Den früheren Hinweisen sei seit 2003, seit dem Inkrafttreten der Richtlinien zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Ordensleute, nachgegangen worden. Die zuständige Beauftragte des Jesuitenordens für Missbrauchsfälle habe ihre Untersuchungen abgeschlossen.

Der Rektor des Gymnasiums bot dem ihm bisher unbekannten Betroffenen Anonymität und Diskretion an, wenn er mit ihm sprechen wolle. Er rief etwaige weitere Betroffene zu Gesprächen auf und sicherte Diskretion zu. Er verurteile sexuellen Missbrauch aufs schärfste und bitte Opfer von Verbrechen um Verzeihung, „persönlich und als Vertreter unseres Kollegs“.

Der Berliner Rechtsanwalt Lukas Kawka sagte zu den Vorfällen am Canisius-Gymnasium in Berlin: „Sollte sich bestätigen, dass ehemalige Schüler die amerikanische Staatsbürgerschaft haben, wäre eine Sammelklage in den USA, anders als in Deutschland, möglich.“ Weiter erklärte er: „Die finanziellen Konsequenzen wären dann für den Jesuitenorden desaströs.“ Zunächst werde eine außergerichtliche Einigung geprüft. Um Wiederholungen vorzubeugen, müsse es „spürbare, schadenersatzrechtliche Sanktionen“ geben.

Neue Debatte um Zölibat

Der Missbrauchsskandal entfachte derweil die Debatte über den Zölibat neu. „Es spricht nichts dafür, dass die pädophile Tendenz durch den Zölibat entsteht“, sagte Prof. Norbert Leygraf vom Institut für Forensische Psychiatrie an der Universität Duisburg-Essen der dpa. Das Institut begutachtet im Auftrag der Kirche Mitarbeiter der Kirche, die im Verdacht eines Sexualdeliktes stehen. In den vergangenen sieben Jahren seien das etwa 20 Fälle gewesen. „Der Verzicht auf Sexualität führt nicht dazu, dass die Sexualität sich ändert“, stellte Leygraf klar.

Der Psychiater warnte vor der Annahme, dass Kindesmissbrauch kirchenspezifisch ist. „Das wird immer behauptet, obwohl es keine Statistik darüber gibt.“ Pädophilie komme in allen Berufsgruppen vor. In pädagogischen Berufen bestehe allerdings eher die Möglichkeit, die sexuellen Fantasien umzusetzen. „In anderen Berufen gibt es wahrscheinlich eine Menge Leute mit pädophilen Ader, die das aber nie ausleben.“ Nach Ansicht von Leygraf tut die Kirche heute sehr viel, um Missbrauchsfälle zu verhindern. Allerdings sei es nicht möglich, im Vorfeld festzustellen, ob jemand sexuell an Kindern interessiert ist.

War das die Spitze des Eisbergs?

Das Bistum Hildesheim will nach möglichen weiteren Fällen in der Vergangenheit suchen. „Im Punkt sexueller Missbrauch ist das ein Stück Vergangenheitsbewältigung“, sagte Bistumssprecher Michael Lukas am Donnerstag. „Wir überlegen noch, wie wir damit umgehen, wir können schlecht 400 Priester-Akten durchgehen.“ Bischof Norbert Trelle habe mögliche Opfer und Kirchenmitarbeiter gleichermaßen aufgerufen, sich zu möglichen Vorfällen in zurückliegenden Jahren zu melden. „Die Frage ist, war das die Spitze des Eisbergs?“ Sexueller Missbrauch verjährt zehn Jahre nach der Volljährigkeit des Opfers, in besonders schwerem Fall nach 20 Jahren.

Der Missbrauchsskandal setzt die deutschen Bischöfe unter Druck. Das Thema sei kurzfristig auf die Tagesordnung der nächsten Vollversammlung gesetzt worden, teilte die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) am Donnerstag mit. Das Treffen findet vom 22. bis zum 25. Februar in Freiburg statt.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) verwies am Donnerstag auf ihre strenge Handhabe bei sexuellem Missbrauch. Schon bei einem Verdacht werde der betroffene Kirchenmitarbeiter sofort suspendiert, sagte EKD-Sprecher Reinhard Mawick. Eine bloße Versetzung komme nicht infrage. „Bei uns ist es so, dass wir Anschuldigungen und dem Verdacht von Missbrauch oder Pädophilie unverzüglich nachgehen und eng mit der Justiz zusammenarbeiten.“ Gefeit gegen Missbrauch sei die evangelische Kirche dennoch nicht, Einzelfälle habe es in der Vergangenheit gegeben.

[summary]

According to new findings, at least 30 students throughout Germany have said they were victims of sexual abuse by priests. Bishops are now asking whether this might be only the tip of the iceberg.

More cases of abuse have surfaced at Aloisius College, Bonn. One former pupil at Aloisius College said he was abused in the early 1960s by a now-deceased priest.

The German Bishops' Conference was put the abuse issue on the agenda for its next plenary meeting in late February. An attorney for victims at Canisius College, Berlin, is considering a class-action suit against the Jesuits in the U.S.

Berlin lawyer Luke Kawka said a lawsuit can be filed in the United States if it is confirmed that any victims at Canisius were American citizens. If successful the financial consquences for the Jesuit order could be disastrous, he said.

The scandal has sparked debate about the celibacy requirement. Professor Norbert Leygraf of the Instititute of Forensic Psychiatry said there is no evidence that the pedophile tendency is caused by celibacy. Renunciation of sexuality does not mean that sexuality is changing, he said.

He also warned against an assumption that child abuse is specific to the church. There are no statistics but pedophilia seems to cross all professions. Those involved in education, however, have the means to implement sexual fantasies. There are people who may have pedophilic thoughts but they do not act on them. He said it is impossible to determine in advance whether someone is sexually interested in children.

The Evangelical Church in Germany on Thursday said it has strict policies for handling sexual abuse cases. Someone who is even suspected of abuse is immediately suspended, according to the spokesman. Transfering a suspected abuser is not done. He added they also work closely with the judiciary.

 
 

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